Eine wortreiche Affäre

Peter Sprengel veröffentlicht Rudolf Borchardts Liebesbriefe an Christa Winsloe erstmals vollständig

Von Jörg SchusterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Schuster

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Wie wortreich ist die Sehnsucht, wie wortlos das Glück!“ schreibt Rudolf Borchardt am 28. Mai 1913 der Geliebten Christa Winsloe. Es ist der zehnte umfangreiche Brief, den er innerhalb von zehn Tagen an sie richtet – Borchardt muss ein sehr unglücklicher Mensch gewesen sein. Ein gutes Jahr zuvor hatte er die junge Bildhauerin in Münchner Künstlerkreisen kennengelernt, im Frühjahr und Frühsommer 1913 gehen die beiden eine kurze Liebesbeziehung ein. In dieser Zeit kommt es lediglich zu zwei Treffen in Italien, wo sich beide gerade aufhalten, aber zu einer Flut an Briefen des Dichters.

Von diesen Briefen war in der von Gerhard Schuster herausgegebenen Ausgabe der Gesammelten Briefe bislang nur die Hälfte veröffentlicht, die Texte waren dort zudem meist falsch datiert und angeordnet. Peter Sprengel hat die Briefe nun erstmals vollständig ediert, umsichtig kommentiert und mit einem facettenreichen Nachwort versehen. Dabei sehen sich Herausgeber und Leser*innen mit einigen Schwierigkeiten konfrontiert: Da aus dem Jahr 1912 kaum Briefe überliefert sind und die Gegenbriefe Winsloes ganz fehlen, lässt sich die Beziehung nur sehr schwer rekonstruieren. Die Art und Weise, wie die Liaison gemeinsam epistolar hergestellt und verhandelt wird und wie insbesondere die Briefpartnerin, eine moderne, selbständige, Automobil fahrende Frau, auf Borchardts sehnsüchtigen Wortreichtum reagiert, lässt sich nur aufgrund von Indizien erschließen.

Allerdings ist der monologische Charakter, der durch die Lektüre der Briefe vermittelt wird, gar nicht so weit von der tatsächlichen Kommunikationssituation entfernt, denn Borchardt bombardiert die Adressatin zumindest phasenweise mit Briefen, ohne dass sie antworten könnte. Zu Beginn der Beziehung kann sie ihm nicht schreiben, weil der verheiratete Dichter bei sich zu Hause keine Liebesbriefe empfangen kann, später legt Winsloe bewusste Schreibpausen ein. Borchardts Briefschreiben gleicht hingegen einem perpetuum mobile, das, einmal angestoßen, kaum mehr zu stoppen ist. Darin ähnelt er Franz Kafka und Rainer Maria Rilke, die beide 1913/14 ebenfalls manisch Liebesbriefe (an Felice Bauer beziehungsweise Magda von Hattingberg) schreiben. Doch während in Kafkas und Rilkes Schreiben Annäherung und Abwehr spannungsvoll changieren, zeichnen sich Borchardts Briefe durch amouröse Persuasionsrhetorik aus.

Virtuos wechseln seine Briefe zwischen Du und Sie, neben dem Deutschen bedient er sich des Italienischen, Englischen und Französischen und schlüpft dabei etwa humoristisch in die Rolle des Frà Rodolfo. Seine Briefklaviatur weist aber auch durchaus andere Töne auf. Er greift Muster des empfindsamen Liebesbriefs auf, wenn er das Schreiben als „imaginären Raum des Beisammenseins“ entwirft. Allerdings handelt es sich um eine Empfindsamkeit, die durch Pathos und Selbstübersteigerung immer wieder zur Grimasse verzerrt scheint. Dabei mangelt es nicht an patriarchalischem Gehabe, indem Borchardt etwa ganz am Beginn der Affäre die Erwartung ausdrückt, die Geliebte möge sich „beschützt und verteidigt, eingehegt und genährt“ fühlen.

Der überspannte Ton ist teilweise schwer erträglich, so wenn Borchardt sich auf das „schwurhaft tiefe Gefühl eines Dauernden“ beruft oder seine Liebeserklärungen damit bekräftigt, „dass jeder Tropfen Blut in mir zittert wenn ich Worte wie diese sage“. Die heroische Pose gibt sich immer wieder als Spielform des Narzissmus zu erkennen. So wäre ein Verlust der Freundin beklagenswert, weil er „den Kampf meines Lebens zum uneinbringlich verlornen machen“ würde. Umgekehrt ist sich Borchardt sicher, dass Winsloe ohne seine Liebe „vor einer gähnenden Leere des Unglücks“ stehen würde, ist er es doch, der sie „vor sich selber zu erklären“ vermag. Schließlich beruft sich das Liebeskonstrukt auf die sakrale Berufungsinstanz, „dass Du zwar nicht gegen mich, aber gegen das Heilige und Große kraft dessen ich lebe, Pflichten hast wie in einer Sendung“.

Die Briefe folgen dabei einem Mechanismus der Selbststimulation; Borchardt reflektiert die aufgeblasene Ichzentriertheit („Oh Gott ich prahle“, „Ich habe nur von mir gesprochen, ich eitler Hund“)  und die empfindsame Rhetorik („papierne Zärtlichkeiten“) dabei immer wieder selbstkritisch, nur um sie sogleich fortzusetzen. Der Kontrast zwischen diesem beständigen Wortreichtum und der Flüchtigkeit der Affäre ist gewaltig; das Pathos der Liebesschwüre findet auf Dauer keinen Resonanzraum. Es wirkt vor diesem Hintergrund als maliziöse Pointe, dass Winsloe als Gegenüber in dem Moment deutlich sichtbar wird, in dem sie die Liaison nach wenigen Wochen durch ihre Verlobung mit dem ungarischen Baron Lajos Hatvany beendet.

Titelbild

Rudolf Borchardt: „Wie wortreich ist die Sehnsucht“. Liebesbriefe an Christa Winsloe 1912/13.
Herausgegeben von Peter Sprengel. Einführung von Dieter Burdorf.
Quintus-Verlag, Berlin 2019.
264 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783947215546

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