Eidechse lebe hoch!

Joachim Sartorius erzählt farbenfroh und anekdotenreich von der Welt der unscheinbaren Reptilien

Von Elisa RisiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Elisa Risi

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wohl die wenigsten Menschen könnten sich vorstellen, statt eines Hundes oder einer Katze eine Eidechse als Haustier zu halten – dabei scheinen sich die schuppigen Vierbeiner auf den ersten Blick als tierische Mitbewohner gut zu eignen: Sie sind klein, haaren nicht, machen keinen Lärm und lassen sich mit etwas Vorsicht sogar streicheln. Warum die Zauneidechse Billy dennoch nur vier Monate lang in seiner Charlottenburger Wohnung überleben konnte, davon und von anderen Dingen rund um die kleinen Reptilien berichtet Joachim Sartorius in Eidechsen, dem neuen Band der Naturkunden-Reihe des Berliner Verlags Matthes & Seitz, die von Judith Schalansky herausgegeben wird.

Die Bücher dieser Reihe widmen sich, wie dem Namen zu entnehmen, einem Teil der Natur, sprich Tieren, Pflanzen oder Pilzen, und liefern ein Porträt einer Art mit Blick auf Biologie und Geschichte, aber auch Literatur und Kunst. Die wechselnden Autorinnen und Autoren haben dabei oft einen persönlichen Bezug zu ihrem Anschauungsobjekt – so führt Joachim Sartorius in Eidechsen seine Faszination für die von anderen wenig beachteten Tiere auf seine Kindheit in Tunesien zurück, wo ihm die Eidechsen ständige Begleiter waren. Der Autor spannt ausgehend von dieser „Eidechsenkindheit“ in Tunis einen Bogen über die Lektüre von Lurchi-Comics der Schuhmarke Salamander in früher Jugend, die bereits erwähnte Berliner Hauseidechse Billy bis hin zu gegenwärtigen Urlaubsreisen nach Sizilien, bei denen die wärmeliebenden Eidechsen natürlich mit von der Partie sind.

Diese unterhaltsam erzählten Episoden aus seinem Leben verbindet Sartorius mit Exkursen in die Wissenschaft und Kulturgeschichte der Eidechse. So beleuchtet er die ersten Funde von Fossilien ausgestorbener Saurier um 1800 und die Entstehung der Paläontologie ebenso wie die frühen Mythen über Drachen in Europa und Asien. Neben einem kurzen Abriss der heutigen Kenntnisse über Eidechsen, der einige interessante Fakten zur Biologie der Tierart liefert, beschäftigt sich Sartorius auch mit Molchen und Salamandern. Diese gehören strenggenommen nicht zur Familie der Eidechsen, sind für den Autor aber untrennbar mit ihnen verbunden und bieten sich außerdem für weitere spannende Einblicke in die oft bizarre Welt des Tierreichs an.

Dabei lässt Sartorius zahlreiche Zitate aus antiken Quellen, mittelalterlichen Abhandlungen und zeitgenössischen Fachbüchern einfließen, die das jeweilige Bild, das die Menschen in ihrer Zeit von den Tieren hatten, nachvollziehbar machen und den restlichen Text gut abrunden. Der Autor überrascht außerdem mit vielfältigen Beispielen aus Literatur, Kunst und Musik, in denen die sonst so unscheinbaren Reptilien eine Rolle spielen: Man findet sie in Ovids Metamorphosen wie auch im Titel der Biografie von Jim Morrison, Der König der Eidechsen, in Renaissance-Gemälden und bei modernen Künstlern wie Joan Miró oder Max Neumann. Interessant wäre es noch gewesen, der Bedeutung, die die Eidechse in der heutigen (Pop-)Kultur einnimmt, weiter nachzugehen – man denke nur an die wiederaufkommende Begeisterung für Drachen im Zuge von Filmen und Serien wie Der Hobbit oder Game of Thrones. Diesen Bereich spart der Autor aber leider aus.

Ein Schwerpunkt der Betrachtung liegt dagegen auf Gedichten, unter anderem von Ingeborg Bachmann, Getrud Kolmar und Jan Wagner, in denen Eidechse, Salamander oder Grottenolm auftauchen. Diese werden von Sartorius teils vollständig zitiert und sogleich für die Leserinnen und Leser interpretiert, wobei die persönliche Begeisterung des Autors für diese Texte spürbar ist (und ansteckend wirkt). Tatsächlich ist das Buch aber dort am stärksten, wo Sartorius, selbst ein bekannter Lyriker, seine persönlichen Erfahrungen mit Eidechsen in poetische Bilder verdichtet:

Je länger ich die Eidechse betrachte, umso mehr verliere ich mein Zeitgefühl und versinke in eine Art von Echsentum, fühle die große Hitze auf meinem Nacken, den Schweiß in den Poren, ledrige Augenlider, ein staubiges Flimmern um mich herum. Die Eidechse ist unvermittelte Gegenwart, sie wird für mich in ihrem gebannten, angespannten Hiersein das heftig klopfende Herz der Erde.

Das Buch ist wie die vorherigen Titel der Reihe auch optisch ein Vergnügen: Fadengeheftet, mit farbigem Kopfschnitt und Frontspitz versehen, erweckt es den Charme heute fast vergessener Buchbindekunst. Dazu findet sich auf fast jeder Doppelseite eine Abbildung, darunter Reproduktionen von Kunstwerken sowie detailreiche Aquarelle und Zeichnungen verschiedener Eidechsen. Einziger Wermutstopfen ist, dass die vielen Illustrationen nicht immer so platziert sind, dass sie zum Inhalt des Textes passen, was angesichts der Fülle der Bilder aber kaum ins Gewicht fällt. Am Schluss erfolgt, wie in jedem Band der Naturkunden, eine Sammlung wichtiger Arten mit kurzer Biografie und ganzseitiger farbiger Porträtzeichnung. Damit bietet das Buch nicht zuletzt die Gelegenheit, beim nächsten Mittelmeer-Urlaub ganz genau hinzuschauen – vielleicht lassen sich so der ein oder andere stimmbegabte Mauergecko oder auch eine leuchtend grüne Smaragdeidechse entdecken und bestaunen.

Titelbild

Joachim Sartorius: Eidechsen. Ein Portrait.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2019.
136 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783957577917

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