Hautfarbe ist eine politische Realität
In „Nach der Flut das Feuer“ beschreibt der 1987 verstorbene Autor die brutalen Auswirkungen von Rassismus
Von Stefanie Roenneke
In Christoph Marthalers Stück Nach den letzten Tagen. Ein Spätabend wird der Rassismus zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt – irgendwann in der Zukunft. Ein zynischer Kommentar zur scheinbar unüberwindlichen Ideologie, die durch radikale Sprachweisen und Handlungen in Politik und Alltag manifestiert wird. Ein Grund mehr, diesem Konzept starke Stimmen entgegenzusetzen, die Rassismus als Machtinstrument benennen, die brutalen Auswirkungen nachhaltig beschreiben und auch Weißen die politische Tragweite ihres „Weiß-Seins“ deutlich machen. Eine davon gehört James Baldwin.
James Baldwin (1924–1987) zählt zu den wichtigsten US-amerikanischen Autoren des 20. Jahrhunderts. In Deutschland erfährt er seit einigen Jahren eine Wiederentdeckung – sei es durch die Neuübersetzungen durch Miriam Mandelkow für die dtv Verlagsgesellschaft, Verfilmungen wie zu seinem Roman If Beale Street Could Talk oder durch die viel gelobte Dokumentation I Am Not Your Negro, die auf dem unvollendeten Manuskript Remember This House basiert. Neben seinen umfassenden literarischen Arbeiten – zu denen Romane und Erzählungen wie auch Essays, Gedichte und Theaterstücke gehören – war er eine wesentliche Stimme in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung: er nahm an Civil Rights March 1963 in Washington D.C. teil und war Gast ein zahlreichen TV-Diskussionsrunden, die er mit seiner eindringlichen Stimme und seiner rhythmisierten Sprache, die zwischen Predigt und Song changiert, prägte. Diese Stimme ist auf den Seiten von Nach der Flut das Feuer stets hörbar, ein Band, der unter dem Titel The Fire Next Time erstmals 1963 in den USA veröffentlicht wurde und nun der dritte Band in der Baldwin-Edition bei dtv ist.
Der Band enthält den Brief Mein Kerker bebte, den Baldwin „zum hundertsten Jahrestag der Sklavenbefreiung“ an seinen Neffen adressiert hat. Darin erinnert er den Jungen an die Bedeutung von „race“ in der amerikanischen Gesellschaft und wie die politische Differenzierung Schwarze brutal unterdrückt: „Du wurdest geboren, wo Du geboren wurdest, mit Zukunftsaussichten, die Deine Aussichten waren, weil Du schwarz bist – aus keinem anderen Grund.“ Doch die Konstruktion von Hautfarben beeinflusst das Leben aller Bürger in den USA nachhaltig, so auch das von Weißen. Daher appelliert er an seinen Neffen, dieses Problem zu erkennen:
Du hast keine Veranlassung, so zu werden wie die Weißen, und es gibt nicht die geringste Grundlage für ihre unverfrorene Annahme, sie müssten Dich akzeptieren. Die schreckliche Wahrheit ist, mein Junge: Du musst sie akzeptieren. Das ist mein voller Ernst. Du musst sie akzeptieren, und zwar mit Liebe.
Das Thema der Hautfarbe prägt auch den zweiten Aufsatz Vor dem Kreuz. Darin befasst sich Baldwin mit seiner Entwicklung in der christlichen Gemeinde von einem leidenschaftlichen jugendlichen Pastor hin zu einem Enttäuschten, der sich dann von der Kirche vollständig zurückzieht, weil sie seinem Verständnis von Menschlichkeit nicht nahekommt. „Aber worin lag der Sinn, der Zweck meiner Erlösung, wenn sie mir nicht gestattete, anderen mit Liebe zu begegnen, unabhängig davon, wie sie mir begegneten?“, fragt Baldwin. Eine Einstellung, die ihn auch von der Nation of Islam und von dem damaligen Vorsitzenden Elijah Muhammad unterscheidet, dessen Begegnung er ebenfalls schildert. Es geht nicht um Ab- und Ausgrenzung, sondern um Überwindung, wie er auf den letzten Seiten zu Vor dem Kreuz deutlich macht:
Es muss alles, woran weiße Amerikaner zu glauben meinen, erneut auf den Prüfstand. Was wir nicht noch mal erleben wollen, ist der Zusammenschluss von Völkern auf Grundlage ihrer Hautfarbe. Doch solange wir im Westen der Hautfarbe eine solche Bedeutung beimessen, machen wir es der Masse unmöglich, sich nach irgendwelchen anderen Kriterien zusammenzuschließen.
Ein Umstand, der bis heute unerfüllt geblieben ist. Es wurde noch nicht das Mindeste unternommen, das für Baldwin immer das Unmögliche ist. Daher hat seine Mahnung, dass „Hautfarbe keine menschliche oder persönliche Realität ist“, sondern eine politische, und dass die Bedeutung der Hautfarbe „immer und überall und auf ewig Wahn“ ist, eine schmerzhafte Gültigkeit. Das macht ebenfalls Jana Pareigis in ihrem Vorwort deutlich, in dem sie die Aktualität seiner Texte durch den andauernden und sich weiter ausbreiteten Rassismus am Beispiel der USA und Deutschland unterstreicht.
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