Im Schein der Küchenlampe

Michael Braun und Michael Buselmeier geben den dritten Band ihrer Gegenwartslyrikanthologie „Der gelbe Akrobat“ heraus

Von Carlo BruneRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carlo Brune

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In die letzte Runde, glaubt man ihrem Vorwort, gehen die beiden Herausgeber nun mit Der gelbe Akrobat 3. Diese Reihe, verstanden als ein „Gespräch mit der zeitgenössischen Poesie“, geht zurück auf Kolumnen in der Wochenzeitung Freitag und später auf der Website von poetenladen.de, die GegenwartsautorInnen anhand eines ausgewählten Gedichtes in Form eines kurzen Textkommentars vorstellen. Im Vordergrund steht dabei der dialogische Charakter, sowohl was das buchstäbliche „Ins-Gespräch-Kommen“ mit dem einzelnen Text (und den potentiellen LeserInnen des Bandes) als auch was mögliche Bezüge zwischen den ausgewählten Gedichten betrifft. Dass mit dem vorliegenden dritten Band der Reihe auch ein gezielter Schlusspunkt gesetzt werden soll, hat wohl auch damit zu tun, dass in der jüngsten Vergangenheit die „Erfahrung von Bereicherung immer häufiger verbunden mit der Erfahrung eines Verlustes“ war; nicht wenige der LyrikerInnen, mit denen der poetische Dialog in der Vergangenheit geführt wurde, seien „mittlerweile verstorben“. Da aber deren Texte bleiben und so weiter zum gemeinsamen Gespräch einladen, beschwören die Herausgebern im Vorwort die „romantische Utopie, dass alle, die wir einst kannten und liebten, also auch die Tiere und besonders die Toten, noch einmal im Schein der Küchenlampe zusammenkommen“.

Die Zusammenstellung der Gedichte eignet sich in der Tat, um jene „Symphilosophie“ und „Sympoesie“, von der Friedrich Schlegel in den Athenäums-Fragmenten als einem utopisch-idealen Entwurf spricht, und die „so allgemein und so innig würde, daß es nichts Seltnes mehr wäre, wenn mehre sich gegenseitig ergänzende Naturen gemeinschaftliche Werke bildeten“, in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts zu holen – unter starker Beteiligung auch von schon kanonisch zu nennenden Stimmen der Lyrik des (späteren) 20. Jahrhunderts; so etwa Hilde Domin, Heiner Müller, Thomas Kling oder Ror Wolf. Wenn es so zum Teil die Stimmen bereits Verstorbener sind, die „Gespräch“ der Gegenwart werden, spiegelt sich dies auch in der Thematik, die viele der ausgewählten Gedichte durchzieht: Sie kreisen um Fragen der Vergänglichkeit (etwa Motte von Clemens J. Setz), des Sinns oder Unsinns der Schöpfung (Expedition von Klaus Merz), des Verschwindens resp. des Verschwundenen (an den vater von sem, von Ulrich Ziegler, auch Wolken von David Krause) oder des Verstummens (Felsenmeer von Horst Bingel), der Trauer (Böhmischer Rebstock von Hanns Cibulka), der Hilflosigkeit (Drei unvollständige Versuche das Leben zu beschreiben – Dritter unvollständiger Versuch von Ror Wolf) oder von Krieg und Zerstörung (Ich bin von Mara-Daria Cojocaru).

Der 100-jährige Schein, den der beschworene Salzzauber des gleichnamigen Gedichts von Ralph Dutli dem Licht der Kerze zu verleihen mag, zeuge von der „magischen Kraft der Poesie und ihren geheimen Lichtquellen“, die die Gedichte des Bandes im Spiegel ihrer Kommentare immer wieder neu zu entzünden vermögen. Die reduzierte Form der meist nur zwei Druckseiten umfassenden Anmerkungen eignet sich auch oder gerade für „Laien“, um ersten Spuren zu den Gedichten nachzugehen. Dass hier mitunter doch (zu) sehr an der Biografie der AutorInnen entlang gearbeitet wird – geschenkt. Denn die ebenso knappen wie konzisen Anmerkungen reduzieren die literarischen Texte nicht auf fragwürdige Biografismen; sie öffnen sie vielmehr auf mögliche Gespräche, die die LeserInnen weiterhin mit ihnen führen möchten. Die (An-)Sprache ist klar, aber nicht simpel; die Kommentare geben – ebenso verständlich wie gehaltvoll – Hintergründe und Informationen an die Hand, die dabei helfen, Kontexte zu erschließen, in denen die Gedichte stehen. So wird der Schlusspunkt der Reihe zu einem Aufbruch im Abschied, oder, viel schöner, in den Versen des aufgenommenen Gedichtes von Joseph Kopf: „Ich liebe Schritte, die ins Leere gehn. / Ich liebe Dinge, die im Traum geschehn. / Die Rosen lieb ich, die im Garten stehn: / zu blaß, um sie noch einmal so zu sehn.“

Titelbild

Michael Braun / Michael Buselmeier: Der gelbe Akrobat 3. 60 deutsche Gedichte der Gegenwart, kommentiert.
Poetenladen, Leipzig 2019.
215 Seiten, 18,80 EUR.
ISBN-13: 9783940691996

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch