Fotos als Waffe

In „Enghelab Street“ schildert Hannah Darabi die iranische Revolution mit (Foto-)Büchern

Von Behrang SamsamiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Behrang Samsami

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie setzt sich unser Wissen über Geschichte zusammen? Aus der Lektüre von Büchern, aus dem Lehrstoff im Schulunterricht, aus tradierten (Familien-)Erzählungen – und aus Bildern. Nehmen wir die Revolution im Iran 1978/79, so haben wir hierzulande (Film-)Aufnahmen, die in Büchern, Nachrichtensendungen und (Film-)Dokumentationen immer wieder verwendet werden und so unser Bild von den Ereignissen im Iran prägen: Straßenkämpfe und Demonstrationen in Teheran gegen den Schah, seine Abreise mit dem Flugzeug, die Rückkehr von Ayatollah Khomeini aus dem Exil in Frankreich, Frauen im Tschador, bärtige Männer in Uniformen und mit Gewehren in der Hand.

Enghelab Street. A Revolution through Books: Iran 1979–1983 heißt ein großformatiger Band von Hannah Darabi, der dieses Bild um viele, hierzulande bisher nicht oder kaum bekannte Bilder und auch Informationen erweitert. Darabi, selbst Künstlerin und Fotografin, 1981 in Teheran geboren und in Paris ansässig, zeigt darin, dass der Machtzerfall in der Monarchie und die rasche Ablösung von Schah Mohammed Reza Pahlavi 1978/79 zu einer massenhaften Publikation von (Foto-)Büchern unterschiedlicher, vor allem aber linker Gruppierungen im Land führten.

Enghelab Street ist eine Sammlung von solchen Fotobüchern, die in den Jahren 1979 bis 1983 im Iran erschienen sind, die Darabi als „a brief moment of freedom of expression at the beginning of the Islamic goverment“ bezeichnet. Der aufwändig gestaltete Band enthält über 700 Schwarzweiß- und Farbaufnahmen und besteht aus drei Abschnitten.

Im Abschnitt A, im Unterabschnitt The Roots of Order, sind Fotobücher abgebildet, die sich mit der Entstehung der Revolution und der islamischen Republik befassen: Sie zeigen Protestierende, darunter Frauen ohne Kopftuch, Kämpfe und Todesopfer, Titelseiten iranischer und US-amerikanische Zeitungen und Magazine mit den Köpfen des Schahs und Khomeinis. Andere Fotobücher zeigen das Leben und Wirken zum einen von Premier Mohammed Mossadegh, der 1951 das Öl nationalisierte und zwei Jahre später vom CIA gestürzt wurde, und zum anderen das von Ayatollah Khomeini, der 1963 als geistlicher Gegenspieler des Schahs ins türkische und später ins irakische Exil gehen musste.

Im zweiten Unterabschnitt The Disorder of the World stoßen wir auf Fotobücher, die teilweise im Selbstverlag erschienen sind und etwa Slogans und Sprüche, die die Revolutionäre in der Endphase der Schahzeit auf Wände gesprüht haben, zeigen oder Fotos der durch Schnelltribunale für schuldig gesprochenen und getöteten Politiker, Geheimdienstleute und Militärs aus der Zeit der Monarchie. Andere Fotobücher in diesem, aber vor allem im dritten und letzten Unterabschnitt Order zeigen die kriegerische Auseinandersetzung zwischen dem Iran und dem Irak, nachdem Saddam Hussein im September 1980 seinen Truppen befohlen hatte, ins östliche Nachbarland einzumarschieren. Zahlreich sind die Aufnahmen von den an der Front kämpfenden Soldaten, unter ihnen Jugendliche und Kinder, und von zerstörten, aber zurückeroberten iranischen Städten.

Abschnitt B ist den Bücher mit dem „weißen Umschlag“ gewidmet. Es handelt sich hierbei um Werke, die vor allem vor der Revolution illegal im Untergrund produziert wurden und das in den allermeisten Fällen von den unterschiedlichsten linken Gruppierungen, die es damals im Iran gab. Chowra Makaremi, Darabis Co-Autorin, unterteilt diese Art Bücher in drei Gruppen: Romane und Sachbücher über Volksbildung, inspiriert von sowjetischen Werken, ferner politische und sozioökonomische Analysen und Bücher, die Meinungsverschiedenheiten, Polemiken und interne Debatten unter den Linken beinhalteten.

Spannend und erkenntnisreich, weil sie Fotografen, Verleger, Journalisten und damalige Aktivisten zu Wort kommen lassen, sind auch die Interviews von Hannah Darabi. Hier treten die Ereignisse im Iran in den Jahren 1978/79 bis hinein in den Iran-Irak-Krieg durch persönliche Erinnerungen stärker an den Leser heran.

Enghelab Street. A Revolution through Books: Iran 1979-1983 ist ein Buch, an dem man nicht vorbei kann, wenn man sich für die neueste iranische Geschichte interessiert. Der Band bietet durch jeweils kurze englischsprachige Inhaltsangaben nun einen Weg zu Fotobüchern, die bisher nur jenen zugänglich waren, die Farsi beherrschen. Darabi und ihrer Co-Autorin Chowra Makaremi gelingt es anhand der ausgewählten Werke und ihrer ausführlichen, klaren Erläuterungen gut, dem Leser die nur wenige Jahre währende Phase der Freiheit und Vielschichtigkeit an Veröffentlichungen im Iran nahe zu bringen. Die Autorinnen machen auch deutlich, dass die Revolution anfänglich eine linke war, bevor die Geistlichen sie „übernahmen“, indem sie wichtige staatliche Positionen besetzten, Freiheiten wieder einschränkten und Gegner ausschalteten, um ihre eigene Herrschaft aufzubauen.

Titelbild

Hannah Darabi: Enghelab Street, a revolution through Books. Iran 1979–1983.
Mit Texten von Chowra Makaremi.
Spector Books, Leipzig 2019.
540 Seiten, 48,00 EUR.
ISBN-13: 9783959052627

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