Jammernde mittelalte Männer

Geir Gulliksen erzählt in „Geschichte einer Ehe“ schonungslos vom Scheitern zwischenmenschlicher Beziehungen

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Liest man die Romane von Karl Ove Knausgård, Tomas Espedal oder Per Petterson, so könnte man annehmen, die norwegische Literatur habe sich in den letzten Jahren zu einer epischen Form der confessional poetry entwickelt, in der vor allem mittelalte Männer in autobiographischen Romanen über das Scheitern ihrer Ehen oder Liebesbeziehungen klagen. Tatsächlich scheint dieser Typus Mann in den Städten Bergen und Oslo zuhauf anzutreffen zu sein; vielleicht ist das auch gar nichts Besonderes. Besonders ist aber, dass so viele Autoren diese schonungslose Selbstanalyse zu Literatur machen, die – und das ist vielleicht das Überraschendste – männliches Selbstmitleid zu großer Kunst macht.

Auch Geir Gulliksen berichtet in seinem neuen Roman Geschichte einer Ehe vom Scheitern derselben. Der Lektor und Verleger Gulliksen ist der Entdecker und enge Freund Karl Ove Knausgårds und hat in Norwegen bereits Gedichte, Theaterstücke und Prosatexte veröffentlicht. Im Zuge der Frankfurter Buchmesse und ihrem Gastland Norwegen erscheint nun Geschichte einer Ehe in deutscher Übersetzung, und allein für die Möglichkeit, diesen norwegischen Roman (und viele andere) nun hierzulande lesen zu können, muss man dieser Einrichtung und ihrer literarischen Mittlerfunktion auf ewig dankbar sein. Denn Geschichte einer Ehe ist ein äußerst bewegendes Portrait eines Mannes, dessen Ehe langsam in die Brüche geht. Auf schmerzvolle Weise schildert Gulliksen vom sich wie nebenbei ereignenden Zerfall: Die Ehefrau lernt durch Zufall einen anderen Mann kennen, freundet sich mit diesem, einer Jogging-Bekanntschaft, an, beginnt ihm zu vertrauen, bis es schließlich zu Intimitäten und letztlich wohl auch zur scheinbaren Liebe kommt. Das Erschütternde dieser an sich unspektakulären Geschichte ist jedoch das Verhalten des Ehemannes, der das Geschehen aus seiner Perspektive erzählt. Als Leser fühlt man sich von ihm einerseits abgestoßen, andererseits entwickelt man ein fast schamvolles Mitleid mit dieser immer jämmerlicheren Figur, die sich schonungslos offenbart.

Zunächst nämlich verleiht das Auftauchen dieses neuen Mannes dem Erzähler einen sexuellen Kick; er möchte, dass seine Frau beim Geschlechtsverkehr berichtet, was sie jetzt mit dem anderen machen würde, wäre er da. Die Frau gibt sich eher widerwillig dieser Perversion hin, wohingegen der Erzähler sich immer mehr in die Phantasie hineinsteigert und die Frau, die beginnt, Gefühle für ihren, zugegebenermaßen recht aufdringlichen, Laufpartner zu entwickeln, dazu animiert, es doch in persona mal mit ihm auszuprobieren. So könnten ihre späteren Berichte realistischer und demnach erregender für ihn sein.

Doch der Leser zweifelt verstärkt an der Glaubwürdigkeit des Erzählers, der eine immer hilflosere Figur abgibt: Möchte er sich vielleicht nur vor dem von ihm gefürchteten Bruch schützen, indem er die sexuelle Ebene so in den Mittelpunkt stellt? Ist es ein letztlich verzweifelter Versuch, die Kontrolle über das Narrativ seiner Ehe zu behalten? Der Leser bleibt bis zuletzt im Zwiespalt, und als die Katastrophe kommt, erwischt sie den Erzähler mit voller Wucht und raubt ihm das letzte Bisschen seiner Würde.

Geschichte einer Ehe ist ein kompromissloser Roman, weil alle Figuren egoistisch und in hohem Maße unsympathisch sind: der schmierige Erzähler, die unbeholfene und egozentrische Ehefrau, der rücksichtslose Familienvater, der die attraktive Laufpartnerin flachlegen will und ihr die große Liebe vorgaukelt. Ob dieser Roman nun autobiographisch ist oder nicht, ist dabei von gar nicht allzu großer Relevanz, denn ohnehin liest er sich spannend wie ein Thriller.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Geir Gulliksen: Geschichte einer Ehe. Roman.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein.
Luchterhand Literaturverlag, München 2019.
221 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783630876054

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