Vier Lamas und ein Dachs – und Onkel Stan

A.L. Kennedy reiht in „Onkel Stan und Dan und das fast ganz ungeplante Abenteuer“ eine Absurdität an die nächste

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Das weltberühmte McGloone-Lamaparadies. Willkommen im sonnigen Schottland! Hängematten in Spitzenqualität. Ballettunterricht rund um die Uhr. Kein Pieksen mit Stöcken. Wählen Sie kein minderwertiges Paradies! Sondern McGloones McTolles McFerienziel“. So lautete die Anzeige, die in den „Lama-Nachrichten aus Lima“ stand. Abenteuerlustige Lamas waren aufgefordert worden, kurze Gedichte zum Thema „Warum sind Socken nützlich?“ zu schreiben. Den vier Lamas mit den besten Gedichten winkte ein Gratisurlaub „auf der ganz wunderbaren McGloone-Farm“ im sonnigen Schottland, hieß es.

Aber wie schrecklich ist die Wirklichkeit: „Die McGloone-Farm ist keine nette Farm, und Farmer McGloone ist kein netter Mann, seine Frau McGloone ist keine nette Frau, und die fünf McGloone-Kinder sind die fiesesten Kinder, die ich je gesehen habe. Und seine McGloone-Schwestern sind noch schlimmer. Die popeln in der Nase und wischen sich dann die Finger an meinen Ohren ab“, sagt Bert. Zusammen mit Jennifer, Ginalollobrigida und Carlos Lama steht er im schottischen Regen auf einem nassen Hügel: „Sie waren vollkommen durchnässt und unter ihrem Fell schon ganz schrumpelig, als hätten sie zu lange in der Badewanne gelegen.“ Überall ist es sonnig und trocken und schön, nur auf ihrem Hügel regnet es. Und ihr schönes Lamafell schützt sie auch nicht, denn sie haben fast keines mehr: Farmer McGloone und seine Frau haben ihnen alles abgeschnitten, was nur ging – Lamawolle kann man teuer verkaufen.

Ja, den dummen Lamas – pardon, das kann ich ihnen nicht ersparen – geht es nicht gut. Aber sie sind nicht die einzigen. Da ist auch noch der Dachs Dan. Tapfer und sehr ansehnlich ist er, aber jetzt hat er sich von den Schwestern McGloone übertölpeln lassen. Sie haben ihn geschnappt und in einen Sack gesteckt, der seine Schnurrhaare total verbiegt. Er hat sich verlaufen, was ihm ein bisschen peinlich ist, weil er immer ein berühmter Entdecker werden wollte. „Es gab viele berühmte Dachs-Entdecker – Horatio Dachs zum Beispiel, der im Kanu den Himalaja umrundet hatte; oder Matilda Dachs, die in Amerika mit den Büffeln über die großen Prärien gelaufen war, bis sie im Alter von 87 Jahren an Aufregung gestorben war.“ Und nun Dan.

Es wird nicht besser, als er aus dem Sack gelassen wird, denn da sieht er die beiden hässlichsten und schrecklichsten Frauen, die er je gesehen hat: Esther McGloone und Martha McGloone. Noch schlimmer wird es, als er hört, dass er gegen ihre Hunde kämpfen soll und danach zu Pastete verarbeitet wird. Und am schlimmsten, als er dann den Hunden begegnet, die noch furchteinflößender und fieser als die beiden Schwestern McGloone sind – falls das überhaupt möglich ist.

Nobelpreis für A.L. Kennedy

A.L. Kennedy (Alison Louise) ist eine der bekanntesten britischen Autorinnen, die vor allem Romane über die Liebe schreibt: Eine oft abstruse, verdrehte, auch sexuell nicht immer „normale“ Liebe, aber eine, die sich oft genug auf seltsame Art verwirklicht. Ihre Personen werden oft glücklich, auf unerwartete Weise, oder sie sind es bereits. Vor Jahren habe ich bereits prophezeit, dass sie einmal den Nobelpreis für Literatur erhalten wird, sie hat mir geantwortet, dass sie mich dann in ihrer Dankesrede erwähnen wird (das habe ich schriftlich), ich sei nämlich der erste.

Kennedy ist auch eine in Großbritannien bekannte Stand-up-Comedian, und jetzt ist sie auch noch Kinderbuchautorin. Ihr von abstrusen Charakteren wimmelnder Roman Onkel Stan & Dan und das fast ganz ungeplante Abenteuer ist letztes Jahr nicht, wie ihre Erwachsenenromane, beim Hanser Verlag, sondern in einem Schweizer Kinderbuchverlag erschienen. Man merkt ihm an, dass er ursprünglich dazu gedacht war, flott und frisch erzählt zu werden – die Autorin hat die Geschichte erfunden, um ihre „Patenkinder“ Honor und Xavier, die Zwillinge der britischen Schauspielerin Tilda Swinton, zu unterhalten: Eine Abstrusität folgt auf die nächste, ein Einfall jagt den anderen, und die Charaktere sind so unglaubhaft und überzeugend, dass es einen Heidenspaß macht, sie zu verfolgen und auf die nächsten Schritte zu warten. Hinter der Ecke lauert bereits meist eine neue Facette der Absurdität.

Natürlich muss Dan nicht gegen die riesigen, lebensgefährlichen Hunde kämpfen, denn Onkel Stan kommt ihm und den etwas dümmlichen Lamas zu Hilfe. Onkel Stan, mit seinen schlaksigen Armen und schlenkernden Beinen, knochigen Knien und ohne Socken – die Hälfte seines letzten Paars hat er einem jungen Eichhörnchen geschenkt, „das Campingurlaub spielen wollte und den Socken als Schlafsack brauchte“ –, in einer Hose voller Löcher und Risse, „die er nicht flickte, weil er damit abenteuerlicher aussah“, mit einer Hosentasche voller überbackener Käsestangen und in der anderen eine dösende Maulwurfsmutter … ja, Onkel Stan war schon ungewöhnlich: „Seine Augen waren so blau wie der Himmel an einem schönen Ferientag am Meer mit Kartoffelchips und Eiscreme“. Er war befreundet mit einem sehr ernsten Pferd namens Paul, das nichts von Witzen verstand und eigentlich in Wales lebte.

Rettung durch Tanzen

Und dann entdeckt Onkel Stan Dachsspuren und, als er ihnen nachgeht, auch den gefangenen Dachs. Und sieht auch die unglücklichen Lamas. Und er weiß: „Da muss doch was unternommen werden … Also … brauche ich noch einen Plan…“. Wie jeder Plan muss auch dieser immer wieder angepasst werden. Trotz einiger Schwierigkeiten bei der Umsetzung desselben klappt er am Ende aber dennoch. Ganz am Ende. Und das hat nicht nur mit Onkel Stans Tanzerei zu tun, sondern auch mit den vielen kleinen Tieren, die Onkel Stan mochten, und der Fähigkeit der Lamas, doch einmal zu hüpfen oder zu springen.

Bis dahin hat der Leser eine Menge Spaß an absonderlichen, unergründlichen, seltsamen, chaotischen Abenteuern, die Onkel Stan und Dan miteinander erleben. Die Bösen werden natürlich bestraft, denn Tiere soll man nicht ausnützen und auch nicht aufeinander hetzen, sondern man soll sie wie Freunde behandeln, dann werden sie auch Freunde – das ist so ungefähr die Moral von der hochwitzigen Geschichte. Die andere: Dass man ruhig ziemlich skurril sein kann, das fügt dem Leben nur ein wenig Farbe hinzu.

Gemma Correll hat diese Geschichten mit schrägen und sehr ironischen Bildern illustriert, die auf einen Blick die Charaktere deutlich machen – wenn zum Beispiel die Hobbys von Knarre (einem der McGloone-Kindern) gezeigt werden: „Wolken anschreien, Pickel wachsen lassen, Nasenlocher erforschen, lautlos pupsen.“ Da ist selbst die Wolke missgelaunt. Oder wenn man unter der Überschrift „Wofür Lamas nicht bekannt sind“ eines schwitzend und stöhnend über eine Mauer klettert, ein anderes mit dem Schäufelchen in der Klaue einen Geheimtunnel gräbt und das dritte mit Kuhmaske verkleidet vor der Bushaltestelle steht. Das sind nur kleine Striche, oft sind die Dinge, die zu sehen sind, auch noch mit Pfeilen und Schrift bezeichnet, sodass man eine dampfende Schüssel sieht, auf die ein Pfeil zeigt, und darüber steht „Sauce mit Mäuseohren“ – oder einen Topf mit allerlei komischen Gemüsen mit der Aufschrift „Richtig ekliges Lamafutter“. Ein zweiter Band ist auch schon erschienen: Onkel Stan und Dan und das ungeheuerlich ungewöhnliche Abenteuer“, mit einem schüchtern tanzenden Dachs, einem „Institut für Hochsicherheit und Heilung von Ungewöhnlichkeit“ und einer Anleitung, wie man das Geräusch von Dr. P’Kralls Zähnen nachmacht.

Titelbild

A. L. Kennedy: Onkel Stan und Dan und das fast ganz ungeplante Abenteuer.
Illustriert von Gemma Correll.
Übersetzt aus dem Englischen von Ingo Herzke.
Orell Füssli Verlag, Zürich 2018.
188 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783280035757

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Titelbild

A. L. Kennedy: Onkel Stan und Dan und das ungeheuerlich ungewöhnliche Abenteuer.
Übersetzt aus dem Englischen von von Ingo Herzke.
Orell Füssli Verlag, Zürich 2019.
270 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783280035825

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