Ein reales und präzises Abbild der DDR zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung

Der Fotograf Michael Krone unternahm im Frühjahr 1990 eine Reise durch den Süden der DDR

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

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Das Frühjahr 1990 war für alle DDR-Bürger eine spannende, eine total verrückte Zeit – voller Hoffnungen und Erwartungen, aber auch Ängsten. Zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung war im Osten fast alles möglich. Ein Staat war weg, der andere noch nicht da. Das Begrüßungsgeld war aufgebraucht und die D-Mark kam erst am 1. Juli. Otto-Versand, Beate Uhse, Gebrauchtwagenhändler, Bankfilialen, Reiseveranstalter … sie alle standen in den Startlöchern.

Während die Noch-DDR-Bürger die ersten West-Reisen unternahmen, startete der junge West-Fotograf Michael Krone (geb. 1964) im Frühjahr 1990 zu einer 4.000 Kilometer langen Fotoreise durch die untergehende DDR und hielt auf über 1.600 Aufnahmen den Alltag dokumentarisch fest. Zum Jubiläum „30 Jahre Mauerfall“ bringt Schneider Media eine verbesserte und im Format vergrößerte Auflage des Titels Straßen der DDR (2008) heraus. Der Fotoband (auf 2.000 Exemplare limitiert) versammelt eine Auswahl von 400 Schwarz-Weiß-Fotos, die zeigen, wie die DDR aussah, bevor die „blühenden Landschaften“ entstanden.

Der Student Krone (10. Semester Foto-Film-Design an der FH Bielefeld), der bisher die Ruhr-Nachrichten und die Münstersche Zeitung mit aktuellem Bildmaterial versorgt hatte, brach im April 1990 mit einem ausgeliehenen VW-Passat zu seiner fotografischen DDR-Reise auf. Das größte Problem waren die Übernachtungen, denn Hotels und Pensionen gab es wenig und die finanziellen Mittel als Student waren begrenzt. Daher nutzte Krone meist private Unterkünfte – sozusagen mit Familienanschluss.

Zunächst war Krone in der Altmark und der Börde zwischen Tangermünde und Magdeburg unterwegs, wo sich noch verwitterte Fachwerkbauten mit Ziegelhäusern abwechselten. In Osterburg besuchte er den „VEB Rinderzucht“ und in Magdeburg den Elbhafen mit seinen Speicherhäusern. Die nächsten Stationen waren Bitterfeld, Dessau und Wittenberg – ein Kontrast von maroden Chemieanlagen und Kulturstandorten mit historischem Wert. Leipzig, die Stadt der Montagsdemonstrationen, die im Herbst 1989 dem „Arbeiter- und Bauern-Staat“ den Garaus gemacht hatten, erlebte Krone dann zwischen „Gasometer und Braunkohle“. In Meißen hält er die verwinkelten Gassen und in Dresden die tristen Plattenbauten, aber auch die sorgfältig restaurierten Baudenkmäler wie Semper-Oper und Zwinger fest.

Von der Sachsenmetropole ging die Reise weiter in Richtung Zittau, in die äußerste Südostecke der DDR. Hier waren bis 1991 die Robur-Lastwagen- und Omnibuswerke der größte Arbeitgeber der Region. Über verschiedene Stationen im Erzgebirge gelangte Krone dann nach Karl-Marx-Stadt, das am 1. Juni 1990 wieder den alten Stadtnamen Chemnitz erhielt. Das nächste Reiseziel ist Thüringen mit Erfurt und Eisenach, ehe es dann nach Berlin (Ost) in das Zentrum der verlorenen Macht geht. Neben Fernsehturm, Palast der Republik, Alexanderplatz und Unter den Linden interessierte sich Krone auch für den Ostbahnhof oder die Friedrichstraße. Im Stadtbild hingen noch die Plakate zur letzten Volkskammer-Wahl am 18. März und erste Baugerüste kündeten bereits den bevorstehenden Bauboom an.

Die abschließenden Touren führten den Fotografen nach Potsdam und ins Havelland. Auch hier schien die Zeit stehengeblieben zu sein. Obwohl Krone den Norden der DDR nicht bereiste, sind die 400 zeitgenössischen Fotodokumente ein reales und präzises Abbild der DDR unmittelbar vor der Währungsunion. Das Interesse des Fotografen lag auf der maroden Infrastruktur, und so überwiegen Fotos von Straßenszenen, Verkehrsbetrieben, Gleisanlagen und natürlich vom legendären Zweitakter Trabant. In seinem Essay Von Mythen, Träumen und dem Boden der Tatsachen in der DDR betont der Schriftsteller und SZ-Korrespondent Peter Richter, dass es oft die Verkehrsmittel auf einem Foto sind, „die einem mitteilen, wo man sich befindet.“ Daher müssten Krones Bildern eigentlich durch Geräusche und den typischen Abgasgeruch ergänzt werden. Die Bildlegenden zu den Foto-Impressionen eines untergehenden Staates erzählen außerdem kleine Geschichten mit historischen und technischen Hintergrundinformationen. 30 Jahre nach seiner historischen DDR-Reise spricht Krone immer noch von seinem „schönsten Auftrag in 40 Jahren als Fotograf“.

Titelbild

Michael Krone: Straßen der DDR. Bilder einer Reise von Tangermünde nach Berlin unmittelbar nach dem Fall der Mauer.
Mit einem Essay von Peter Richter. 2. durchgesehene, neu gestaltete und im Format vergrößerte Auflage.
Delius Klasing Verlag, Bielefeld 2019.
240 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783667116635

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