Begierde in ihren düstersten Formen

In Kristen Roupenians Anthologie „Cat Person“ reiht sich ein Schockmoment an den anderen

Von Michelle HegmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michelle Hegmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Kurzgeschichte Cat Person der US-amerikanischen Kristen Roupenian avancierte Ende 2017 zu einer literarischen Ausnahmeerscheinung. Im New Yorker publiziert, wurde sie innerhalb kürzester Zeit 2,6 Millionen Mal in den sozialen Netzwerken geteilt, in Internetforen, Bars und Hörsälen mit Leidenschaft besprochen. „Die meistdiskutierte Short Story aller Zeiten“ erschien pünktlich zum Startschuss der #MeToo-Bewegung, weshalb man nicht umhinkam, sie als Debattenbeitrag zu lesen. Die Geschichte eines missglückten ersten Dates, nach dem die Protagonistin trotzdem mit ihrem unbeholfenen und unsensiblen Bekannten schläft, um ihn nicht bloßzustellen, ermutigte Frauen dazu, im Internet von ähnlichen Sexerlebnissen zu berichten. Viele Männer reagierten mit Ablehnung und fühlten sich durch ihre machohafte Darstellung in der Erzählung diskriminiert – selten griffen Fiktion und Realität derart ineinander.

Nach diesem Presseecho ließ der Buchvertrag nicht lange auf sich warten und mit Cat Person veröffentlicht Roupenian ihren ersten Sammelband, der neben der titelgebenden Kurzgeschichte elf weitere enthält. Die Autorin schreckt vor keinem Genre zurück: Von Horror über magischen Realismus bis hin zur Erotik erzählt sie mit sprachlicher Schlichtheit von Macht, sexualisierter Gewalt und zerstörerischen Fantasien.

Die 20-jährige Collegestudentin Margot lernt während ihrer Arbeit im Kino den Mittdreißiger Robert kennen und nach wochenlangen Unterhaltungen via Textnachrichten gehen die beiden miteinander aus – wobei Margot feststellen muss, dass ihr Gegenüber nicht annähernd so viel Scharfsinn und Witz an den Tag legt wie in seinen wohlformulierten SMS. Nach einem schrecklichen ersten Kuss entscheidet sie sich trotzdem dazu, ihn nach Hause zu begleiten, denn ihr gefällt die Vorstellung, „wie erregt er sein würde, wie hungrig und versessen darauf, sie im Bett zu beeindrucken“. Als Robert sich auszieht, überkommt Margot allerdings Unbehagen und sie kann nur an eins denken:

Der Gedanke daran, was es an Aufwand bedeuten würde, jetzt zu stoppen, was sie in Bewegung gesetzt hatte, war überwältigend. Es hätte ein Maß an Takt und Sanftmut gebraucht, das sie sich nicht vorstellen konnte, aufzubringen. Das Problem bestand nicht darin, dass er sie zu etwas zwingen könnte, was sie nicht wollte. Eher darin, dass, wenn sie jetzt drauf bestand, aufzuhören, nach allem, was sie unternommen hatte, damit es so weit kam, es sie mies und launenhaft hätte aussehen lassen.

Also lässt sie den unbefriedigenden Geschlechtsverkehr zu, flüchtet danach in ihr Wohnheim und meidet jeglichen Kontakt zu Robert. Sie ignoriert seine Nachrichten, die mit „Ich vermisse dich“ beginnen und mit „Schlampe“ enden – mit dieser Beschimpfung schließt die Erzählung Cat Person ab.

Die Autorin demonstriert, wie die Kommunikation zwischen den Geschlechtern im 21. Jahrhundert scheitern, zu was das Alters- und Machtgefälle zwischen Mann und Frau führen kann. Margots Gefügigkeit resultiert aus ihrem anerzogenen, weiblichen Narzissmus, der ihr weismacht, von Männern begehrt zu werden, sei bedeutsamer als das eigene Begehren. Roupenians Geschichte bewegt sich in einer Grauzone von #MeToo und trifft gerade deshalb einen Nerv. Margot ist kein Opfer sexualisierter Gewalt, doch ist der Anspruch an Frauen, nicht prüde oder launenhaft zu wirken, nach wie vor präsent. Aus diesem Grund leben viele Frauen männliche Sexualität aus, nicht aber die eigene. Man lobt die Autorin zurecht, mit Cat Person die „Lebensgefühle der Millennials“ eingefangen zu haben.

Wer nach einer leichten Lektüre zum Abschalten sucht, sollte den Erzählband in der Buchhandlung stehen lassen, denn die Geschichte um Margot und Robert ist noch die zurückhaltendste. Von den weiteren elf zeigt sich eine schonungsloser und verstörender als die andere. In Böser Junge bietet ein Pärchen ihrem Freund einige Wochen Obdach, woraus sich ein perfides Machtspiel entwickelt. Sie machen ihn zu ihrem Sexsklaven, kontrollieren jeden seiner Schritte und zwingen ihn am Ende zu einer grausamen Tat. In Beißerin reißt die Einzelgängerin Ellie ihrem Vorgesetzten mit ihren Zähnen ein Stück seines Gesichts heraus. Die Geschichte Ein netter Typ beginnt mit dem Satz: „Seit er 35 war, konnte Ted beim Sex nur einen hochkriegen und steif bleiben, wenn er sich vorstellte, dass sein Schwanz ein Messer war und die Frau, mit der er gerade schlief, sich daran aufschlitzte.“ Dies ist nur ein Vorgeschmack auf die Figuren, die ihre Fantasien von Sex, Macht und Gewalt mal mehr und mal weniger bereitwillig preisgeben.

Neben der Brutalität überrascht Roupenian mit ihrem Gespür für fantastische Elemente. Mit Der Spiegel, der Eimer und der alte Knochen und Vernarbt präsentiert sie einfallsreiche sowie geschickt erzählte Parabeln auf die zeitgenössische Selbstsucht der Millennials. Erschreckend ehrlich schreibt sie über die Abgründe sexuellen Begehrens in Todeswunsch. Der frisch geschiedene Ich-Erzähler verschanzt sich seit Wochen in einem Motelzimmer, wobei sein einziger Kontakt zur Außenwelt die Frauen sind, die er auf Tinder kennenlernt. Zu ihnen gehört auch die namenlose Frau, die auf ein erstes gemeinsames Abendessen verzichtet und direkt vor seiner Zimmertür steht. Es dauert keine fünf Minuten, bis sie ihm von ihrer „speziellen Vorliebe“ erzählt und was er tun müsse, damit sie in Stimmung kommt: Er soll erst mit aller Kraft auf sie einprügeln, bevor sie danach Sex haben würden. Was für den Ich-Erzähler folgt, ist ein Wechselbad der Gefühle. Anfängliches Entsetzen weicht zögerndem Interesse und schließlich Akzeptanz – so wird aus dem „netten Typen“ im Laufe der Handlung ein gewalttägiger Mann, der sich die Ausrede zurechtlegt, dass in seinem Motelzimmer immerhin mal eine Frau sitzt, die weiß, was sie will.

Viele Figuren in Cat Person verspüren die Sehnsucht nach etwas Besserem, nach etwas, das sie aus ihrem Elend befreit. Einige von ihnen sind reflektiert genug, um die Störfaktoren in ihrer zwischenmenschlichen Kommunikation auszumachen und können sie doch nicht beseitigen. In einer Zeit, in der das Selbstwertgefühl von Likes auf Facebook und dem Herz-Button auf Instagram abhängt, kämpfen sie sich durch die Irrungen und Wirrungen des modernen Datings. Sie wollen lieben. Wenn sie es tun, verlieren sie jeden Halt.

Roupenian lässt in ihren Kurzgeschichten immer etwas auf drastische Weise entgleisen – die Handlung, ein Individuum oder eine Beziehung. Die radikalen Entgleisungen haben Pädophilie, Nekrophilie, Blut und Mord zur Folge. Die Autorin legt damit ein Debüt vor, das nicht nur über die Grauzonen von #MeToo erzählt – es nimmt ihre Leser*innen mit auf eine Höllenfahrt durch die Untiefen menschlicher Sexualität in ihren düstersten Formen. Es verwundert nicht, dass sich der Programmanbieter HBO bereits die Filmrechte für Cat Person gesichert hat. Die ungewöhnlichen Charaktere und die komplexen Verbindungen zwischen Geschlecht, Sex und Macht bieten genügend provozierende Bilder, die uns gleichzeitig anziehen und abstoßen.

Titelbild

Kristen Roupenian: Cat Person. Storys.
Übersetzt aus dem Englischen von Friederike Schilbach und Nella Beljan.
Blumenbar Verlag, Berlin 2019.
283 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783351050573

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