Von Linken, über Linke, für Linke
Der Sammelband „Trigger Warnung“ kritisiert linke Positionen von ebenfalls linken Positionen aus
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIn jüngster Zeit erschienen einige Bände linker oder queerfeministischer AutorInnen, die sich mal polemisch, mal solidarisch, jedenfalls aber immer kritisch mit fragwürdigen Aktivitäten und Thesen der Politik ihrer jeweiligen Peergroup auseinandersetzten. So auch der von Eva Berendsen, Saba-Nur Cheema und Meron Mendel herausgegebene Band Trigger Warnung. Zweierlei ist allen Beiträgen der Publikation gemeinsam. Zum einen kritisieren sie linke Positionen von ebenfalls linken Positionen aus, zum anderen tun sie dies – zumindest weitgehend – unter Verzicht auf Polemik. Ganz im Gegenteil, der Band „wirbt für mehr Fehlertoleranz in linken Zusammenhänge“ und „tritt für eine Öffnung und eine Irritation des elitären Jargons ein, der durch das Beharren auf sprachlicher und symbolischer Korrektheit extrem ausschließend wirkt“, wie die in der Bildungsstätte Anne Frank tätigen HerausgeberInnen im Vorwort erklären.
Doch gibt es auch grundlegende Unterschiede. Sie betreffen nicht zuletzt die Textsorten der Beiträge, unter denen sich wissenschaftliche, journalistische, essayistische Arbeiten ebenso finden wie literarische. Zudem wurde ein Interview aufgenommen. In ihm verteidigen zwei Redaktionsangehörige des queer-populären Missy Magazins Identitätspolitik als „Notwehr“. Auch bleiben nicht alle Aufsätze eng bei dem durch den Titel angekündigten Thema des Bandes, den Triggerwarnungen, das allerdings bereits im Untertitel um „Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen“ erweitert wird. So beleuchtet Andreas Rüttenauer etwa die feindliche Übernahme ehedem exklusiv linker Proteststrategien durch die radikale Rechte und Hadija Haruna-Oelker geht der Frage nach, welche Schuld die Linke am Erstarken eben dieser Rechten hat.
Die ersten der in die drei Rubriken „Verortungen“, „Verstrickungen“ und „Verhandlungen“ unterteilten Texte befassen sich allerdings tatsächlich mit Trigger-Warnungen. So beleuchtet und kritisiert Markus Brunner in einem der fundiertesten Beiträge des Bandes die Politisierung des ursprünglich „traumatherapeutischen Konzepts“. Wie er zeigt, geht es im Zuge dieser Entwicklung nicht mehr um den ursprünglichen Zweck von„Trigger-Warnungen“, traumatisierten Menschen dabei zu helfen, sich auf „schwierige Inhalte vorzubereiten“, „sondern um die Idee, dass zur Vermeidung von psychischen Blessuren Stoffe und Wörter umgangen werden sollten“. In den damit einhergehenden „Bemühungen um Safe Spaces“ sieht Brunner „Ersatzhandlungen für politische Kämpfe, die auf eine Veränderung der Gesellschaft zielen“.
Seinem Beitrag folgt der theoretisch wohl anspruchsvollsten Text des Bandes, in dem sich Charlotte Busch unter Rekurs auf Sigmund Freud und Theodor W. Adorno sehr überzeugend gegen die „Fetischisierung von Differenz“ wendet und für die „Besinnung auf den universalistischen Moment des Betroffenseins“ plädiert. Massimo Perinelli wiederum beklagt die intellektuelle, konzeptionelle und politische Krise der „antirassistische Bewegung“, die nicht imstande sei, „unter der Perspektive von Antirassismus eine umfassende Gesellschaftskritik zu formulieren“. Dies rühre daher, dass das aus den USA stammende Konzept der Critical Whiteness von Teilen der hiesigen Antirassismusbewegung unverändert übernommen worden ist. Perinelli weist dem gegenüber auf die im Grunde altbekannte Tatsache hin, dass die „Geschichte des Rassismus“ in Deutschland eine völlig andere ist als diejenige jenseits des Atlantiks. Um den „fundamentalen Unterschied“ zwischen beiden Rassismen zu verdeutlichen, geht er bis in die Zeit der Weimarer Republik zurück. Aufgrund des „Fehlimports“ der Critical Whiteness, argumentiert er, werde übersehen, „dass Rassismus eine strukturierende Funktion für Ausbeutung besitzt“. Zudem legt er ein besonderes Augenmerk auf „bestimmte Strömungen des Queerfeminismus seit den 1990ern“, der „sexuelle Identitäten aufgeteilt“ und „in einer permanent wachsenden Buchstabenschlange der partikularen Begehrensformen trennscharf eingeordnet“ habe. Diesen Fehler wiederhole der Antirassismus in seiner Ausformung als Critical Whiteness „strukturidentisch“. Statt aber zu fragen „Wer sind wir?“ müsse eine auf Veränderung abzielende Politik die Frage stellen „Wer wollen wir sein?“.
Nicht weniger instruktiv ist Sarah Elsunis Beitrag über „(Un)Zumutbares in Wissenschaft und Lehre“. Sie argumentiert nicht nur stets klar und nachvollziehbar, sondern informiert das juristische Laienpublikum auch über einen in Gerichtssälen wirkmächtigen Skandal der Lehre. „In der Regel“ verzichtet das Curriculum des Jurastudiums auf die Behandlung des Sexualstrafrechts. Das ist „nicht unproblematisch“, wie die Autorin vielleicht allzu milde formuliert. Denn zum einen werden „Personen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, die eigene Entscheidung verweigert, ob sie sich mit dem Thema befassen wollen (den anderen übrigens auch)“, zum anderen „bedeutet das Auslassen des gesellschaftlich hochrelevanten Themas eine Entprofessionalisierung im Umgang mit ihm“. Die Folgen haben die Opfer von Sexualstraftaten in den Prozessen gegen die in aller Regel männlichen TäterInnen zu tragen.
In seiner Genauigkeit ebenso instruktiv ist Lena Goreliks Aufsatz „über Sexismus, Rassismus und die Freiheit der Kunst“. Argumentativ weniger stark bleibt hingegen Seba-Nur Chermas in ihrer Stoßrichtung selbstverständlich berechtigte Polemik gegen „Antideutsche und andere Dogmaten“. Das liegt nicht zuletzt an der unklaren Struktur ihres Beitrags, die sich auch in der einen oder anderen Unstimmigkeit niederschlägt. So erklärt sie, es sei „gewinnbringend aufzuzeigen, dass zwischen Antizionismus und Antisemitismus nicht zu differenzierend ist“, macht aber genau das, wenn sie eine Seite weiter davon spricht, zwischen beiden bestehe ein „fließender Übergang“.
Eine weitere MitherausgeberIn, Eva Berendsen, verortet den „Bilderbuchfeminismus von #MeToo zwischen Populismus, aktivistischen Reflexen und neurechtem Punk“. Anders als diese polemisch zumindest überspitzte Formulierung erwarten lässt, weist sie einige unberechtigte Kritiken an der Bewegung zurück. So zeigt sie etwa, dass der „Vorwurf, MeToo würde Frauen auf ihre Rolle als Opfer festnageln, nur mittelmäßig [zieht]“, da „gute Opfer schweigen“. Außerdem weist sie die Kritik, „MeToo würde sich in überkommener differenzfeministischer Tradition auf die Belange von Cis-Frauen konzentrieren“ und sei zudem „klassizistisch und elitär“, als unzutreffend nach. Doch übt sie auch Kritik an #MeToo und moniert mit Susan Faludi, dass die Hashtag-Bewegung sich auf die Täter konzentriere, statt auf „sozioökonomische Strukturen, die Geschlechterungleichheit absichern und immer wieder neu herstellen.“ Das alles ist ziemlich überzeugend. Nicht so allerdings, dass auch sie von „sexualisierter Gewalt und sexueller Belästigung“ schreibt und so dem gängigen feministischen Konzept folgt, demzufolge zwar Belästigungen sexuell sein können, nicht aber Gewaltverbrechen, die stets nur sexualisiert seien. Wie abwegig diese Vorstellung ist, lässt sich leicht an einem Beispiel verdeutlichen: Wenn ein Mann eine (ihm möglicherweise sogar unbekannte) Frau unerwünschter Weise auffordert: „Lass uns ficken“, ist das eine sexuelle Belästigung. Soweit, so klar. Wenn sie empört ablehnt und er daraufhin vom Wort zur Tat schreitet und sie vergewaltigt, soll er mit seinem Verbrechen nicht mehr genuin sexuelle, sondern nur noch sexualisierte Gewalt ausüben. Das soll mal eine verstehen.
Zu den Beiträgen, die sich weit vom eigentichen Thema des Banes entfernen, zählt auch derjenige von Jánis Erkens und Meron Mendel, die sich den unsäglichen „‚Pink-Washing’-Vorwürfen entgegenstellen, die von der antisemitischen Linken gerne gegen Israel erhoben werden. Sama Maani wiederum kritisiert die „Ideologie der ‚vollen Identität’“ mit zwar nicht immer ganz neuen, aber stets guten Argumenten:
Wer nicht müde wird, ‚Islamophobie’ oder ‚Islamfeindschaft’ als rassistisch zu bezeichnen (oder den neuen Rassismus als ‚antimuslimisch’ zu etikettieren), erklärt den Islam, ohne es zu bemerken, zu einer ‚rassischen’, quasi genetischen Eigenschaft von Arabern, Türken oder Iranern – eine ihrerseits zutiefst rassistische Position.
„Nicht die Angst vor einer – oder die Ablehnung einer – Glaubenslehre“ ist rassistisch, sondern „einzig die fixe und falsche Verknüpfung von Herkunft und Religion“. Auch findet es Maani „absurd“, alle Konsequenzen, die sich aus den „patriarchalischen Strukturen in islamisch geprägten Gesellschaften“ ergeben, nicht dem Islam anzulasten, sondern die „magischen fünf Buchstaben ‚ismus’“ hinzuzufügen. Wäre der Sexismus islamischer Gesellschaften aber nicht islamisch, sondern islamistisch „inspiriert“, argumentiert er schlagend, hätte es diesen in islamischen Gesellschaften vor dem Aufkommen des Islamismus in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts nicht geben können.
Im abschließenden Text melden sich die HerausgeberInnen noch einmal selbst zu Wort und weisen darauf hin, „dass die emanzipatorische Kritik ja die Kritik an jeglicher Herrschaft – auch jener durch eine Zwangsidentität – ist oder sein sollte“, und betonen zusammenfassend, dass sich „die ‚bessere’ Identitätspolitik nicht im Eintreten für Partikularinteressen [äußert], sondern im Streit für (Individualität im) Pluralismus“.
Zwar lassen einige wenige der essayistischen Beiträge einen klaren argumentativen Aufbau vermissen (von dem literarischen erwartet man das nicht), doch wird man keinen von ihnen völlig verwerfen. Einige von ihnen, und das sind die argumentativ klarsten, sind sogar ausgesprochen instruktiv.
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