Drei heiße Tage in Untermond

Radu Ţuculescu erzählt in seinem komischen Roman anspielungsreich von einem eifrigen Metzger, der John F. Kennedy bewundert, und dem bizarren Leben in einer rumänischen Kleinstadt

Von Anke PfeiferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anke Pfeifer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das von besonderer Heiterkeit und zumeist auch Harmonie geprägte Leben während dreier Tage in dem kleinen Städtchen Untermond mutet märchenhaft an, auch wenn sich eingangs ein Storchenpaar sorgt, seine Kinder satt zu bekommen. Symbolisch tauchen hin und wieder kleine Engel auf, die die Handlungen der Romanfiguren begleiten. Im Mittelpunkt jedoch steht der Metzger Flavius Kasian, der für den kommenden Montag die Eröffnung seiner Metzgerei ausgerechnet in der Friedhofsgasse plant. Diese Metzgerei soll „Kennedy“ heißen, denn Flavius bewundert den ehemaligen amerikanischen Präsidenten und hofft zudem, dass der für ein solches Geschäft ungewöhnliche Name werbewirksam sein und die Kundschaft anlocken wird. Doch es ist erst Freitag und noch genügend Zeit, von seinem Freund, dem Maler Avram, das Ladenschild mit schwungvollen Buchstaben in Gestalt von Würsten, Klößchen oder Rippchen gestalten zu lassen, mit dem Gehilfen die Würste zu bereiten und den Laden einzurichten.

In den beinahe wollüstigen Träumen des Metzgers tanzen Fleischermesser, hängen Fleisch- und Wurstwaren in den Bäumen oder als Krone auf seinem Kopf, an anderer Stelle ziehen Grilldüfte durch die Lüfte, sodass eine poetische, surreale Atmosphäre entsteht – unweigerlich gerät das Schlaraffenland in den Sinn. Wären da nicht diese drückende Sommerhitze und große Trockenheit in Untermond, die den Klimawandel thematisieren, sowie die wie nebenbei eingestreuten gegenwartsbezogenen Verweise auf Flüchtlingskrise, Vegetarismus, regulierendee EU-Politik oder zynische Talkshows – und auf rumänische Konstanten, wie den Nationaldichter Mihai Eminescu oder den unvermeidlich scheinenden Dracula. Tatsächlich tragen sich die teils grotesken Ereignisse in einem (wenn auch fiktiven Ort) in Siebenbürgen, nicht weit von Cluj/Klausenburg in Rumänien zu.

Die Bewohner und Bewohnerinnen des Städtchens Untermond strahlen stete Ruhe und Fröhlichkeit aus, selbst bei den kleinen und großen Katastrophen des Daseins, von denen es jede Menge gibt. Sie aber leben nach solchen Leitsätzen wie: Positive Gedanken bewirken mehr als Medizin, Lachen ist die beste Verteidigung und gute Laune Treibstoff für die Arbeit. Damit präsentieren sie ein Dasein ganz im Gegensatz zur Realität, die charakterisiert ist durch Konflikthaftigkeit, Aggressivität und Hektik.

Manche der handelnden Personen sind zwar mit einem Tick oder gewissen Anfälligkeiten ausgestattet, wie Heike, die sich häufig verletzt und dennoch keineswegs ihre gute Laune verliert, oder der beliebte Bürgermeister Anton Vitan, der seit seiner Geburt ständig einen sanften Pfeifton abgibt. Das stört auch eigentlich niemanden, bringt aber einen TV-Moderator zur Verzweiflung – und vielleicht pfeift Vitan ja sogar auf die Obrigkeit.

Alle warten auf die für den Sonntagmorgen angekündigte totale Sonnenfinsternis, für die der einzig übriggebliebene Jude des Ortes, Sami Goldberg, alle von ihm gefertigten Sonnenbrillen verkaufen kann, obwohl er sonst wenig Glück im Leben hat. Am Vorabend findet in dem Amphitheater mitten im Wald, einem bukolischen Ort, ein Konzert der Musikband „Fliegentod“ statt, die auch ein die Metzgerei lobpreisendes Lied zur Uraufführung bringt. Der sich anschließende beeindruckende Auftritt eines Gurus, des Großen Petric im Nebel, vor allem von mancher Untermondlerin ehrfurchtsvoll ersehnt, löst mit seiner übertriebenen Anrufung einer großen Vergangenheit und der Lobpreisung dieses paradiesischen Landes Stolz bei den Zuhörern aus, wird aber durch die Zweifel der kleinen Tochter des Bürgermeisters und vor allem durch die dramatisch misslungene Bühnenshow konterkariert. Es passieren allerhand skurrile Dinge und dabei kommt es mitunter zu schockierenden Zwischenfällen: Die 85jährigen Zwillingsschwestern veranstalten schon mal detailverliebt die Generalprobe für ihre Beerdigung, die dann einen dramatischen Ausgang nimmt.

Die plastische Erzählung folgt der Chronologie der Ereignisse, wobei Schauplätze und Figuren regelmäßig wechseln. Da gibt es Noni, den jungen Gehilfen des Metzgers und vegetarischen Dichter mit seiner Geliebten Heike, die mit Gipsbein im Krankenhaus liegt, aber auch die nicht aus Untermond stammende Doris nebst Macho Ovi, dem Chefredakteur von Radio Klausenburg, der als Jäger natürlich auch gern Wildfleisch isst, was Doris wiederum verabscheut. Das hindert sie nicht, ihr heimliches Liebesleben in vollen Zügen zu genießen. Das Ende des Romans bringt dann allerlei überraschende Wendungen, einige der Personen zusammen und den Metzger beinahe ums Leben. Doch auch dann siegt der Optimismus.

Die zahlreichen witzig-absurden Ideen verführen je nach Einstellung des Lesenden zu spontanem Lachen, manches könnte auch als bemüht empfunden werden. Stilistisch auffällig sind die zahlreichen, teils überzogenen Vergleiche: Flavius mit seiner Metzger-Denkart „fühlte sich rein wie ein gut gesäuberter Rinderdarm“, da er seine Matilda – die übrigens die ganze Zeit über schläft – noch niemals betrogen hat.

Mit seinem 2017 im rumänischen Original erschienen Roman schuf Radu Ţuculescu eine magische Welt, die zwischen Komik und Dramatik pendelt und von der Realität geprägt ist. Mit Stereotypen spielend, nimmt er liebevoll-ironisch Bezug auf Lebenswirklichkeit und -strategien seiner Landsleute und gleichzeitig in satirischer Überspitzung die Angst vor Identitätsverlust und agitatorische Bemühungen zur Stärkung des Nationalgefühls, wie es sie nicht nur zu Nicolae Ceauşescus Zeiten gab, aufs Korn. Peter Groth hat den Roman flüssig übersetzt und damit beste Voraussetzungen für eine unterhaltsame Lektüre geschaffen.

Titelbild

Radu Tuculescu: Metzgerei Kennedy. (Zarte Nebenwirkungen der globalen Erwärmung). Roman.
Übersetzt aus dem Rumänischen von Peter Groth.
Mitteldeutscher Verlag, Halle 2019.
237 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783963111075

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