Zwischen Propaganda und Devisen

Richard Oehmig untersucht in seiner Studie den internationalen Programmhandel des DDR-Fernsehens

Von Nicole KarczmarzykRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nicole Karczmarzyk

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam dem erstarkenden Massenmedium Fernsehen eine wichtige Rolle als Propagandainstrument innerhalb des Kalten Krieges zu. Für Ost- und Westländer galt es hier gleichermaßen mit dem technischen Fortschritt mitzuhalten und gleichzeitig einen regen Austausch von Filmen und Serien mit anderen Ländern zu betreiben, um das Programm abwechslungsreich gestalten zu können. Für das DDR-Fernsehen stellte sich schnell die Frage, wie das Programm zu füllen sei und dabei gleichzeitig der von der SED-Regierung gewünschte Bildungsauftrag eingehalten werden konnte. 

Während der Programmhandel des Fernsehens der BRD und das DDR-Fernsehen als solches weitestgehend untersucht worden sind, fehlte es bislang an intensiveren Studien zur Programmbeschaffung innerhalb der Deutschen Demokratischen Republik. Diese Lücke schließt Richard Oehmig mit seiner Dissertation, in der er den internationalen Import- und Exportbewegungen des DDR-Films nachgeht. So basiert der Titel von Oehmigs Studie auch auf einem Ausspruch des ehemaligen Mitglieds des Politbüros des Zentralkomitees der SED und späterem Leiter der außenpolitischen Kommission, Hermann Axen. Dieser soll durch einen Anruf an die Intendanz des Deutschen Fernsehfunks mit seiner impulsiven Aufforderung „Besorgt mal Filme!“ den Startschuss für einen regen internationalen Programmhandel der DDR mit Ost- wie auch Westländern gegeben haben. 

Entgegen der Annahme, die DDR sei ein kulturell weitestgehend gegenüber dem Westen abgeschottetes System gewesen, zeigt Oehmig in seiner Arbeit die enge internationale Verzahnung der Republik mit ihren Nachbarländern auf Ost- und Westseite im Bereich des Filmhandels auf. Dabei erweist sich der nötige Ein- und Verkauf von Fernsehprodukten für die DDR als spannungsreiches Unterfangen, das die sozialistisch geprägte kulturelle Hegemonie immer wieder bedroht. Dieses Spannungsfeld tastet Oehmig in seiner Studie ab und versucht einen allgemeinen Überblick über die Prozesse und Wechselwirkungen des Programmhandels und eine transnationale Perspektive des Fernsehmarktes während des Kalten Krieges zu ermöglichen. Dazu zieht er einen weitreichenden Korpus aus Archivmaterialien des Deutschen Rundfunkarchivs und des Bundesarchivs sowie Zeitzeugeninterviews mit ehemaligen Mitarbeitern des Deutschen Fernsehfunks heran. 

Ausgehend von der Annahme, dass Massenmedien sich „nicht in ein nationalstaatliches Korsett zwängen“ lassen, und ihnen von Haus aus ein „transnationaler Charakter“ innewohnt, werden internationale Verflechtungen auf Ebene des Programmhandels im Einzelnen aufgezeigt. Dabei bestätigt sich, dass es auch hier zu zwangsläufigen Rückkopplungseffekten mit politischen und ökonomischen Entwicklungen kommt und der DDR-Programmhandel zeitlebens in einem Spannungsfeld von Ökonomie, Politik und Kultur stand. Obwohl ein Austausch der Massenmedien zwischen DDR und BRD seitens der SED-Regierung nicht erwünscht gewesen ist, ließ sich dieser Vorsatz schon aus ökonomischen Gründen nicht vollständig einhalten. Denn alleine die „Ressourcenarmut der DDR“ machte einen Handel mit dem Ausland zwingend notwendig. Die Widersprüche, die sich aus ideologischem Programmauftrag einerseits und einem Programmhandel mit unter anderem westlichen Ländern anderseits ergaben, sind laut Oehmigs Beschreibung vielfältig. In seiner Studie versucht er nun die unterschiedlichen Phasen dieser zunehmenden Verwässerung des rein sozialistisch-codierten Fernsehprogramms nachzuvollziehen.

Während die DDR in den frühen 1950er Jahren ihr Programm noch weitestgehend aus Eigenproduktionen und Ankäufen aus der Sowjetunion und der Tschechoslowakei speiste, begann man bereits kurz darauf Filme aus Westländern, wie Frankreich und Italien zu importieren. Der Marktanteil von Westfilmen stieg ab da beinahe konstant an, was Oehmig durch Diagramme analytisch greifbar macht. In der Theorie blieb der Anspruch der Regierungsorgane durch Film und Fernsehen den Sozialismus als gesellschaftliches Ideal in den Köpfen der Bevölkerung zu festigen dennoch weitestgehend bestehen. Allerdings wurde diese Doktrin auf politischer wie auch wirtschaftlicher Ebene immer wieder torpediert. So geriet die DDR, laut Oehmig, in das Dilemma einerseits mit den neuen technischen Entwicklungen, wie zum Beispiel dem Farbfernsehen, mithalten zu müssen und parallel die eigene kulturpolitische Agenda nicht schnell genug anpassen zu können.

Durch den Machtwechsel in den frühen 1970er Jahren und dem von Erich Honecker eingeleiteten wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel änderten sich schließlich auch Programmbeschaffung und -verkauf des Deutschen Rundfunks. Glaubt man Oehmig, wird in dieser Zeit der Wille zu Ökonomisierung des Massenmediums Fernsehen besonders sichtbar. Mit neuen Akteuren wie Hans-Joachim Seidowsky, der zum Direktor für internationale Programmangelegenheiten aufstieg, wurden Beziehungen zu Westproduktionsstätten intensiviert, unter anderem um den Devisenhandel anzutreiben. Ebenso begann man neue Einkommensquellen durch das Medium Fernsehen zu erschließen, wie zum Beispiel durch Synchronisationen. Gleichzeitig, so Oehmig, markiert diese Änderung der Orientierung auch eine deutliche Vernachlässigung des Anspruchs, ein rein sozialistisch geprägtes Fernsehprogramm für die DDR-Bürger bereitzustellen. 

In seiner materialreichen Untersuchung kommt Oehmig daher auch immer wieder zu dem Schluss, dass das Fernsehen der DDR zwar der Propaganda und der Unterstützung eines sozialistisch geprägten kulturellen Systems dienen sollte, die zuständigen Organe an dieser Aufgabe jedoch immer wieder scheiterten. Dabei hat sich um den DDR-Film ein komplexes Geflecht aus politischen Kontexten, wirtschaftlichen Interessen und propagandistischen Ambitionen gebildet. Die daraus entstehenden Rückkopplungseffekte arbeitet Oehmig plastisch heraus und zeigt, warum eine komplette kulturelle Abschottung innerhalb eines kapitalistischen Wertesystems sich für die Republik nicht umsetzen ließ. 

Ob die unflexible Kulturpolitik der DDR zumindest in Sachen Film als ein weiterer Marker für den Zusammenbruch des Systems gesehen werden kann, lässt Oehmig offen. Klar wird aber, dass das Spannungsfeld aus dem Wunsch nach Massenwirksamkeit bei gleichzeitiger Beibehaltung von Ideologisierung den Filmhandel im Vergleich zu den Nachbarländern ins Hintertreffen geraten ließ. Interessant wäre nach diesem faktenreichen Überblick oder auch in Verbindung mit ihm eine Antwort auf die Frage gewesen, welche Organe und Akteure der SED-Spitze die Abwendung von der sozialistischen Agenda befürwortet oder gar gefördert haben. Eine Rezeptionsanalyse könnte sich hier ebenfalls als sinnvolle Anschlussstudie erweisen. Darin könnte überprüft werden, inwiefern das Ansinnen der zentralen politischen Organe mittels der Programmqualität umgesetzt werden konnte und wie viel der politischen und ökonomischen Unsicherheit, die sich in der Medienkultur niederschlug, beim Zuschauer ankam und welche Wechselwirkungen hier mit der Stabilität der Republik entstanden sind. 

Ein Verdienst von Oehmigs Arbeit ist es, die Grundlagen und damit verschiedenen Einflussfaktoren diskursübergreifend rund um den internationalen Programmhandel des DDR-Fernsehens herausgearbeitet zu haben. Damit leistet die Arbeit nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Massenmedien sowie der Kulturpolitik der DDR, sondern führt ebenso neue und wichtige Ausgangspunkte zur weiteren Erforschung des Kalten Krieges ein.

Titelbild

Richard Oehmig: „Besorgt mal Filme!“ Der internationale Programmhandel des DDR-Fernsehens.
Wallstein Verlag, Göttingen 2017.
224 Seiten, 32,90 EUR.
ISBN-13: 9783835319028

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch