Auf „ein Dönerli mit ooni Zwieble“ in die Schweiz
Yusuf Yeşilöz erzählt in seinem neuen Roman „Die Wunschplatane“, was sonst mit der Redewendung „Das ist eine lange Geschichte“ abgetan wird
Von Frank Riedel
Der letzte Roman von Yusuf Yeşilöz, Soraja (2014), liegt einige Jahre zurück, denn zuletzt hatte der Autor sich mehr mit Dokumentarfilmen beschäftigt. In Die Wunschplatane erweckt er nun die Schweizer Provinz zum Heimatort. Wer seinen Roman Hochzeitsflug (2011) gelesen hat, wird Safir und Narin, die Eltern eines homosexuellen Sohnes, der der Zwangsheirat mit Sahar ins Exil nach London entflieht, wiedererkennen und Safirs Geständnis und Überlegungen über ihr Zerwürfnis mit Beyto gebannt folgen. Noch sind die Wunden nicht ganz verheilt, aber das Geschehene wird dem intellektuellen Gast mit einem Abstand geschildert, der auf einen gewissen Verarbeitungsgrad schließen lässt.
Der Protagonist, ein Schweizer Schriftsteller kurdischer Herkunft, wird an ein Privatgymnasium eingeladen, um eine ganze Woche mit den smartphonesüchtigen Schülern einen Schreibworkshop durchzuführen. Unterkunft findet er in einer sehr ruhigen Pension, deren Besitzerin sich ebenso rührig in das Leben des Gastes einmischt wie sie ihren behinderten Bruder betreut. Zur kulturellen Wohlfühloase für den Ich-Erzähler wird aber Beytos Kebab House, ein Dönerladen, in dem der türkische Besitzer Safir den gebildeten Kurden wie einen Bruder willkommen heißt. Tagsüber entwickeln die Schülerinnen und Schüler sehr unterschiedliche eigene Texte weiter und lesen sie sich und dem Gast vor, in der Freizeit kümmert sich Safir mit seiner Frau Narin um ihn.
Jede Minute außerhalb der Schule wird von ihrer selbstlosen Gastfreundschaft, von Ehre, Freude und Brüderlichkeit bestimmt, die ab dem ersten Döner-Bissen das Verhältnis der beiden Männer aufdringlich, aber unausweichlich prägen. Die Welt ihrer Geschichten und Anekdoten voller Metaphern steht im Widerspruch zu Internet, Google und Smartphone. So würde mehr als die Hälfte der Schulklasse auf Nachfrage lieber auf ihren Vater als auf ihr Smartphone verzichten.
Während der Türke und der Kurde sich problemlos miteinander verstehen und ihren Gemeinsamkeiten über die politisch-historischen Grenzen hinweg frönen, versucht die Pensionswirtin Regine zwar interkulturell sensibel zu wirken, indem sie sich bemüht, den kurdischen Namen des Gastes korrekt auszusprechen, beklagt aber andererseits den abhanden gekommenen Dorfgeist, die afrikanischen „Eindringlinge“ und die Ehe ihrer beider Kinder mit fremdländischen Partnern als „Kulturerosion“. Sieht man von diesem stereotypen Detail in der Figurenzeichnung ab, findet man dennoch Gefallen an ihren von Yeşilöz gekonnt entworfenen, vielschichtigen Charakteren.
Der Roman ist unterhaltsam, amüsant und nicht immer an den richtigen Stellen in seiner Erzählkunst ausufernd. Er hinterfragt die Seichheit des virtuellen Mainstreams, verleiht aber gleichzeitig einigen der ernsten Themen inhaltlich-argumentativ keine Tiefe. Vielleicht liegt es in der Figur des gebildeten, hochgeschätzten Schriftstellers begründet, der seinen Auftrag an der Schule und die Hoffnung der türkischen Eltern mit der Homosexualität des Sohnes klarzukommen ebenso wenig ernst zu nehmen scheint, wie Yeşilöz die eigene Idee mit den vielen unterschiedlichen Erzählsträngen. Was in Erinnerung bleibt, ist ein Potpourri aus Anekdoten, Schüler-Geschichten und Rollenprosa. Eben ein Roman wie „ein Dönerli – mit ooni alles“.
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