Vom Büchlein zum Werk

Carl-Friedrich Bieritz, Clemens Cornelius Brinkmann und Thomas Haye schärfen mit dem Sammelband „Literarische Widmungen im Mittelalter und in der Renaissance“ den Blick für Dedikationen als eigenständige Textform mit literarischem Charakter

Von Lea ReiffRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lea Reiff

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zur Fixierung der Ergebnisse einer interdisziplinären Tagung erschienen, die vom 6. bis 8. März 2018 an der Georg-August-Universität Göttingen stattfand, nähert sich der Sammelband dem Thema Literarische Widmungen im Mittelalter und in der Renaissance aus drei Perspektiven: Die Beiträge beschäftigen sich mit literarischen Konzepten, Vorbildern und rhetorischen Mustern von Widmungen und damit verbundenen kommunikativen und performativen Praktiken. Sie untersuchen jedoch auch literatursoziologische Hintergründe „im Sinne der Mäzenatenforschung“, wenn es darum geht, das Verhältnis von Widmungsgebern und -empfängern, die extraliterarischen Funktionen von Widmungen oder die historischen Schaffens- und Rezeptionsbedingungen zu bestimmen. Tagung wie Sammelband reagieren auf das Desiderat einer systematischen Erforschung literarischer Widmungen, ohne allerdings den Anspruch zu erheben, diese Leerstelle zu füllen.

Bislang – so monieren die Herausgeber – habe der Fokus zu sehr auf gedruckten Büchern oder antiker Dedikationspraxis gelegen und so den falschen Eindruck erweckt, literarische Widmungen seien ein antikes beziehungsweise frühneuzeitliches Phänomen. Die „ansehnliche mediävistische Mäzenatenforschung“ könne dem nicht gegensteuern, da sie in mehrfacher Hinsicht zu kurz greife: Zum einen konzentriere sie sich zu stark auf volkssprachliche Literaturen und die Räume (vor allem weltliche Höfe), an denen diese hauptsächlich entstehe. Zum anderen behandle sie Widmungen allzu häufig als verlässliche Quellen, aus denen auf reale Gönnerbeziehungen geschlossen werde, und verkenne somit deren Literarizität.

Gemäß dieser diagnostizierten Forschungsleerstelle nehmen mittelalterliche Widmungen von der Karolingerzeit bis zum ausgehenden Spätmittelalter unter den insgesamt dreizehn Beiträgen den größten Raum ein. Dass sich der Titel dieser Rezension dennoch auf einen Aufsatz Karl Enenkels zum humanistischen Literaturbetrieb des 15. Jahrhunderts und damit auf frühneuzeitliche Phänomene bezieht, ist weniger einem Interessenschwerpunkt der Rezensentin geschuldet als der Griffigkeit, mit der das zugrunde liegende Zitat die Bedeutung literarischer Widmungen für erfolgreiche Publikationen in diesem Umfeld formuliert. Als Marsilio Ficino seine Übersetzung des Traumbuchs des Synesios von Kyrene unter dem Titel De vaticinio somniorum vollendet, rät der Florentiner Patrizier Filippo Valori seinem „Schützling“ Folgendes: „Marsilio, […] ein königliches Haupt würde diesem Buch besonders zur Ehre gereichen und es von einem nichtigen Büchlein zu einem großartigen Werk machen.“ In seinem Aufsatz zeigt Enenkel dann auch überzeugend, dass Widmungen für erfolgreiche Publikationen – für eben diese Transformation „ex pusillo […] grandiorem“ – unverzichtbar waren und auch ein Autor, der wie Ficino über großes soziales Ansehen verfügte, nur „in Begleitung einer Vermittlergestalt die Bühne der literarischen Öffentlichkeit“ betreten konnte. Enenkel zufolge handelt es sich bei der in Text und Bild gemäß dem Hofzeremoniell der petitio gestalteten Buchwidmung dementsprechend um einen rite de passage.

Alle Aufsätze zum humanistischen Literaturbetrieb des (ausgehenden) 15. Jahrhunderts veranschaulichen und nutzen eine von den Herausgebern einleitend festgestellte Verbesserung der Quellenlage im 14. und 15. Jahrhundert, die es erlaubt, literatursoziologische Hintergründe literarischer Widmungen auf Basis von Briefwechseln, Viten und anderen Texten näher zu beleuchten; zum Beispiel, „in welcher Weise Widmungen platziert wurden und welche Erwartungen Autoren mit ihren Dedikationen verbanden“, wie es Christian Heitzmann in seinem Aufsatz zu Widmungen als „Networking“ am Beispiel Leonardo Brunis, Poggio Bracciolinis und Giannozzo Manettis formuliert. In ähnlicher Weise profitieren Bernd Posselts Ausführungen zur Förderungs- und Dedikationspraxis anhand historiographischer Schriften Sigismund Meisterlins, Konrad Celtis‘ und Hartmann Schedels von einer „günstigen Überlieferungslage“, welche es unter anderem erlaubt, Spezifika des reichsstädtischen Literaturbetriebs herauszuarbeiten.

Wo sich die Quellenlage als weniger dicht erweist, realweltliche Reaktionen auf Widmungen nicht und Widmungsexemplare kaum überliefert sind, treten Dedikationen als „eigenständige Textform mit literarischem Charakter“ in den Fokus und lassen interessante Rückschlüsse auf Widmungspraktiken in Abhängigkeit „von den jeweiligen literarischen Traditionen und sprachdefinierten Diskursen“ zu – auch dort, wo Widmungstexte fehlen, wie Jürgen Wolf in seinen Überlegungen zur Widmungspraxis in der volkssprachig-deutschen Literatur der Blütezeit (1160–1230) zeigt. Seinen Untersuchungsgegenstand bilden „gehauchte Widmungen“, die „scheinbar beiläufig in Pro- und Epiloge, aber mehr noch in die Texte selbst eingeflochten“ werden und in Form von Akrostichen und anderen versteckten Referenzen in Text und Bild auf Dedikationspraktiken lateinisch-gelehrter Diskurse verweisen.

Einen Zusammenhang zwischen der Rezeption grammatischer Texte und der Form der darin enthaltenen Widmungen arbeitet Carmen Cardelle de Hartmann anhand dreier frühmittelalterlicher Traktate (Aldhelm, Bonifatius, Expossitio latinitatis) heraus: Der „freie Umgang der Rezipienten mit den grammatischen Texten“, die oft nur Auszüge abschrieben und Widmungen getrennt vom Haupttext der Traktate überlieferten, habe zu Versuchen geführt, Widmungen eng an den Haupttext zu binden. An Cardelle de Hartmanns Beitrag zeigt sich implizit auch die Aktualität literarischer Widmungen in unserer Gegenwart: Ganz im Geiste des Sammelbandes überschreibt sie ihren Aufsatz selbst mit einer Widmung an ihre „Studierenden, ohne deren Neugierde und kritischen Geist meine Forschung so viel ärmer wäre“.

Wird in dieser Rezension das Pferd quasi von hinten aufgezäumt, so folgt die Anordnung der Aufsätze innerhalb des Sammelbandes einer grob chronologischen Struktur. Wie die Herausgeber ausdrücklich erklären, handelt es sich dabei um eine bewusste Entscheidung: Die Schaffung einer diachronen Perspektive erweise sich als sinnvoll, da „das Widmungsgeschäft gerade auf Ebene der sozialen und kommunikativen Praktiken im Verlaufe des betrachteten Jahrtausends zahlreiche Veränderungen“ erfahre. Diese Veränderungen nachzuverfolgen erfordert allerdings nicht nur die vollständige Lektüre des Sammelbands, sondern auch die Formulierung einiger konkreter Fragestellungen seitens der Leser*innen. Mit insgesamt dreizehn Beiträgen aus Latinistik, Romanistik und Germanistik, die einen Zeitraum von ungefähr 1000 Jahren vom frühen Mittelalter und der Karolingerzeit (Carmen Cardelle de Hartmann, Franziska Schnoor, Clemens Cornelius Brinkmann) über das Hoch- (Thomas Haye, Bernhard Teuber, Carl-Friedrich Bieritz, Susanna Fischer, Jürgen Wolf) und Spätmittelalter (Marc-Aeilka Aris) bis zum Beginn der Frühen Neuzeit (Christian Heitzmann, Karl Enenkel, Bernd Posselt, Bernd Roling) abdecken, kann der Band schließlich nur Schlaglichter auf das Dunkel der eingangs postulierten Forschungslücke werfen. Die Frage der Herausgeber, ob es sich lohne, eine „Geschichte der Widmung“ zu schreiben, beantwortet sich damit von selbst.

Alle Leser*innen des Sammelbandes, die dieses Werk nicht unternehmen wollen, finden dank einer Auswahlbibliografie zum Thema und eines Registers der Personen- und Ortsnamen im weiten Feld der Widmungen schnell zum gewünschten Ziel. Dieser leserfreundlichen (wenn auch nicht unüblichen) Einrichtung des Bandes scheint ebenso wie der weitgehend chronologischen Anordnung der Beiträge eine reflektierte Grundsatzentscheidung der Herausgeber zugrunde zu liegen, denn zum Ende der Einleitung stellen sie fest: „In der Regel lesen nur wenige Menschen sämtliche Beiträge eines Tagungsbandes. – Dazu verpflichtet sind lediglich die jeweiligen Herausgeber sowie die zukünftigen Rezensenten.“ Eine Pflicht, die diese Rezensentin mit einigem Vergnügen erfüllt hat.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Carl-Friedrich Bieritz / Clemens Cornelius Brinkmann / Thomas Haye (Hg.): Literarische Widmungen im Mittelalter und in der Renaissance. Konzepte – Praktiken – Hintergründe.
Hiersemann Verlag, Stuttgart 2019.
346 Seiten, 164,00 EUR.
ISBN-13: 9783777219035

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