De criminis natura – Die Ergründung des Verbrechens

Eine Diskussion über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der weltweiten Krimi-Literatur

Von Daniel KostRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Kost

Veranstaltung im Rahmen der Frankfurter Buchmesse:

Verbrechen kennt keine Grenzen – oder doch?
Die Welt im Spiegel des Kriminalromans. Eine Kontroverse


Gäste:

Jim Davis (James Madison-Davis) – Mitglied des IACW (International Association for Crime Writers)

Nikita Filatov – Mitglied des IACW

Jens J. Kramer – 1. Vorsitzender des Vereins zur Förderung deutschsprachiger Kriminalliteratur Das SYNDIKAT


Moderation:

Nina George – Präsidentin des EWC (European Writer’s Council)

Krimi ist nicht nur in Deutschland ein beliebtes Genre, doch bedeutet ‚Krimi‘ nicht überall dasselbe. Jim Davis beschreibt den Trend des hartgesottenen Einzelgängers, der entweder durch die Großstädte der USA oder die Sumpflandschaften im Süden dem Verbrechen nachgeht. Der Fokus liegt auf dem Unbekannten im Bekannten und auf dem Individuum. Dagegen sieht Jens Kramer die Präferenzen in Deutschland bei dem sog. cozy crime: Teils Reisebericht, teils Alltag, teils Thriller, wo auf explizites Verbrechen verzichtet werden kann. Und wo Frauen neuerdings vermehrt als Täter auftreten statt als Opfer – was sich allmählich auch im ganzen Genre und international etabliert. Dass sich in den Staaten eher Familiäres und im Deutschen Fremdes durchsetzt, werde ebenfalls von den erworbenen Lizenzen in den jeweiligen Ländern gespiegelt. Hierzulande gebe es die Wellen der britischen, amerikanischen und letztlich skandinavischen Literatur, die das Phänomen ‚Regionalkrimi‘ umspülen wie Felsen in der Brandung. Eine deutsche Phase bleibt bisher aus, wie Kramer hinzufügt.

Durch Inhalt, Handlungsort oder Ursprung allein werden Krimis nicht bestimmt. Es kommt auch auf die Funktion an, die sie erfüllen, jenseits von Unterhaltung. Vor allem die Frage, ob es sich um Literatur handelt, wird aufgeworfen, worauf Nikita Filatov reagiert: Für ihn geht es um Kultur, und das Verbrechen bzw. das Schreiben darüber und davon gehört dazu. Es ist das Zeigen von Werten und ihre Aufrechterhaltung in Ausnahmefällen. Durch diese Vorbilder an Courage, Entschlossenheit und nicht zuletzt Gerechtigkeit kann die Realität inspiriert werden und die Fiktion imitieren. Diese Funktion erfüllt für den russischen Autor bereits Jules Verne in Hinblick auf technische Innovation.

Krimis müssen allerdings nicht fokussiert politisch oder sozialkritisch sein, so Kramer; Davis führt zudem an, dass allzu politisierende Bücher tendenziell unattraktiv für Leser ausfallen. Aber, wie Ersterer betont, müssen dennoch vor allen Dingen mögliche Szenarien entworfen werden, um glaubhaft zu sein. Dazu sei es erforderlich, weniger Kritik zu üben und vielmehr Schwachstellen innerhalb unserer Gesellschaften zu erkennen, aufzuzeigen und auszunutzen – bis zur Voraussage von Straftaten. Und nicht daraus resultierend, aber eng zusammenhängend damit ist seine Beobachtung, dass Krimis, wie so viele andere Genres auch, das bieten, was der Leser in der Realität nicht findet: Risiko und Spannung. Unter Bewohnern von Krisenzonen oder oppressiven Regimes existiert weder Angebot noch Nachfrage nach Krimis.

Die alleinige Existenz von Kriminalliteratur, so folgert Kramer, spiegelt daher den tendenziell friedlich-sicheren Stand unserer Gesellschaften wider. Sie trägt dazu bei, diesen Zustand beizubehalten; sie motiviert ebenso wie sie von den sie umgebenden Umständen beeinflusst wird. Sie befriedigt die Sehnsucht nach Aufregung, nach Neuem und Fremdem (auch oder gerade im Heimisch-Bekannten), und schärft die Aufmerksamkeit gegenüber Details unserer Wirklichkeit.

Vor allem Letzteres zeichnet Krimi, wenn man nach Ansichten von z.B. Peter Stamm oder Esther Kinsky geht, als Literatur aus. Wie Nina George festhält: „Crime is culture“, und ich stimme zu, bei so vielen Fragen, denen in dieser Diskussion nachgegangen worden ist, aber besonders wegen der vielen Ansätze, Erkenntnisse und Rückschlüsse, die ermöglicht werden – auf andere Genres, Umstände und, nicht zuletzt, auf Kultur.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen