Umarmung eines „sanften Mannes“
Lukas Meschik zeichnet in seinem „Vaterbuch“ ein positives Porträt
Von Bernhard Judex
Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Vater zählt in der deutschsprachigen Literatur zu einem der grundlegenden Motive. Viele AutorInnen nach 1945 beschäftigten sich mit der Rolle ihrer Vorfahren während des Nationalsozialismus und arbeiteten sich an deren in dieser Hinsicht problematischen oder besser gesagt fehlenden Funktion als identitätsstiftendes Vorbild ab. Neben der Suche nach dem „abwesenden Vater“ im Sinne von Alexander und Margarete Mitscherlich, die zu einer Folie wird, vor der das eigene Schreiben als Frage nach den Wurzeln an Bedeutung gewinnt (zum Beispiel bei Christoph Meckel, Peter Härtling, Thomas Bernhard, Brigitte Schwaiger oder Martin Pollack), nimmt auch die Kritik an der autoritären gesellschaftlichen Gewalt sowie der emotionalen Sprachlosigkeit eine wichtige Funktion ein (deutlich etwa bei Franz Innerhofer oder Josef Winkler). Ein wenig in den Hintergrund geraten dabei jene Bücher, in denen der Vaterfigur ein wenngleich nicht unkritisches, die gesellschaftliche Positionierung reflektierendes, zugleich aber positives und liebevolles Denkmal gesetzt wird wie zum Beispiel bei Peter Henisch (Die kleine Figur meines Vaters, 1975) oder bei Arno Geiger (Der alte König in seinem Exil, 2011).
Auch die jüngste Publikation des 1988 in Wien geborenen Autors Lukas Meschik geht in die Richtung eines würdigend anerkennenden Porträts. Vaterbuch nennt er seine im Limbus Verlag erschienene Erzählung und bekennt zugleich, dass dieses Buch nie fertig geschrieben sein werde, was durch das dem Text entnommene Motto „Jedes Leben bleibt Fragment“ gewissermaßen bestätigt wird. Auslöser für das Buch ist der plötzliche Tod des Vaters nach einem Herzinfarkt. Die Familie findet ihn auf dem Küchenboden in seiner Wohnung. Auf das unerwartete Ereignis, das mit geradezu erstaunlich nüchterner Distanz beschrieben wird, folgt ein Abschied, bei dem sich der Autor und sein Bruder Zeit nehmen wollen und den toten Vater liebevoll streicheln. Bestattet wird er auf dem Zentralfriedhof in einem Urnengrab unter einem Baum, „so kann er atmen und schauen“.
Auch wenn Meschik eingesteht, es sei „eine schwierige Liebe“ gewesen, so dominieren im Verlauf des Buches zahlreiche Passagen, in denen der Vater beispielsweise als „menschenfreundlich und strebsam“, als überzeugter Sozialdemokrat und politisch denkender Mensch, als der „praktische Abenteurer“ und als kritisch belesener Zeitgenosse, „wissbegierig unterwegs, mit Buch in der Hand, über das er sich die Welt erschließt, die er bereist“, beschrieben wird. An anderer Stelle heißt es: „Mein Vater war ein sanfter Mann. Welches Männerbild hat er mir vermittelt? Jedenfalls keine harten, vornehmlich männlichen Tugenden, kein balzendes Aufplustern und keine Trinkfestigkeit.“ Rekonstruiert wird das Vaterbild anhand zahlreicher Fotos aus den Familienalben. Mitunter wirken diese Beschreibungen beim Lesen etwas ermüdend, reiht sich doch eine Aufnahme an die andere. Zugleich entsteht so ein sehr intimes und anschauliches Bild eines Mannes, der mitten im Leben gestanden hat.
So wenig Meschiks Buch eine zornige Abrechnung mit Versäumnissen eines autoritären und unnahbaren Vaters ist, so wenig ist es eine Heldengeschichte. Der Vater wird keineswegs idealisiert, sondern erscheint als eine reale Person mit Stärken und Schwächen. Bereits zu Beginn zeichnet Meschik einen Befund, der für die Generation der heute 30-Jährigen stehen könnte:
Unsere Väter sind alle gleich. Sie kommen aus kleinen Ortschaften mit verengtem Horizont […]. Sie kehren der Enge des kleinen Ortes den Rücken und retten sich in die Stadt […]. Unsere Väter führen ein geselliges Studentenleben. […] Sie wachsen in Berufe hinein und fügen sich bestehenden Hierarchien. Sie träumen vom richtigen Leben im richtigen. Es scheint Wege zu geben, ein solches zu führen. […] Unsere Väter gehen ganz in ihrer Vaterrolle auf. […]
Das Vaterbuch wird zum Porträt eines „Menschen voller Widersprüche“, der stets greifbar bleibt. Dabei gehe es auch nicht darum, Ideale mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten und die Welt von Grund auf zu verändern, wie Meschik meint, sondern „es wenigstens da und dort versucht zu haben“.
Der eigentlichen Erfahrung des Verlusts – Wut, Trauer oder Verzweiflung – gibt der Autor in seinem Buch vergleichsweise wenig Raum. Dies liegt vermutlich an genau jener Präsenz, die der Vater noch als Toter einnimmt. Das Leben geht weiter, der Alltag nimmt vom Verlust eines geliebten Menschen zumeist nur wenig Notiz. Die sprachlich interessantesten Kapitel des Vaterbuches sind denoch jene, in denen Meschik der eigenen „Einsamkeit“ als „Vatereinsamkeit“ auf die Spur zu kommen versucht, einmal bei einem nächtlichen Konzert in einem Lokal, in dem er bei mehreren Bieren den Tod zu vergessen sucht, das andere Mal zu Silvester allein zu Hause, als er sich eingestehen muss, dass sein Vater nicht nur „zu humoriger Melancholie“ neigte, sondern mitunter auch „dunkle Gedanken gedacht“ und an der eigenen Einsamkeit gelitten hat. Meschick legt ein unaufgeregtes Buch über ein Leben vor, das sich vor allem selbst und seinen Mitmenschen, nicht „dem Leben an sich“ gerecht werden wollte – durchaus eine Bereicherung in der langen Liste der Väterliteratur.
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