Das konservative Leitmedium kommt in die Jahre

Peter Hoeres historisiert die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“

Von Karl AdamRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karl Adam

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An Selbstbewusstsein fehlte es den Machern dieser Zeitung nie: In Ermangelung eines Außenministers wolle das Blatt „eine Stimme Deutschlands in der Welt sein“, heißt es im Leitartikel der ersten Ausgabe vom 1. November 1949, vor nunmehr 70 Jahren. „Es gibt Staaten, die verdanken ihre Unabhängigkeit den Kommentaren der Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, kündet stolz eine Verlagsbeilage zum Jubiläum mit Blick auf Kroatien und Slowenien. Am „Flagschiff des deutschen Qualitätsjournalismus“, am „konservativen Leitmedium“, am „Zentralorgan des Bürgertums“, hinter dem „immer ein kluger Kopf“ steckt, ist die Krise der Printmedien freilich auch nicht vorübergegangen. Das Minus der verkauften Auflage von 43,4 Prozent seit 1998 auf 226.678 Exemplare im dritten Quartal 2019 spricht eine deutliche Sprache. „Zur allgemeinen Krise der Branche kommt bei der ,FAZ‘ dazu, dass die Herausgeber gerade selbst das perfekte Bild liefern, das die Krise des Blattes illustriert und personifiziert. Vier Männer über fünfzig, drei davon mit Bart“, schrieb spitz DER SPIEGEL.

Die voluminöse, faktengesättigte Geschichte der FAZ, die der Würzburger Historiker Peter Hoeres jetzt unter dem Titel Zeitung für Deutschland vorgelegt hat, ist weit mehr als das; sie ist auch ein gewichtiges Stück Politik-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Behände wird der Leser durch sieben Jahrzehnte Zeitgeistdebatten geführt und trifft dabei auf schillernde Gestalten wie Erich Welter, Paul Sethe, Joachim Fest, Marcel Reich-Ranicki oder Frank Schirrmacher. Ein Sittengemälde der alten Bundesrepublik ist das, ein Kompendium planetarisch großer Egos mit ihren Macken und Mätzchen, von Machtkämpfen unter Koryphäen, von Rückzugsgefechten und Selbstverortungen auf der Suche nach dem spezifisch „Konservativen“. Das ist nicht nur instruktiv, sondern auch noch spannend und unterhaltsam.

 Geblieben ist heute die Frakturschrift im Titel, die altehrwürdige Weihe spenden soll, sowie die Absage an die Rechtschreibreform. Hinzugekommen ist – und das war 2007 eine kleine Revolution – das Foto auf dem Titel mit launisch-ironischer Kommentierung. Vieles andere ist in den Jahren den Zeitläuften zum Opfer gefallen. Nur noch schwer verstehbar, und bei Hoeres im Detail nachzulesen, wie hart die Kämpfe um die Ostverträge in den 1970er Jahren oder um den „Verzicht“ auf die Gebiete jenseits von Oder und Neiße zu Zeiten der Wiedervereinigung geführt wurden. Noch um die Jahrtausendwende tobte die Auseinandersetzung um etwaige Ansprüche der Vertriebenen, die in der FAZ stets eine starke Lobby fanden. Erika Steinbach hatte hier als Präsidentin des Bundes der Vertriebenen eine Präsenz, von der andere Politiker nur träumen konnten. Auch die Gedenkanzeigen für Gefallene der „Ostfront“, die oft noch mit Thermopylen-Zitaten versehen waren, finden sich heute nur noch vereinzelt. Verraucht mittlerweile auch die Aufregung um den Gedenkerlass Joschka Fischers für ehemalige NSDAP-Mitglieder im Auswärtigen Amt und die Debatte um das „Amt und die Vergangenheit“, die die FAZ wie kein anderes Medium prägte.

Einzig Jasper von Altenbockum bemüht sich redlich, teilweise allein Kraft des Klangs seines Namens, Restfragmente aus dem weitgehend leeren Idelogieeimer des Konservatismus zu kratzen, wenn er das Tagesgeschehen immer wieder in eine spezifische FAZ-Sicht einzukleiden vermag, jedoch dem Drang ins Liberale, das dem Konservativen ja immer schon innerwohnt, auch nicht stets wiederstehen kann. Dabei ist die ohnehin künstliche Äquidistanz zu Links- und Rechtsextremen schon seit langem kaum mehr durchzuhalten: Schon 2015 war ein Stück namens Woher kommt der Hass? mit Rechte, Linke, Pegida überschrieben, wobei im Text nicht so recht klar wurde, wie die Linken dort hingekommen waren und wo der Unterschied zwischen „Rechte“ und „Pegida“ eigentlich liegt. Heute, zu Zeiten von Flügel-AfD, Lübcke-Mord und den mörderischen Anschlägen von Halle stellt sich die Frage nach Abgrenzung zur extremen Rechten mit neuer Vehemenz. Vor diesem Hintergrund hat das Erscheinen von Alexander Gauland auf der Jubiläumsfeier der FAZ für einige Aufregung gesorgt. Aber war es nicht aus dieser Sicht viel schlimmer, dass der AfD-Parteivorsitzende noch im Oktober 2018 im Blatt selbst einen Namensartikel mit eindeutig nationalsozialistischen Anleihen veröffentlichen konnte?

Das sind letzte Entwicklungen, die Hoeres nicht mehr berücksichtigen konnte. Sein Buch ist insgesamt ein deskriptives, kein wertendes. Es ist durchgehend chronologisch strukturiert, mit gelegentlichen themenbezogenen Exkursen zu den Themen Leserbriefe, Bilder sowie zu Regionalem, Sport und Reise. Die großen Fragen der Gegenwart erscheinen als Blitzlichter und Ausblicke zum Schluss: Migration, Gleichberechtigung, Digitales. Bei all diesen Themen wird deutlich, dass die FAZ zuweilen progressiven Positionen eben auch Raum gegeben hat. Das Herausgebergremium, das in einer charakteristischen Konstellation den Chefredakteur ersetzt, sorgt eo ipso für eine gewisse Binnenpluralität. So leistet sich die FAZ heute mit Dietmar Dath sogar einen bekennenden Kommunisten in ihren Reihen. Und auch für einige junge, eindeutig unkonservative Redakteure wie etwa Martin Benninghoff ist Platz. Über einen waschechten Neuen Rechten, wie den jahrelang notirischen Lorenz Jäger, verfügt das Blatt gottlob nicht mehr. „Die Linie? Die gibt es nicht“, meint Jasper von Altenbockum in bereits erwähnter Verlagsbeilage, „jedenfalls nicht als verordnete Schmalspur“.

Ist es das Blatt der „Elite“, der Entscheidungsträger? Laut Selbstverständnis wurde der Kampf mit den Mächtigen durchaus nicht gescheut, so etwa bei der Parteinahme für Ludwig Erhards Kartellgesetzgebung, die bei den Anzeigenkunden aus der Großindustrie nicht eben für Begeisterung sorgte. „Brigade Erhard“ wurde die FAZ dann auch in einschlägigen Kreisen genannt. Heute wacht die Wirtschaftsredakteurin Heike Goebel darüber, dass die reine Lehre des Ordoliberalismus niemals verwässert und noch vor jeder sozialpolitischen Initiative aus dem Mitte-Links-Lager in alarmistischem Tonfall gewarnt wird.

Ein gewisser libertärer Duktus war den Blattmachern ebenfalls nie fremd. Die Anfänge des Historikerstreits, in dem sich Joachim Fest und Marcel Reich-Ranicki unwiderruflich zerstritten, liegen bei der FAZ: Ernst Noltes „Rede, die geschrieben, aber nicht gehalten werden konnte“, und die ihm nach Vorabkenntnis des Inhalts eine Ausladung bei der Römerberggesprächen eingebracht hatte, und in der Nolte seine „genetisch modifizierte Version der Revolutionstheorie“ und seine „auf die bolschewistische Revolutionsdrohung abhebende Faschismusdeutung“ erstmals entfaltete, wurde hier am 6. Juni 1986 veröffentlicht. Ende 2015 erfuhr dieser Vorgang ein spätes Echo, als ein Essay des Althistorikers Alexander Demandt wegen allzu starker Parallelisierung von Völkerwanderung und Flüchtlingskrise von der Konrad-Adenauer-Stiftung abgelehnt und schließlich in der FAZ abgedruckt wurde.

Es wäre, bei allem Sinn fürs Erzählen, wie es eigentlich gewesen ist, doch hier oder da mehr kritisches Nachfragen angezeigt gewesen. Eine für die FAZ prägende Figur wie Joachim Fest hat doch als Rezipient vom Legenden strickenden Albert Speer ganz wesentlich zum teils exkulpatorischen Bild des Nationalsozialismus, wie es im deutschen Bürgertum lange gepflegt wurde, beigetragen. Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser fatalen Dynamik hat weder bei Fest selbst, noch nach seinem Tod 2006 in der FAZ stattgefunden. Im Gegenteil: Als der Historiker Magnus Brechtken 2017 in seiner großen Speer-Biografie dessen bereits morsch gewordenes Lügengebäude endgültig zum Einsturz brachte, und ihn anhand von Originalquellen als den fanatischen Nationalsozialisten zeigte, der er immer gewesen war, war das der FAZ gerade mal eine mit ätzender Kritik versetzte Buchkritik wert.

Ein solches Nachfragen und Problematisieren liegt Hoeres allerdings fern. Vielmehr befleißigt er sich eines üblen Nachtretens, in dem er jüngst im Deutschlandfunk die FAZ nicht mehr im konservativen Lager verortet, ihr attestiert, „wieder auf Merkel-Kurs eingeschwenkt“ zu sein, um dann im Folgenden von einer „allseitigen Kriminalisierung der europäischen Geschichte“, einer „gesellschaftlichen und moralischen Vernichtung unliebsamer Politiker“ und von den mittlerweile sattsam postulierten, doch nie wirklich belegten „Sprachdiktaten“ zu schwadronieren.

Eine umfassende Chronik der FAZ-Geschichte liegt nun vor. Eine kritische Darstellung bleibt Desiderat.

Titelbild

Peter Hoeres: Zeitung für Deutschland. Die Geschichte der FAZ.
Benevento, Elsbethen 2019.
596 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783710900808

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