Ein müdes Schmunzeln am Rande des Abgrunds

Antonio Manzini entwirft in seinem Kurzroman „Spitzentitel“ eine grotesk-dystopische Literatur- und Verlagslandschaft

Von David NieswandtRSS-Newsfeed neuer Artikel von David Nieswandt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Man darf dem Leser keine Angst machen.“ Nach dieser Devise krempelt das aus alten Traditionsverlagen neu fusionierte Verlagsimperium Sigma den italienischen Buchmarkt um. Neue Literatur wird dort gehandelt wie eine Aktie, bekommt einen Produktcode und wird letztlich verkauft wie ein ganz normales Stück Seife – beklagt Giorgio Volpe, Erfolgsautor und gerade dabei, seinen neuesten Roman Am Rande des Abgrunds veröffentlichen zu lassen, ein anspruchsvolles Familienepos, das im faschistischen Italien der 30er und 40er Jahre spielt. Doch Volpe steht vor einem Problem: Die italienische Literatur existiert nicht mehr, bekommt er auf Nachfrage im eigenen Verlag versichert, seine alte Lektorin wurde entlassen und man spricht jetzt von „Kommunikation in italienischer Mundart“. Als Ersatz bekommt der Autor dafür zwei als Ghostwriter agierende Schergen samt MacBook an die Seite gestellt, die seinen Roman umschreiben und dabei kontrollieren sollen, dass die neuen Verlagsrichtlinien korrekt umgesetzt werden: „Krieg, Hass, Tod, Krankheiten, Schluss damit!“, dafür ein guter Schuss kitschige Romantik, denn 85 Prozent der Leser seien ja schließlich Frauen und bräuchten einen starken Helden, am besten blond. Und natürlich: „Viel Sex. Mit Tieren ja. Mann und Frau ja. Frau mit Frau ja. Mann mit Mann nein.“

Spätestens hier wird klar, dass Antonio Manzini, selbst Erfolgsautor, allerdings im wirklichen Italien des 21. Jahrhunderts und eigentlich bekannt für seine Kriminalromane, sich mit seinem neusten Kurzroman Spitzentitel an einer satirisch-dystopischen Beschreibung der Verlagslandschaft versucht. Dass in dieser dann auch noch Tolstois Krieg und Frieden, gekürzt um ersteres, erscheinen soll oder die italienischen Klassiker von einem Russen neu, vereinfacht und natürlich gekürzt ins Italienische übersetzt werden sollen, kann dann schon kaum mehr verwundern. Ebenso wenig, dass die jungen Leser*innen der Faschismus des letzten Jahrhunderts anödet.

Während Manzini hier versucht, aktuelle gesellschaftliche Probleme anzusprechen, kann der fiktive Autor Volpe auf diese nur mehr reagieren. Denn besagte Eingriffe in Stil und Inhalt bringen ihn nicht nur in Konflikt mit seinem Verlag, sondern auch auf die Suche nach einem neuen. So hofft er dem Tod des Autors, dem seine Kochbücher und Fußballerbiographien schreibenden Kollegen nun ins Auge sehen, gerade noch einmal von der Schippe springen zu können. Doch zumindest Orwell scheint man im Verlagsimperium ungekürzt gelesen zu haben, sodass der Tod im Fortgang der mit 80 Seiten überschaubaren Handlung mehr als eine bloße Metapher werden könnte.

Geschildert werden diese Ereignisse jedoch meist im Stil einer schlechten Seifenwerbung, den Manzinis eigener Autor Volpe wahrscheinlich für seine unnatürliche Figurenrede kritisieren würde: „‚Scheiße, das ist ein Albtraum. Ich wache jeden Moment auf‘, sagte der Schriftsteller aus Genua, die Hände vors Gesicht haltend, immer wieder mit leiser Stimme zu sich selbst.“

Hauptkritikpunkt ist allerdings die Handlung. Anfangs als feine Satire zu verstehen, die noch den Charakter eines geschickten Scherzes am Rande des Möglichen besitzt, kippt sie zum Ende hin ins stark Groteske und verliert durch ihre höchstens mittelspannenden Übertreibungen (samt spionierenden, in Halloweenkostümen steckenden Zwergen, erpresserischen chinesischen Investoren und einer entführten Schriftstellergattin) ihren fein dystopischen Touch. Der im Roman anzitierte Orwell tönt so nur noch wie ein banaler Abklatsch seiner selbst aus dem Wandlautsprecher der Verlagsführung.

Zwar bleibt Manzinis Spitzentitel eine kurzweilige Lektüre, die die Leser*innen schmunzelnd einen Blick in den Abgrund des heutigen Kulturbetriebs werfen lässt. Dieser Abgrund wird aber derart künstlich und überzeichnet dargestellt, dass die Angst selbst hineinzustürzen bei den meisten schnell wieder verschwinden dürfte.

Anmerkung der Redaktion: Die Rezension gehört zu den studentischen Beiträgen, die im Rahmen eines Lehrprojekts im Sommersemester 2019 entstanden sind und gesammelt in der Oktoberausgabe 2019 erscheinen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Antonio Manzini: Spitzentitel.
Aus dem Italienischen von Antje Peter.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2017.
80 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783803113290

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