Wissensförderung und Weltentdeckung

Gegenwärtige norwegische Sachromane handeln insbesondere von Natur- und Umweltthemen. Ein Überblick

Von Elisabeth BökerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Elisabeth Böker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sachthemen in Romanen aufgearbeitet – das ist ein Genre, das in der gegenwärtigen norwegischen Literatur besonders ausgeprägt ist. Auf erzählerische Weise wollen die Schriftsteller aus dem skandinavischen Land die Aufmerksamkeit der Leser für Sachthemen gewinnen. Solche Romane thematisieren häufig Aspekte rund um die Bewahrung unseres Planeten. Dafür setzen sich die Autoren vielfach mit persönlich gefärbten Schilderungen ein.

Sachromane sind in der norwegischen Literatur keine Neuheit: Spätestens seit dem grandiosen Erfolg von Sofies Welt. Roman über die Geschichte der Philosophie von Jostein Gaarder – ein Roman der auf spielerische Weise in die Philosophie einführt – erfreut sich das Genre großer Beliebtheit. Dabei hat diese Erzählart eine noch deutlich längere Tradition. Zurückzuführen ist sie auf den reformpädagogischen Ansatz von Ellen Key am Anfang des 20. Jahrhunderts. Insbesondere die schwedische Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf sorgte mit ihrem Kinderbuch Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen für eine große Neuerung. Mit der Geschichte des Jungen Nils Holgersson, der als ein Zwerg verwandelt mit einem Schwarm Wildgänse durch Schweden reist, lernten und lernen die Kinder Schweden kennen. 

Sachromane über Abenteuer

Aus Norwegen sind es zunächst die Schilderungen der Entdecker und Abenteurer Fridtjof Nansen (1861-1930) und Roald Amundsen (1872-1928) gewesen, die auch im Ausland Anklang fanden. Thor Heyerdahl berichtete kurz nach dem Zweiten Weltkrieg über seine Kon-Tiki-Expedition, einer Pazifiküberquerung im Segelfloß. Seine fantastischen Aufarbeitungen der Segeltour wurden unter dem Titel Kon-Tiki: Ein Floß treibt über den Pazifik in 70 Sprachen übersetzt.

Auch gegenwärtig erscheinen einige Abenteuer- und Entdeckerbücher aus norwegischer Feder. Erinnert wird natürlich an den großen Abenteurer Roald Amundsen. Packend berichtet die norwegische Glaziologin und Autorin Monica Kristensen in Amundsens letzte Reise über seinen Versuch einen Kollegen im Polarmeer zu retten, bei dem er aber selbst tragischer Weise ums Leben kam. Dabei beruft sie sich auf einige neue Quellen und kann dadurch ihren Roman auf einer sehr beachtenswerten historischen Basis aufbauen.

Außerdem zu nennen ist Das Buch vom Meer oder Wie zwei Freunde im Schlauchboot ausziehen, um im Nordmeer einen Eishai zu fangen, und dafür ein ganzes Jahr brauchen von Morten A. Strøksnes. Der überdurchschnittlich lange Untertitel verrät bereits die Handlung: Zwei Freunde sind so wagemutig, dass sie einen Eishai, ein Tier, das bisher nur sehr selten gesichtet wurde, angeln wollen und dafür in die nördlichen Gewässer von Norwegen mit einem Schlauchboot ausziehen. Sowohl die teils sehr amüsante Fanggeschichte als auch die sachlichen Informationen über den Eishai und andere seltene Bewohner des arktischen Meeres werden in diesem Buch gut und ansprechend zusammengeführt.

Ganz anders hingegen präsentiert sich Stille von dem Abenteurer Erling Kagge. Er berichtet, wie er bei seinen Expeditionen zum Nord- und Südpol oder auf dem Mount Everest die Stille fand – aber auch im Alltagsleben im trubeligen Oslo. Ein kurzer, philosophischer Wegweiser nicht nur für Abenteurer, sondern für alle, die Ruhe suchen. Noch dazu sehr kunstvoll und passend zum Thema gestaltet.

Natur- und Umweltthemen

Auffallend ist aber, dass sich die aktuelle Sachliteratur vorwiegend mit Natur- und Umweltthemen beschäftigt. Häufig sind es persönlich gefärbte Schilderungen, die publiziert werden. Gerade das skandinavische Nachbarland Schweden verbindet man seit Greta Thunbergs Fridays for Future-Protesten mit dem Klimaschutz. Norwegen gilt gemeinhin mit der aus Wasserkraft gewonnen Energie als vorbildlich in Sachen Nachhaltigkeit. Allerdings muss man bedenken, was die dafür notwendige Infrastruktur bei der Gewinnung für die Natur bedeutet. Viel mehr noch hat Norwegen seinen Reichtum der Ölförderung zu verdanken – in Hinblick auf die Umwelt sind diese Offshore-Aktivitäten absolut umstritten.

Auch wenn dazu selbst kein Sachroman erschienen ist, so sind es zahlreiche andere Sachromane, die aus dem norwegischen in jüngerer Zeit ins Deutsche übersetzt worden sind, die für die Besonderheiten unseres Planeten und dessen Bewahrung werben.

Die bekannteste Autorin im Bereich Sachromane mit Thematisierung von Natur- und Umweltthemen ist Maja Lunde. Ihre Geschichte der Bienen stand nach dem Erscheinen 2017 wochenlang auf dem ersten Platz der Spiegel-Bestsellerliste und war damals sogar das meistverkaufte Buch des Jahres. Darin wird in drei verschiedenen Erzählsträngen verwoben berichtet, welche Auswirkungen Bienen und das Bienensterben auf unser Leben haben. Geplant hat die Autorin vier verschiedene Sachromane, die sich mit Klimaveränderungen beschäftigen. Der Nachfolgeband zum Thema Wasser erhielt ebenfalls viel Aufmerksamkeit. Jetzt bleibt abzuwarten, welche Resonanz Die letzten ihrer Art erhalten wird, das in den Buchmessetagen erscheinen wird. Wie der Titel bereits verrät, behandelt sie darin das Artensterben, wieder elegant verflochten anhand von drei Familien, die sich in unterschiedlichen Zeiten für eine seltene Pferderasse interessieren.

Deutlich spezialisierter ist da Reise mit Aal von Torolf E. Kroglund, ein Roman, der aufspürt, warum der Aal selten geworden ist. Dem Sachroman liegt aber ebenso die Bewahrung der Artenvielfalt als Thema zugrunde. Gerade an diesem Titel wird deutlich, wie facettenreich die Norweger verstehen, Sachromane aufzuziehen und dabei stets den Bezug zu ihrem Land herstellen.

Von einem nachhaltigen Leben auf dem Lande handeln die kurzen Geschichten der Journalistin Agnes Ravatn, die in Ein kleines Buch vom Leben auf dem Land zusammengefasst sind. Sie zog in der Elternzeit mit Mann und Kind von der norwegischen Hauptstadt auf einen abgelegenen Bauernhof ihrer Schwiegerfamilie. Naturleben statt Großstadtrummel überzeugt sie. Daher beschlossen sie, in Westnorwegen am Meer wohnhaft zu bleiben. Ihr Nachbar ist ein bekannter norwegischer Autor, der vor etlichen Jahren dieselbe Lebensentscheidung traf und die junge Mutter in das Leben im Einklang mit der Natur abseits von Social Media einführt. Die persönlichen Einblicke geben sehr gut die positiven wie negativen Seiten des Landlebens wieder.

Ein ganz anderer persönlicher Hintergrund hingegen liegt bei Long Litt Woons Sachroman Mein Weg durch die Wälder zu Grunde: Ihr Mann ist gestorben. Neue Lebensfreude und Aufgabe findet sie im Sammeln von Pilzen. Ihre Schilderungen sind in zwei Erzählstränge geschrieben, der eine handelt von der Trauerbewältigung, der andere beschreibt ihre immer größer werdende Pilzsammelleidenschaft. Reidar Müller zieht es ebenfalls in den Wald. Dort folgt er den Spuren des Wolfes, um das Verhältnis Wald und Wolf zu lüften. Er kommt dabei zu dem sehr spannenden Urteil: dass beide zusammengehören, denn die ökologische Qualität eines Waldes hänge von der Wolfs-Population ab. Wolfsspur ist ein sehr lebendiges Plädoyer für Wald und Wolf.

Wenn man ein naturnahes Leben in Norwegen führen möchte, dann versteht es sich fast von selbst, dass Holz dabei eine große Rolle spielt. Selbstverständlich gibt es auch zu diesem Thema ein Buch: Der Mann und das Holz heißt es, es stammt aus der Feder des bekannten Schriftstellers Lars Mytting und ist bereits 2014 auf Deutsch erschienen. Es deckt viele Themen rund ums Holz vom Fällen bis zum Feuermachen sehr kurzweilig erzählt ab. Herzliches Lachen ist beispielsweise bei der Zuordnung von Charaktereigenschaften je nach Holzstapelmethode garantiert.

Breites Themenspektrum

Insgesamt zeigt sich bei den norwegischen Sachromanen ein breites Themenspektrum. Gerade jetzt, im Rahmen des Ehrengastauftrittes auf der Frankfurter Buchmesse, sind eine Vielzahl auch sehr spezieller Themen ins Deutsche übertragen worden, die es überwiegend geschickt und vor allem verständlich verstehen, persönliche Erfahrungen mit dem Sachthema zu verweben. Der deutsche Buchmarkt ist gegenwärtig ein guter Absatzmarkt für derartige Sachromane. Denn 2018 war mit 31,5 Prozent die beliebteste Warengruppe die Belletristik und die Sachbücher stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 5,5 Prozent auf  10,6 Prozent[1] – Sachromane sind bisher auf dem deutschen Buchmarkt nicht gesondert aufgeführt, da das Genre zu speziell ist. Je nach Verlagsentscheidung werden sie in einer der beiden Gruppen gelistet. Aktuell stehen zwar nur Maja Lundes Romane auf der Spiegel-Bestsellerliste. Doch bei so viel Auswahl an Sachromanen aus Norwegen muss sich darauf nicht beschränkt werden.

 

Außerdem genannte Bücher

Jostein Gaarder: Sofies Welt. Roman über die Geschichte der Philosophie. München 1993.

Thor Heyerdahl: Kon-Tiki: Ein Floß treibt über den Pazifik. Übers. von Karl Jettmar. Berlin 2019.

Torolf E. Kroglund: Reise mit Aal. Auf den Spuren einer aussterbenden Art. Übers. von Martin Bayer. Hamburg 2019.

Selma Lagerlöf: Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen. Übers. von Thomas Steinfeld. Berlin 2015.

Maja Lunde: Die Geschichte der Bienen. Übers. von Ursel Allenstein. München 2017.

Maja Lunde: Die Geschichte des Wassers. Übers. von Ursel Allenstein. München 2018.

Maja Lunde: Die letzten ihrer Art. Übers. von Ursel Allenstein. München 2019.

Lars Mytting: Der Mann und das Holz. Übers. von Günther Frauenlob und Franz Zuber. Berlin 2014.

Literaturhinweis

Sachliteratur: https://norway2019.com/de/literature/non-fiction [25.9.2019].

 

[1] Börsenverein des deutschen Buchhandels. Buch und Buchhandel in Zahlen 2018. http://www.boersenverein.de/sixcms/media.php/1117/WIPK19_Praesentation.pdf [29.9.2019], S. 10.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Lars Mytting: Der Mann und das Holz. Vom Fällen, Hacken und Feuermachen.
Insel Verlag, Berlin 2014.
222 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783458176015

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

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Monica Kristensen: Amundsens letzte Reise.
Aus dem Norwegischen übersetzt von Christel Hildebrandt.
btb Verlag, München 2019.
463 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783442757824

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Morten A. Strøksnes: Das Buch vom Meer oder Wie zwei Freunde im Schlauchboot ausziehen, um im Nordmeer einen Eishai zu fangen, und dafür ein ganzes Jahr brauchen.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2016.
363 Seiten, 20,60 EUR.
ISBN-13: 9783421047397

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Erling Kagge: Stille. Ein Wegweiser.
Aus dem Norwegischen übersetzt von Ulrich Sonnenberg.
Insel Verlag, Berlin 2017.
143 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783458177241

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Long Litt Woon: Mein Weg durch die Wälder. Was mich Pilze über das Leben lehrten.
Aus dem Norwegischen übersetzt von Ursel Allenstein.
btb Verlag, München 2019.
331 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783442758135

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Agnes Ravatn: Ein kleines Buch vom Leben auf dem Land.
Aus dem Norwegischen übersetzt von Julia Gschwilm.
btb Verlag, München 2019.
142 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783442758067

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Reidar Müller: Wolfsspur. Eine Entdeckungsreise in die Tiefen unserer Wälder.
Aus dem Norwegischen übersetzt von Ulrike Strerath-Bolz.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2019.
313 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783426277966

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