Der alte Mann und sein Werk
Hanjo Kesting porträtiert mit Sympathie Theodor Fontane und seine Romane
Von Thorsten Paprotny
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseGottfried Benns Wendung über das „Pläsierliche“ in Theodor Fontanes Werk hallt noch immer nach. Der Dichter verkannte den Romancier, als er dessen wachsame, heitere Lebensfreundlichkeit als altmodisch, harmlos und bürgerlich, generös wie überheblich, als vormodern und auch vorgestrig abtun wollte. Ja, verfallene Schlösser der Mark Brandenburg nahm der Theaterkritiker Fontane auf seinen Wanderungen wahr. Er beschrieb die Landschaften sorgfältig, nachdenklich, behutsam und fantasievoll. Fontane war ein Preuße, aber nicht in wilhelminischem Sinne. Alles Prunkhafte, Pompöse, Protzige und Selbstherrliche war ihm zuwider. Der Schriftsteller dient der Kunst, aber er spricht nicht darüber. Pflichtbewusst und tüchtig war der passionierte Autor, der sich weder inszenieren wollte noch konnte oder musste. Hanjo Kesting macht in Theodor Fontane. Bürgerlichkeit und Lebensmusik besonders darauf aufmerksam.
Wir sehen ihn vor uns: Fontane spürt das Nachlassen der Kräfte deutlich, arbeitet aber weiter. Unzufrieden sitzt er am Schreibtisch – auch im letzten Sommer seines Lebens. Er versieht den Roman Der Stechlin noch mit Überarbeitungen und Randbemerkungen. Wir müssen uns also Fontane als einen schreibenden Menschen vorstellen, der in Sympathie auch den von ihm erdachten Gestalten verbunden ist. Fontane stellt mitnichten Spielfiguren vor, anders etwa als Gustav Freytag, der Repräsentanten politischer Gesinnungen und Parteiungen in seinem Werk auftreten lässt. Freytags Romangestalten brechen einander nicht die Herzen, auch die Teilhabe des Lesers wecken sie nicht. Sie geben nur Erklärungen ab. Fontane hingegen, ein „rastlos und unermüdlich Schreibender“, erzählt absichtslos. Der „Chronist der Gründerzeit“ präsentiert die „wirklichkeitsgetreue Darstellung eines Zeitalters“ und lädt zur „kritischen Besichtigung“ ein. Manches geht ihm leicht von der Hand, Irrungen Wirrungen etwa. Fontane spricht „von Ehe und Ehebruch, unstandesgemäßer Beziehung und von Beziehungen, die der gesellschaftliche Kodex der Zeit für unerlaubt erklärte“.
Fontane, so Kesting, sei Preußen im „Zwiespalt“ verbunden gewesen und wisse auch, dass Könige und Kaiser sowie ihre geschichtsbewussten Getreuen blutige Spuren hinterlassen. Wilhelm II. fantasierte von der Großmacht, Fontane zeigt die „überholten Ehrbegriffe seiner Offiziere“. Der Staat Friedrichs des Großen ähnelte „einer Frucht, die schon faul sei, bevor sie reif geworden“. Der Romancier öffnet den Raum der Erzählungen auch für Widersprüche. An den Beziehungen, die er schildert, nimmt die ständische Gesellschaft Anstoß. Was als „amouröser Zeitvertreib“ akzeptiert, gelegentlich diskret goutiert ist, wird offiziell missbilligt, auch „wenn es um ernste Dinge ging wie Liebe und Ehe“: „Eben darum aber geht es Fontane.“ Er beschreibt auf berührende, dezente Weise „unstandesgemäße Verbindungen“:
Fontanes Gesellschaftskritik spricht die Menschen nicht von eigener Verantwortung frei. Zwar war er sich der Härte, Kälte, ja Schnödigkeit der Konvention jederzeit bewußt, und seine Bücher zielten darauf, diese Konventionen in ihrer Menschenfeindlichkeit bloßzustellen.
Fontane beobachtet die Etikette, sieht blasierte Gestalten, borniert, dumpf und mitteilsam. Einen farblosen Begriff wie „Menschenfeindlichkeit“ hätte er ebenso wenig verwendet wie das neumodische Wort „Lebenswirklichkeit“, das Kesting benutzt. Fontane verfasst keine distanzlosen Enthüllungsromane. Er zeigt einfach die ständische Gesellschaft, ihren bigotten Moralismus und ihre Allüren, auch die leeren Konventionen – im Stil eines neuen „bürgerlichen Realismus“, den es, wie Kesting treffend beobachtet, von 1830 bis 1880 in der deutschen Literatur kaum gegeben hat. Anders als Wilhem Raabe etwa schreibt Fontane „weltläufig-nüchtern statt sonderlingshaft und kauzig“.
Der Schriftsteller kennt die Prosa des Daseins nur zu genau. Seine Erzählungen und Romane finden zunächst „kein großes Publikum“. Erst im Alter von 75 Jahren erscheint Effi Briest. Der „preußenskeptische“ Fontane wird als Romancier sichtbar, der zu den „luftigsten Ingenieuren“ der Romankunst gehört, auch weil er seine Leserschaft nicht mit politischen Meinungen bedrängt, „nicht weil er keine hatte, sondern weil er wußte, daß alles Gedachte auch die Möglichkeit seines Gegenteils enthält“. Er beschreibt sorgfältig, Gestalten wie Gespräche, macht anschaulich, wie „Haltungen und Einstellungen im Alltag funktionieren“.
Benns unglückliches, ja abwegiges Wort greift Kesting schließlich doch bedingt auf: „Fontanes Causerie, dem Pläsierlichen verwandt, besitzt durchweg einen doppelten Boden. Zugleich gibt sie seinen Büchern jenen unverwechselbaren Klang und Tonfall, den Thomas Mann mit einem glücklichen Ausdruck ,Lebensmusik’ genannt hat.“ Unzutreffend ist der Begriff trotzdem, denn Fontane vermochte zwar zu plaudern, aber er erzählte nie behagliche, moderat ironische Geschichten zur sorglosen Erheiterung. In diesem Sinn war er einfach auch nicht salonfähig, was Kesting dann wiederum erkennt, denn der alte Fontane schrieb „gegen das Bürgertum, gegen die Besitzbourgeoisie, die auch in Preußen zur ökonomisch bestimmenden Macht geworden war“. Der alte Fontane „stand dieser Klasse, die ihre freiheitlichen Apparationen längst preisgegeben hatte, mit unverhohlener Abneigung gegenüber, voll Verachtung für ihre parvenuhaften Züge und ihre kaisertreue Willfährigkeit“. Den Adel hielt er aus „artistischen Gründen“ für unverzichtbar. Der alte Dubslav von Stechlin erscheine als „Adliger vom Typ des märkischen Junkers, doch der milderen Observanz“. Der Adel sei „unentbehrlich“ – zumindest für den Erzähler:
Er hat die bornierte Kirchlichkeit kritisiert, aber in seinen Büchern treten immer wieder liebenswerte Einzelexemplare von Pastoren auf. Er hat sich, gerade in seinen letzten Jahren, stark antimilitaristisch geäußert, aber ein paradierendes Garderegiment konnte sein Herz höher schlagen lassen. Er war, mit einem Wort, kein Mann der Einseitigkeiten. Nur am Bourgeois ließ er kein gutes Haar.
Die protestantische Kirche verband stumpfen Biedersinn mit Staatstreue. Ernst nehmen konnte der Schriftsteller die Institution und ihre blasierten Amtsträger nicht, einzelne Pastoren aber schon. Fontane missbilligte den Exerzierplatz als Ausdruck preußischer Großmannssucht. Die Freude an einer bloßen rituellen Übung, eher ein öffentliches Schauspiel ohne kriegerische Absicht, also ein preußisches Freilufttheater mit Soldaten, sei also dem Zuschauer durchaus zugestanden.
Kesting erinnert daran, dass Fontane zwar Adlige gern schilderte, mehr noch aber war er Mädchen – ja besonderen Frauengestalten sehr zugetan. Seine Damen tragen auch sehr schöne, feine und klangvolle Namen, ob Effi, Jenny oder Melanie. Besonders Melusine schildert der alte Fontane im Stechlin liebevoll und sensibel. Ihr Name erinnert an das „sagenhafte Fischweibchen“. Sie sei, so Kesting, die „faszinierendste, vieldeutigste und kühnste unter Fontanes vielen bedeutenden Frauengestalten, erotisch verwirrend, doch ohne sinnliche Leidenschaft, voll Spottlust, aber reich an Herzensgüte, heiß und kalt zugleich“. Fontane scheut sich nicht, eine betörende, kluge Frau wie Melusine vorzustellen, die sich souverän, ja schwebend jenseits der langweiligen Bürgerlichkeit und Adelswelt bewegt. Melusine, gewissermaßen eine ganz und gar unwilhelminische Frau, weckt alles andere als langweilige Pläsierlust. Hanjo Kestings schmales Buch lädt dazu ein, Fontanes Welt neu zu entdecken.
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