Eher künstlich als kunstvoll

In Jan Peter Bremers „Der junge Doktorand“ wird reichlich räsoniert

Von Thorsten PaprotnyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Paprotny

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu den bekanntesten Künstlerromanen des 20. Jahrhunderts zählt Siegfried Lenz’ Deutschstunde, ein Buch, in dem der Schriftsteller den gegenwärtig kontrovers diskutierten Emil Nolde – in der zwiespältigen Gestalt des Max Ludwig Nansen – facettenreich, subtil und sensibel porträtiert. Nun hat Jan Peter Bremer einen Roman veröffentlicht, der politische Momente aufweist, aber einen alternden Maler namens Gunter Greilich vorstellt. Dieser wirkt eher wie die ungnädige Karikatur eines Künstlers an sich – selbstgefällig und eitel, gegenüber seiner Gattin Natascha so gefühlskalt wie mürrisch, im Gespräch mit dem titelgebenden „jungen Doktoranden“ ausnehmend schwatzhaft.

Florian Sommer, ein junger Mann, aber nur ein vermeintlicher „junger Doktorand“, besucht das Ehepaar Greilich, das eine Wassermühle bewohnt. Die beiden leben irgendwo in der „Einöde“– und sie öden auch einander an. Besonders Natascha Greilich sinniert über den „abgelegenen, gottverlassenen Ort“. Hierhin würde sie ihrem Gatten nicht ein zweites Mal folgen, anderswohin vermutlich auch nicht. Der junge Gast weckt Hoffnungen. Ob ein Gesprächspartner zu Besuch kommen wird, der sie beachten wird? Oder würde in der kleinen Stadt sofort die redselige Jutta die Aufmerksamkeit des Doktoranden beanspruchen – so wie sie damals Gefallen an ihrem Gunter gefunden hatte? Natascha erinnert sich:

Vor allem ihres mächtigen Busens, der alle Blicke wie von selbst angezogen hatte, war sie sich sehr bewusst gewesen. Deswegen saß sie auch heute noch immer so aufrecht und hohlkreuzig da und ließ einen das Weiche ihrer Seite spüren, wenn sie sich hinüberlehnte. Nicht nur einmal war es vorgekommen, dass Jutta hier in diesem Haus, obwohl der eigene Gatte mit am Tisch saß, ihrem Mann eindeutige und unverblümte Avancen gemacht hatte. Aber so ein Busen war eben auch nicht alles.

Wer nun erwartet, inwendig vielleicht ein wenig stöhnend, dass eine Frau namens Jutta, offenbar vom Lustprinzip beherrscht, in diesem kleinen Roman eine große Rolle spielen wird, sieht sich getäuscht. Natascha fantasiert bloß und wünscht sich nichts mehr, als gesehen und erkannt zu werden.

Der freundliche Gast, der junge Florian, sei ihr „alleiniges Glück“, auch wenn er natürlich ihrem Mann viel Zeit widmen müsse. Sie fühlt sich sofort wertgeschätzt: „Dieser junge Mann bedurfte doch der gleichen Zuneigung, der auch sie bedurfte. Allein, mit welch freudiger Erwartung er sich auch über den zweiten Teller des versalzenen Gulaschs gebeugt hatte, den sie ihm serviert hatte.“ Die frustrierte Gattin lebt auf, so scheint es, und lebt vor allem ganz in der Welt ihrer eigenen Wünsche und Wahrnehmungen. Natascha Greilich möchte Florian gern duzen, aber selbst das gelingt ihr nicht so recht. Sie interessiert sich für alles, was ihn bewegt und bewundert beherzt, wenngleich übertrieben, sein Engagement für Migranten. Zwar ist er zu Gast in Greilichs Mühle, aber vielmehr als an den Maler denkt er an seinen syrischen Mitbewohner Humam und an „andere Geflüchtete, die in Berlin auf mich warten“. Florian erklärt so ernst wie feierlich:

Wir geben uns Geborgenheit in dieser schwierigen Welt … und die gegenseitige Versicherung, dass wir einander, trotz der kulturellen Unterschiede, schätzten und mögen. Der Mensch ist ein Wesen, das immer nach einem Weg für sich sucht, aber in Wahrheit ist es doch so, dass wir diese Wege gemeinsam finden müsse.

Er berichtet zudem, er sei in Berlin unglücklich und vereinsamt gewesen, habe aber durch die „Freundschaft zu meinem jetzigen Mitbewohner Humam in ein Leben zurückgefunden, dessen Sinn sich mir erschließt und an dem ich Freude habe“. Der scheinbare Kunsthistoriker gibt Auskunft über den Lebenssinn. Frau Greilich bewundert ihn immer mehr, zumindest findet sie schmeichelhafte Worte, wohlwollende Plattitüden. Ein leichtes Schmunzeln stellt sich ein, wenn Florian seine Verehrerin knapp korrigiert. Sie begeht nämlich einen Fehler, denn sie lobt seinen Einsatz für „Flüchtlinge“. Der Gast erwidert umgehend: „Geflüchtete“. Die politisch korrekte Sprache ist Natascha Greilich aber unbekannt. Sie begreift den Einwand nicht und fragt nach. Er wiederholt den Begriff „Geflüchtete“. Daraufhin sagt Frau etwas patzig: „Das habe ich doch gesagt.“ Dann redet sie weiter, so wie alle Gestalten in diesem Roman gerne viele Worte machen.

Jan Peter Bremer stellt monologisierende Menschen vor, insbesondere natürlich neigt der Künstler selbst zu ausschweifenden Betrachtungen. In eigener Sache demonstriert Greilich selbstbewusst die Attitüde vollendeter Bescheidenheit:

Wie alle anderen Menschen bin auch ich nichts weiter als ein Diener dieser Aufgabe, deren Zweck ich nicht im Entferntesten erahne, und wie alle anderen Menschen schreite auch ich ein Leben lang blind und einsam durch die Welt, immer in der Hoffnung, dass mir diese Aufgabe gnädig ein wenig Erfüllung schenkt. Und selbst die ist fadenscheinig.

Generös bietet der Künstler dem Gast an, auf seinem Sessel sitzen zu dürfen, zumindest für kurze Zeit. Greilich sinniert über die eigene Bedeutung und die seiner Gemälde, die nicht hinreichend gewürdigt werden. Bremer wählt pompöse Worte: „Schon immer war ihm bewusst gewesen, dass er keine Ausnahme darstellte, dass er einer von diesen schicksalhaft erwählten Künstlern war, die ihre Grenzen sprengende Bedeutung erst lange nach ihrem Tod entfalteten.“ Er leidet sehr – und alle Leserinnen und Leser begreifen dies zügig –, vor allem bemitleidet er sich selbst. Aus bloßem Jammer entstehen endlos anmutende Wortkaskaden. Immerhin verzichtet Bremer auf diffuse Betrachtungen über das genialische Moment des künstlerischen Schaffens überhaupt.

Vielleicht soll diese Schilderung des Ehepaars Greilich und ihres Gastes auf Zeit als postmoderne Spielerei verstanden werden – aber es ist viel eher eine Geschichte über Menschen, die gerne, viel und beständig aneinander vorbei reden. Auch das mag eine Kunst für sich sein. Natascha bekundet ihren Unmut deutlich gegenüber ihrem Mann: „Für dich sind alle Menschen doch nur Puppen. Genauso gut könntest du auch die ganze Zeit zu leeren Stühlen sprechen.“ Er konstatiert im Gegenzug ihre beständige Mitteilsamkeit – und kaum jemand, der den Roman gelesen hat, wird das bestreiten. Ob ein unerwarteter Besuch von Jutta dieses zähe Konversationsstück hätte beleben können? Auch diese Dame hätte vermutlich weitere unerhebliche Betrachtungen angestellt. Wer dennoch erfahren möchte, warum der „junge Doktorand“ Florian Sommer, der gar nicht promovieren möchte, überhaupt den Maler und dessen Frau besucht, mag Jan Peter Bremers zwar kurzen, aber mitnichten kurzweiligen Roman interessiert zur Hand nehmen. 

Titelbild

Jan Peter Bremer: Der junge Doktorand. Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2019.
176 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783827013897

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch