Von Kakerlaken und Kunstwerken – Wenn ein Nordmensch in den Süden reist

Dieter Richter zeichnet die Italienreisen des Romanciers Theodor Fontane nach

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit Reiseberichterstattungen hatte die journalistische Karriere von Theodor Fontane begonnen, auch in seinem literarischen Werk wird immer wieder gereist. Seine Sehnsucht zog ihn stets in den Norden, sein Herz schlug für England. Und doch brach Theodor Fontane im Jahr 1874 mit seiner Frau Emilie nach Italien auf. Dieter Richter, emeritierter Professor für Kritische Literaturgeschichte an der Universität Bremen, hat die Reisenotizbücher und Briefe von Theodor Fontane und dessen Frau untersucht und in seinem Buch Fontane in Italien die Erlebnisse und Beobachtungen des Ehepaares nachgezeichnet.

Fontane liebte die Kunst Italiens. Mit „Fleiß und Eifer“ (so schrieb er es in einem Brief aus Italien an einen Freund in Berlin) versuchte er, so viele Kunstwerke zu sehen wie nur möglich und rubrizierte sie in seinem Tagebuch. Zugleich beklagte er den Zeitdruck, unter dem er hierbei stand. Das Ehepaar Fontane zählte zu den ersten modernen Touristen, die mit der Eisenbahn in den Süden reisten. Immer wieder kamen sie in Gefahr, ihren Zug zu versäumen. Aus den festen Zeitvorgaben resultierte eine Unruhe, die Theodor Fontane gar als „Hetzjagd“ bezeichnete. „Was zu leisten war, ist geleistet worden“, gab er zur Kenntnis. Dieter Richter lobt diesen „unnachahmlich leichten, trockenen Ton“, in dem die Berichte verfasst sind. Im zu bescheiden als „Anhang“ titulierten Teil des Buches werden zwei vortreffliche Städteportraits Fontanes, Pisa und Bologna, zum ersten Mal vollständig publiziert. In ihnen bezeichnet Fontane manches Gemälde als „Durchschnitts-Gepinsle“, beurteilt manches Kunstwerk als „theils intereßlos“ und zieht in der „Academia delle belle Arti“ ein sprödes Fazit: „Ich habe Unglück mit Rafael. Auch dies wieder macht wenig Eindruck auf mich. […] Alles andre läßt mich kalt.“ Und an anderer Stelle: „Dafür hab ich gar kein Verständnis.“ Mit kritisch-liebevoller Distanz besuchte Fontane Kirchen und Pinakotheken; seine Notizen zeichnet ein feiner Humor aus. Zugleich ruft er zu einer objektiveren, realistischen Weltsicht auf. Dem seit Johann Wolfgang Goethes Italienischer Reise idealisierten Süden trat Fontane kritisch entgegen, erläutert Richter, und sah sich bestätigt: Der Romancier klagt über Kakerlaken, Flöhe und Wanzen, er erlebte auf seinen Reisen 1874 und 1875 sowohl Regen und Kälte wie auch Hitze und Moskitos und wurde mehrmals krank.

Eine besondere Stärke von Richters Buch sind die herausgearbeiteten Bezüge zu den Italienreisen in Fontanes Werken. Vieles von dem, was Fontane in Italien sah, findet sich in den Romanen wieder. Die Fresken im Palazzo Ducale in Mantua werden ebenso thematisiert wie die Paradiestür des florentinischen Bildhauers Lorenzo Ghiberti. Die Kenntnis der italienischen Kunstgeschichte charakterisiert in den Romanen Der Stechlin (1898) und Stine (1890) den Gebildeten. In Effi Briest und Graf Petöfy führen Hochzeitsreisen nach Italien. In L‘ Adultera (1882) sollen Reisen nach Frankreich und Italien Bildung vermitteln, die gesellschaftliche Anerkennung bringt. Richter reiht aber nicht stoisch Belege auf, sondern er nimmt den Leser mit, findet spannende Verbindungen, erklärt die Bezüge und seine Schlussfolgerungen und lädt hernach zur Fortsetzung der Spurensuche in den großen Berliner Gesellschaftsromanen Fontanes ein.

Fontane in Italien erhebt nicht den Anspruch, in Konkurrenz zu den großen Biografien zu treten, die anlässlich des 200. Geburtstags von Theodor Fontane erschienen sind. Es beleuchtet hingegen einen selten beachteten Aspekt, der doch einen Wendepunkt markiert: „Auch Theodor Fontane musste nach Italien reisen, um seinen Weg in Deutschland zu finden“, resümiert Richter. Von den Italienreisen gingen Überlegungen für gesellschaftsdurchdringende Gespräche in seinen späteren Romanen aus. Im Stechlin unterhalten sich beispielsweise zwei Herren über die politische Zukunft Italiens. Sie legen dabei keinesfalls Wert auf den damals in Preußen verbreiteten Antikatholizismus, ihr Gespräch zielt auf in Italien wichtige soziale Fragen ab. Rollenerwartungen und gesellschaftliche Konventionen lassen Fontanes Protagonisten häufig straucheln; er thematisiert mit scharfem und realistischem Blick soziale Konflikte in Gesprächen seiner Romanfiguren.

Es gibt viele Gründe, die Romane von Theodor Fontane zu lesen. Die gesellschaftlichen Herausforderungen der Industrialisierung, der Bedeutungsverlust des Adels, wachsender Einfluss des Bürgertums und weibliche Emanzipation in der Gründerzeit – all das spiegelt Fontane wider. Dieter Richters Untersuchung der Italienreisen ist ein weiterer Grund, seine Bücher wieder in die Hände zu nehmen. Zu erkennen, welche Wirkung die Italienreisen auf den Nordmenschen Fontane selbst sowie seine Romankonzepte gehabt haben, lässt nicht zuletzt auch darüber nachdenken, welchen eigenen Lebensweg der Leser einzuschlagen gedenkt, mit welchen Konflikten jeder im Alltag konfrontiert wird und was jenseits von gesellschaftlichen Erwartungen und Konventionen zu entdecken ist. Fontane in Italien ist in der in edlem Leinen gebundenen Salto-Reihe des Verlages Wagenbach erschienen, deren Bücher teils mit dem Untertitel Eine literarische Einladung versehen sind. Dieser Untertitel hätte auch gut zum Buch von Dieter Richter gepasst. Fontane in Italien ist unterhaltsam, schnell und leicht zu lesen. Es ist eine hervorragende Einladung, sich wieder auf Fontane einzulassen und sich nicht zuletzt zu erinnern, wie wunderschön Italien ist.

Titelbild

Dieter Richter: Fontane in Italien.
Mit zwei Stadtbeschreibungen aus dem Nachlass.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2019.
144 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783803113481

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch