Literatur und Theorie als Herzensangelegenheit

3sat-Preisträger Yannic Han Biao Federer unterwegs auf der Frankfurter Buchmesse

Von Anna Christina KöbrichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anna Christina Köbrich

Yannic Han Biao Federer kann bereits auf ein ereignisreiches Jahr zurückblicken: Veröffentlichung des Debütromans Und alles wie aus Pappmaché im Februar bei Suhrkamp Nova, daraufhin überwiegend wohlwollende Kritiken, zahlreiche Lesungen und im Juni der Gewinn des 3sat-Preises beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt. Auf der Frankfurter Buchmesse stand er für die Beantwortung von allerlei Fragen zur Verfügung, gewährte dabei Einblicke in seine Produktionsästhetik, äußerte sich zu seinem Umgang mit Kritik und gab Auskunft darüber, was ihm Literaturpreise bedeuten.

Der 1986 geborene Schriftsteller und Literaturwissenschaftler wird für seine empathisch und distanziert geschilderte Coming-of-Age Story Und alles wie aus Pappmaché vielfach gelobt. Achronologisch in Episoden erzählt, erstreckt sie sich über einen Zeitraum von 2001 bis zur Gegenwart und lässt sich als Porträt der Generation Y lesen. Und nicht nur von Kritik und Presse wird er rezipiert, Clemens Setz inspirierte Federers in Klagenfurt gelesener Wettbewerbstext Kenn ich nicht zu einem Haiku.

Literaturkritik ist in Federers Augen „eigentlich ein Fortspinnen dessen, was im Buch steht – ein Versuch, Lesarten zu explizieren, sie gegeneinander zu verhandeln“. Sich damit zu beschäftigen, sei für ihn von Vorteil. So verwundert es nicht, dass auch in seinen Seminaren zum Kreativen Schreiben, die er an der Universität Bonn gibt, der Kritik neben Textproduktion und Performanz eine große Rolle zukommt.

Er selbst schreibt am liebsten in Ruhe zuhause am Schreibtisch, wenn nötig aber auch unterwegs. Laufend überarbeitet er seine erzählerischen wie auch seine wissenschaftlichen Texte. An letzteren reizt ihn, „auf eine ästhetische Art und Weise argumentieren zu können, durch Tropen und rhetorische Mittel Analytisches herauskehren zu können, das ohne diese Mittel nicht darstellbar wäre“. Er habe ein Faible für Theorie, denn ihre Abstraktionen sind für ihn „nichts anderes als Fiktionen. Es sind Erzählungen, die mehr oder weniger tauglich sein können für die Welt, die wir an ihr ausprobieren können. Und darin ist sie der erzählenden Literatur nicht unähnlich, es sind verwandte Textsorten“. Debütroman und Dissertation entstanden bei Federer zeitgleich, der Grenzbereich zwischen Literatur und Theorie interessiert ihn weiterhin. Ihm zufolge können beide Bereiche voneinander profitieren, sofern „beiden Diskursformationen ihr Eigenrecht gegeben wird, sie also nicht beliebig ineinander vermengt werden“. Wissenschaftliche Tagungen besucht er mit Genuss – fehlt ihm, wie in den letzten Monaten, angesichts zahlreicher Lesungen die Zeit für Tagungsbesuche, lässt er sich die Vorträge schicken, denn die wissenschaftliche Reflektion ist ihm, neben dem literarischen Schreiben, eine Herzensangelegenheit. Jahrelang schrieb er parallel an Dissertation und Debütroman: Am frühen Morgen saß er am Roman, am Abend war er mit der Doktorarbeit beschäftigt, tagsüber widmete er sich der Beschaffung seines Lebensunterhalts – zunächst als Studiengangsmanager am Institut für Germanistik der Universität Bonn, seit Herbst 2018 als Mitarbeiter in der Programm- und Öffentlichkeitsarbeit im Literaturhaus Köln. 

Erzählende Texte habe er eigentlich schon immer geschrieben, doch zufrieden war er nie. Zur Zeit seiner Masterarbeit reifte schließlich der „Jetzt oder nie“-Gedanke, diszipliniert begann er, dem Schreiben oberste Priorität einzuräumen, „erkämpfte“ sich Schreibzeiten – „und dann entstanden Texte“, mit denen er sich traute, „rauszugehen“. In die Öffentlichkeit wagte er sich mit Erzählungen, die ab 2015 in Literaturzeitschriften und Anthologien erschienen. Die Anerkennung in Form von Auszeichnungen ließ nicht lange auf sich warten, 2016 erhielt er den Förderpreis der Wuppertaler Literatur Biennale, 2017 das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium, 2018 den Hauptpreis der Wuppertaler Literatur Biennale und den Harder Literaturpreis. Für Aufsehen sorgte Federer 2019 insbesondere in Klagenfurt, da er nicht nur den 3sat-Preis gewinnen konnte, sondern auch in die Stichwahl um den Bachmann-Preis, den Kelag-Preis und den Deutschlandfunkpreis gelangte. Auf die Frage, was ihm die Literaturpreise bedeuten, antwortet er: „Wahnsinnig viel. Das Schreiben mit dem Leben zu vereinbaren, ist ja oft ein Kampf, ein Abstrampeln, ein Marathonlauf. Preise und Stipendien sind da wie eine Parkbank im Schatten eines Baumes, auf der man kurz ausruhen darf. Und dann geht es weiter.“

Als nächstes wird im Januar 2020 im Bielefelder transcript-Verlag seine Dissertation unter dem Titel Masse & Apokalypse. Zur narrativen Entfaltung einer autoritären Konstruktion im Zombie-Genre erscheinen. Federer untersucht darin die Verknüpfung von Masse und Apokalypse in Romanen, Comics, TV-Serien und Spielfilmen des Zombie-Genres und vergleicht sie mit parallelen Konstruktionen autoritärer Theoriediskurse, etwa in der Massenpsychologie Gustave Le Bons und Sigmund Freuds sowie in Carl Schmitts Politischer Theorie und Theologie. Und auch auf einen weiteren Roman, der wohl in absehbarer Zeit erscheinen wird, darf man hoffen – und gespannt sein, ob Federer wie beim diesjährigen Bachmann-Preis mit Alter Egos spielen wird, ob etwa eine Häufung der (bereits aus dem Debütroman bekannten) repetitiven und ausgewogenen Satzkonstruktionen seinen Texten vermehrt impressionistisch-kontemplative Züge verleihen wird, oder ob er in eine ganz andere Richtung gehen wird.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen