Verklungener Glockenklang

Der norwegische Schriftsteller Lars Mytting startet mit „Die Glocke im See“ eine Trilogie, die Aberglaube und Moderne verbindet

Von Elisabeth BökerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Elisabeth Böker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwei Kirchenglocken sind das Herzstück eines abgelegenen Dorfes im Norwegen des Jahres 1880. Um die Glocken ranken sich Mythen: Sie erklingen als Warnung wie von Zauberhand angeblich immer dann, wenn Unheil geschieht. Die Glocken sind eine Erinnerung an zwei Schwestern vom Hekne-Hof, die siamesiche Zwillinge waren. Ihre Webteppiche, die sie zusammen anfertigten, hatten durch ihre Motivgestaltung besondere Aussagekraft und galten sogar als Omen.

Nach dem frühen Tod der Schwestern schenkte der Vater der Kirche zwei Glocken und verschuldete sich damit hoch, da er auch das Familiensilber mit hineingoss. Doch jetzt plant der neue Pfarrer Kai Schweigaard die Holzkirche zu verkaufen. Zu unmodern sei sie, findet er. Mit einer neuen, größeren Kirche hofft er, dass die Bevölkerung zum Glauben findet und dem Aberglauben ein Ende gesetzt wird. Die Kirche soll nach Dresden überführt werden, denn dort wird das Kulturgut der norwegischen Stabkirchen bereits im Jahr 1880 erkannt und versucht die Zerstörung der traditionellen norwegischen Kirchen aufzuhalten.

Allerdings rebelliert die junge Bauerstochter Astrid vom Hekne-Hof gegen den Plan. Denn mit dem Kirchenverkauf gehen auch die beiden Glocken verloren. Im Wege steht jedoch, dass die aufgeschlossene Frau eigentlich in dem traditionellen Leben im Dorf keine Zukunft sieht. Sie kann sich nicht vorstellen, ihr Leben lang mühsame Feldarbeit zu verrichten und Kinder großzuziehen. Mit der Ankunft des jungen Pfarrers Kai Schweigaard, der ihren wachen Verstand und ihr Interesse an Bildung schätzt, sieht sie einen Ausweg. Dann aber kommt noch der deutsche Architekturstudent Gerhard Schönauer, der den Abbau der Kirche begleitet.

Auf berührende Art und Weise erzählt Lars Mytting diesen historischen Roman. Düstere, traurige Szenen gibt es einige, denn Leben und Tod liegen hier häufig nahe beieinander. Vor allem fesselt Mytting seine Leser durch seine kunstvolle Beschreibung der von Aberglaube geprägten Welt, in die nun die Moderne Einzug hält. Nicht nur die mythologischen Schilderungen, die auf Geschichten aus der Region beruhen, sondern auch die historische Thematik des Romans ist überaus interessant. Nicht zuletzt durch die Verbindung zu Deutschland ruft der Roman bei der deutschen Leserschaft – nicht nur im Ehrengastjahr ein ganz besonders zentraler Exportmarkt für norwegische Literatur – zusätzliche Neugierde hervor.

Lars Mytting hat sich bereits zuvor einen Namen gemacht. Zuletzt ist sein Roman Die Birken wissen’s noch erschienen. Noch mehr Aufmerksamkeit bekam er für Der Mann und das Holz – gewissermaßen eine Kulturgeschichte über das Holz vom Fällen bis zum Verfeuern.

Leider sind dem deutschen Verlag bei dem neuen Roman aber ein paar Ungereimtheiten wie unterschiedliche Schreibweisen eines Namens und andere Flüchtigkeitsfehler durchgegangen. Auch wird durch die deutsche Titelwahl Die Glocke im See die Handlung zu stark vorweggenommen, zumal eigentlich auch die Pluralform Berechtigung hätte. „Søsterklokkene“, Schwesternglocken, heißt es im norwegischen Original, was durchaus mehr Freiraum für den Ausgang lässt und noch passender die Besonderheit der Glocken und ihre Geschichte aufgreift. Nichtsdestotrotz lässt sich insgesamt aber festhalten, dass man, auch wenn der Roman in sich abgeschlossen ist, gespannt ist, wie die Trilogie weitergeht.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Lars Mytting: Die Glocke im See. Roman.
Aus dem Norwegischen übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019.
482 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783458177630

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