Make war, not love

In „Pop und Populismus“ deckt Jens Balzer die Verbindungen zwischen populistischer Politik und rechtskonservativen Trends in der Popmusik auf und fragt nach dem Standpunkt der Popkritik

Von Rafael Arto-HaumacherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rafael Arto-Haumacher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Prinzipiell ist Popmusik ideen- und entwicklungsgeschichtlich ein linkes Projekt. Verwurzelt im Blues, der wiederum aus der Musik geknechteter afro-amerikanischer Plantagenarbeiter in den 1870er Jahren in den amerikanischen Südstaaten entstanden war, ging es in Inhalt und Erscheinungsform der Popmusik immer auch um die Erschaffung eines Gegenentwurfs zur jeweils bestehenden Gesellschaft. Ob Jimi Hendrix, die Rolling Stones, Madonna, Michael Jackson oder Pink: Popmusik propagierte und propagiert lautstark und kantig die Auflehnung des Individuums gegen eine einengende, normierende Gesellschaft und für ein schrankenloses, friedlich-tolerantes Miteinander.

Neuerdings scheint dieser Konsens aufgekündigt: Künstler wie die Rapper Kollegah und Farid Bang, die in Deutschland eine millionenfache Hörerschar hinter sich versammeln, erheben eine brutalisierte Sprache zum legitimen Stilmittel, verbreiten in ihren Texten antisemitische und frauenfeindliche Stereotype und schaffen so ein irritierendes Weltbild, in dessen Mittelpunkt nicht ein besseres, verständnisvolleres Miteinander steht, sondern der hassgetriebene, rücksichtslose Kampf jeder gegen jeden. Es zeigt sich hier die popmusikalische Parallelentwicklung im Hinblick auf das Erstarken des Rechtspopulismus in der Politik, der die Grenzen des Sagbaren verschiebt und Nationalismus, Antisemitismus und reaktionäre Grundhaltungen bei wachsendem Wählerzuspruch pflegt – national wie international.

Dieser Parallelentwicklung geht Jörg Balzer in seinem Buch Pop und Populismus nach. Als renommierter Musikkritiker und profunder Kenner der Szene, der in Die Zeit, Spiegel Online oder taz publiziert, beschäftigt er sich mit der zentralen Frage, ob „der Pop heute zu einem Medium des rechten Populismus geworden ist“ und wie sich „das Verhältnis von Pop und Politik“ bestimmen lässt.

An den Anfang seiner kritischen Auseinandersetzung stellt Balzer die Ereignisse rund um den Echo 2018, bei dem erstmals einer breiteren Öffentlichkeit die antisemitischen und misogynen Tiraden der Rap- und Hiphopmusik, repräsentiert durch Kollegah und Farid Bang, bewusst wurden. Ebenso geht er der Entwicklung des Maskulinismus, der Homophobie, der Misogynie und des Antisemitismus seit dem Debüt des Gangsta-Rappers Bushido im Jahr 2003 nach, stellt weitere konservativ-nationalistische Repräsentanten des massenwirksamen deutschsprachigen Pop wie Andreas Gabalier oder die Band Frei.Wild vor und arbeitet schließlich das Profil der Verschränkung zwischen reaktionärem Pop und neurechtem Politikbetrieb heraus.

Aber auch gegenläufige Tendenzen werden beleuchtet: Die linksorientierte Band Feine Sahne Fischfilet wird im Kontext der rechtspopulistischen Entwicklungen porträtiert; überdies weist Balzer auf transgenderorientierte und feministische Strömungen vor allem in der internationalen Popmusik hin, in denen überkommene sexuelle Rollenmodelle und die Geschlechterdifferenzierung generell in Frage gestellt werden oder in denen ein moralischer Rigorismus gepredigt wird, der sich als Gegenpol zum identitären Denken der Neuen Rechten geriert und diesem doch auffällig nahesteht. Zuletzt geht Balzer der Frage nach, wie die Popkritik denn angemessen auf den rechtskonservativen Trend in der Popmusik reagieren könne.

Ein zentraler Befund von Balzers Buch ist, dass die Weltbilder der neurechten Politik und der reaktionären Popmusik sich stark ähneln, ohne dass es jedoch zu einem klaren Bekenntnis der musikalischen Akteure zu einer politischen Partei käme; auch politische Parteien spannten keine gleichdenkenden Künstler für ihre Zwecke ein. Balzer sieht dies einerseits im „provokatorischen Spiel mit der Nichteindeutigkeit“ begründet, die für jene künstlerische „Selbstinszenierung […] so wesentlich ist“, während andererseits die Neue Rechte „so völlig ohne kulturellen Unterbau dasteht“: „Popkultur ist ihr mentalitätsgeschichtlich prinzipiell fremd“. Dennoch zeige sich die Nähe von Pop und populistischer Politik augenfällig im beiderseits praktizierten „rhetorischen Dreischritt aus Grenzüberschreitung, Relativierung und Selbstviktimisierung“.

Auch deutet sich an, dass es weniger zu einer Ablösung eines linken Diskurses durch einen rechten in der Popmusik kommt, sondern dass der Popmusik durch die sich immer mehr ausdifferenzierende Gesellschaft der traditionelle Zielpunkt verloren geht und es zu vielen verschiedenen Strömungen kommt, von denen sich eine – mithin breitenwirksame – rechtsorientiert gibt.

Als Musikkritiker kennt Balzer den schmalen Grat zwischen kritischer Auseinandersetzung und Zensur gerade bei einem solchen moralisch wie emotional aufgeladenen Themenkomplex genau. Er sieht die Popkritik generell in einer Sackgasse, da sie aufgrund der sich ausdifferenzierenden gesellschaftlichen Strömungen und der fortschreitenden Polarisierung „keinen Referenzpunkt mehr besitzt, der sie in ihrem Argumentieren kulturell zu erden vermag.“ Er plädiert dafür, sich auf die traditionelle Ästhetik der Popkultur zurückzubesinnen, die sich „an der Erschaffung von solidarischen Verhältnissen versucht“ und sich der „popkulturellen Utopie der Solidarität“ verschreibt.

Pop und Populismus ist kritisch und differenziert geschrieben und gut lesbar; das Buch profitiert zweifellos von der profunden Szenekenntnis seines Autors. Balzer arbeitet die wesentlichen Aspekte bei der Verschränkung von Rechtspopulismus und Popmusik heraus und verschweigt dabei nicht, dass aufgrund der Vielschichtigkeit und gelegentlichen Widersprüchlichkeiten „ein einfacher Nenner […] nicht in Sicht“ ist. Nur selten hätte man sich einen vertiefenden, auch breiteren Blick in dem ein oder anderen Punkt gewünscht. So bleiben etablierte, linksorientierte Künstler wie Herbert Grönemeyer oder Wolfgang Niedecken und damit der im traditionellen linken Wertekanon verhaftete Zweig der nationalen Popmusik nahezu ausgeblendet (der freilich kaum eine breitere jugendliche Gefolgschaft anzieht); der Facettenreichtum moderner Popmusik gerät somit leicht ins Hintertreffen.  Auch bleibt fraglich, ob die Musikkritik diesen zahlreichen Facetten tatsächlich mit Wertmaßstäben beikommen kann, die sich, vielleicht aus Verlegenheit, auf die Flower Power-Tradition rückbesinnen – so sehr man da Balzer auch zustimmen möchte.

Dessen ungeachtet ist Balzers Buch wichtig, denn es macht auf nachvollziehbare Weise den Trend zu einem reaktionären Weltbild in Teilen der Popmusik deutlich, in dem das Lennonʼsche Credo des „Make love, not war“ im übertragenen Sinn in sein Gegenteil verkehrt wird: „Make war, not love“. Man mag dies schulterzuckend als eine zwangsläufig folgerichtige Entwicklung gesellschaftlicher und politischer Trends sehen. Besorgniserregend ist sie allemal, auch und gerade durch ihre Breitenwirkung: Sind jugendliche, unbedarfte Hörer erst einmal desensibilisiert für Werte wie Humanität, Toleranz oder Empathie, haben neurechte politische Parteien in der Folge leichtes Spiel. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Buch als ein Beitrag zu einer breiteren Diskussion mithilft, das Spiel nicht ganz so leicht zu machen.

Titelbild

Jens Balzer: Pop und Populismus. Über Verantwortung in der Musik.
Edition Körber, Hamburg 2019.
206 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783896842725

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