Wer ist schuld am Ersten Weltkrieg?

Christoph Poschenrieder hat einen unterhaltsamen Roman über Gustav Meyrink geschrieben

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine wirklich gute Idee: Der Krieg ist fast verloren, die Oberste Heeresleitung weiß das auch, und jetzt sucht sie einen Schuldigen. Einen, der am Krieg schuld ist, auf den man das abwälzen kann. Wie kann man das der Öffentlichkeit am besten beibringen? Man kann es ja nicht einfach selbst sagen, das wäre ein bisschen zu deutlich. Also beschließt man, einen bekannten Schriftsteller zu suchen, der einen Roman darüber schreibt. Am besten einen, der schon ganz andere phantastische Sachen so geschrieben hat, dass die Welt sie glaubt, zum Beispiel, dass es einen riesigen Golem gibt, der die Juden beschützt. Was sogar ein Bestseller wurde.

Und so klopft eines Abends ein hoher Beamter vom Auswärtigen Amt in Berlin an die Tür von Gustav Meyrink, während der eine Séance abhält, um die Geister der Toten zu beschwören, und überbringt dem überraschten Autor das Angebot, eben jenen Roman zu schreiben. „Wenn er außerdem unterhaltsam wäre, schadet es auch nicht.“ Meyrinks erste Frage ist natürlich, wer den Krieg angezettelt hat. Ironisch fragt er sogar, was ist, wenn er herausbekommt, dass es die Mohikaner gewesen sind.

Meyrink muss das Angebot überschlafen: Macht er sich damit nicht lächerlich? Er holt sich Rat bei Erich Mühsam, der meint, die Juden seien schuld, „wie immer, und an allem anderen auch.“ Nein, nicht schon wieder die Juden: „Wo bliebe da das Neue, Überraschende?“ Bolschewiki kämen in Frage, Sozialdemokraten. Oder die Friseure. Egal, Meyrink macht es. Oder versucht es jedenfalls.

Christoph Poschenrieder hat einen höchst amüsanten Roman geschrieben, der so phantastisch und gleichzeitig überzeugend ist, dass man nicht weiß, ob man ihm glauben soll oder nicht. Auch die eingestreuten Recherchenotizen machen es nicht klarer – sie könnten ja auch erfunden sein. Man traut es dem Autor jedenfalls zu. Die Erzählebenen wechseln immer wieder, auch das macht die Glaubwürdigkeit nicht größer. Der unsichtbare Roman spielt kurz vor dem Ende des Ersten Weltkriegs in München und in der Nähe von Meyrinks Wohnung. Er erzählt von den Anarchisten, die die Räterepublik gründen, von der revolutionären Stimmung und Mühsams Eifersucht auf Kurt Eisner, dem die Leute mehr zuhören als ihm. Er erzählt von Geistern und realen Bürokraten, erzählt Meyrinks Geschichte (eigentlich hieß er Meyer und war erfolgloser Bankier), mischt Anekdoten mit Fakten, Stimmungen mit inneren Monologen. Auch die Freimaurer mischen sich ein, denn sie bekommen mit, dass ihnen die Schuld am Krieg gegeben werden soll. Welchen Einfluss haben also Schriftsteller? Welchen Stellenwert Fake news? Was wäre wenn? Und was wissen wir wirklich? All das spielt in Der unsichtbare Roman eine Rolle, und dabei ist er so witzig und süffig geschrieben, mit einer überraschenden Wendung am Schluss, dass man sich gern von ihm ein paar Stündchen unterhalten lässt.

Titelbild

Christoph Poschenrieder: Der unsichtbare Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2019.
272 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783257070774

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