Asthmatischer Opa in Nöten

Jenny McLachlans Kinderbuchdebüt „Arthur und der schreckliche Scheuch“ entführt in das verkommene Fantasieland Arro

Von Ksenia GorbunovaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ksenia Gorbunova

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Geschichten für Kinder, deren Werte längst kritisiert werden. Geschichten, in denen hauptsächlich männliche Hauptcharaktere Mädchen vor Ungeheuern retten, Jungen- und Mädchenbanden rivalisieren und Jugendliche einen Teil von sich aufgeben müssen, um erwachsen und zu einem akzeptierten Teil der Gesellschaft zu werden. Es gibt zeitlose Klassiker unter den Kinderbüchern, die auf das Moralisieren verzichten und dank vielschichtiger und diverser Charaktere begeistern.

Jenny McLachlans Kinderbuchdebüt Arthur und der schreckliche Scheuch ist nicht zeitlos und auf seine Art gerade deshalb großartig. Referenzen auf junge Youtube-Influencer und Smartphone-Sucht verorten es explizit in der Gegenwart. Genau diese Elemente sorgen für sofortige Wiedererkennung. Aus entstaubten Motiven der Kinderliteratur flicht McLachlan eine zeitgemäße und mitreißende Handlung über die Zwillinge Arthur und Rose, die den Sommer bei ihrem Großvater verbringen.

Das Aufräumen in Opas Dachboden weckt viele Erinnerungen an das Fantasieland Arro, dem Ort des einstigen Lieblingsspiels der Geschwister. Seit ihrer letzten Reise dorthin hat sich vieles verändert: Arthur und Rose streiten nun andauernd und an Arro glauben die beiden nicht mehr. Doch plötzlich verschwindet der Opa im alten Klappbett, dem Portal nach Arro. Sein Asthmaspray bleibt auf dem Dachboden zurück. Die Zwillinge müssen ihren Großvater schnellstmöglich finden, um ihm das Spray zu geben und ihm somit das Leben zu retten. Die reale Gefahr und die Liebe zu ihrem Opa treibt die beiden durch die Landschaft von Arro, die sie kaum wiedererkennen. Ganz nebenbei gilt es nicht nur den Großvater, sondern eben auch Arro zu retten. Denn es verwahrlost immer mehr, je stärker sich die Zwillinge voneinander entfremden.

Die klischeehaften Sujets von der Vorbeugung der Apokalypse einer fantastischen Welt oder der Rettung einer Jungfrau in Nöten dreht McLachlan clever um. Die Hauptfiguren wachsen über sich hinaus, ohne plötzliches Superhelden-Gehabe. Sie bleiben bodenständig und nahbar. Rose und Arthur werden nicht gegeneinander ausgespielt. Ihre Stärken und Schwächen sind gleichermaßen relevant und wertgeschätzt, und auch wenn das Buch aus Arthurs Sicht geschrieben ist, haben Mädchen mit Rose eine starke Identifikationsfigur.

Auch die Handlungsstruktur um die Begegnungen mit einem Mentor und den Helfern wird auf charmante Weise umgedreht. Arthur und Rose nehmen widerwillig selbst die Mentoren- und Helferrollen für die bunten Charaktere in Arro ein. Dabei wechseln sich Zuneigung und Antipathie zu ihren Gefährten ab. Die Figurenbeziehungen entwickeln sich nachvollziehbar und lehrreich weiter. Die eigenwilligen Drachen, der Ninja-Magier, dessen Selbstbewusstsein größer ist, als seine magischen Fähigkeiten, und auch der Bösewicht: Bei allen Figuren hat man als Leser oder Leserin das Gefühl, dass man sie schon aus anderen Büchern kennt, doch ihr Bezug zu den Hauptfiguren nimmt manchmal unerwartete Wendungen, die amüsieren und berühren.

McLachlan weckt mit geliebten und zeitlosen Konflikten die Spannung und arbeitet sie zeitgemäß auf. Dabei liest sich das Buch bemerkenswert flüssig und unterhaltsam. Aus der Ich-Perspektive und im Präsens erzählt, zieht die Handlung Kleine und Große, Leser und Leserinnen sofort in den Sommer der Zwillinge Arthur und Rose hinein.

Zum Glück muss sich niemand mehr zwischen der Kinder- und der Erwachsenenwelt, zwischen Spiel und Ernst entscheiden. Die Erfahrungen, die die Zwillinge in Arro machen, bleiben nicht in Arro – sie helfen ihnen dabei, sich ihren Ängsten in ihrer alltäglichen Welt zu stellen. Arro ist aber kein bloßes Mittel zur Weiterentwicklung, zur Sozialisierung in der Gesellschaft von Heranwachsenden. Es ist eine Welt, die ihren eigenen Gesetzen folgt und unabhängig von den Zwillingen eine eigene Geschichte formt. Sie wird nicht als Traum oder Kinderstreich abgewunken.

Am Höhepunkt der Handlung erwartet die Leser und Leserinnen eine der schönsten und einfachsten Erklärungen dessen, was passiert, wenn man sich vom Imaginären aus seinen Kindertagen abwendet und meint, darüber erhaben zu sein. Es ist ein Buch über das Älterwerden, das zeigt, wie wichtig es ist Kind zu bleiben. Somit wird das Buch nicht nur jungen Lesern, sondern auch Erwachsenen Lesevergnügen bereiten und sie daran erinnern, wie es war als Kind durch die eigene Fantasie auf Entdeckung zu gehen.

In Großbritannien erhielt der Roman bereits viel Zuspruch und Anerkennung. Deshalb dürfen Arthur und Rose demnächst ihre Abenteuer in Arro fortsetzen. 2020 soll der zweite und 2021 der dritte Band in englischer Originalfassung erscheinen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Jenny McLachlan: Arthur und der schreckliche Scheuch.
Dragonfly, Hamburg 2019.
301 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783748800064

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