Zwischen Blödsinn und Tiefsinn

„Nach Notat zu Bett. Heinz Strunks Intimschatulle“ kombiniert Alltagsbeobachtungen, Reisenotizen, Poesie und musikalische Speisekarten

Von Michelle HegmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michelle Hegmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Wünschte als letzte Schlagzeile über mich zu lesen: ,Buchautor Heinz Strunk erschlägt ältere Geliebte mit Kristallaschenbecher.ʻ Exzentrischer, nachhaltiger Abgang.“ Das ist einer von unzähligen kuriosen Nachtgedanken, die den Autor umtreiben und die Leser*innen schmunzeln lassen. Seit 2015 schreibt Strunk in seiner Kolumne Intimschatulle für das Satiremagazin Titanic schwarzhumorig über die Freuden und Leiden seines Alltags. Diese Betrachtungen sind nun in Buchform erschienen. Die Tagebucheinträge bieten Albernes und Deprimierendes, Wichtiges und Unwichtiges. Nach Notat zu Bett ist eine unkonventionelle Veröffentlichung, die erneut vor Augen führt, dass Strunk gleichermaßen Schriftsteller und Entertainer ist.

Wer sich von den 365 Einträgen einen Einblick in die Schaffenswelt des Autors erhofft, wird nur bedingt zufriedengestellt. Zwar setzt sich dieser (fast) täglich an den Schreibtisch und arbeitet an zwei neuen Buchprojekten, er macht aber immer wieder deutlich, dass das Schreiben für ihn in erster Linie eines ist: eine Qual. Mangelt es ihm hierbei an Disziplin, zeigt er sich umso euphorischer beim Protokollieren seiner Essens- und vor allem Trinkgewohnheiten. Frei nach dem Motto „Bei Schwermut Wermut“ berichtet Strunk vom Genuss seiner Lieblingsspirituosen bei Privatfernsehabenden – inklusive Schimpftiraden auf Bares für Rares und Vier Hochzeiten und eine Traumreise.

Nach Notat zu Bett hält primär unterhaltsamen Nonsens bereit: der schlurfende Gang zum Briefkasten („Beunruhigendes Schreiben von der Krankenkasse, dass ich ab Juli nicht mehr über meine Eltern versichert bin. Kann einem den ganzen Tag versauen“), Mittagspause beim Lieblingsimbiss („Buletten, Bier und Boogie-Woogie“) und sinnfreie Wortexperimente („Altersgeilheit, Altersteilheit, Teilgeilzeit, Altersgeilzeit, Altersgeilteilzeit“). Strunks Notizen sind oft wirr, beginnen und enden abrupt und versprühen – eventuell ungewollten – Charme, wie es die Leser*innen vom Autor gewohnt sind. Vertraut ist auch sein Hang zur Obszönität: Formulierungen wie „Der Sommer wichst sich einen ab“ und „schweißiges, verklebtes, verschmiertes, dickflüssiges Grundgefühl“ ziehen sich wie ein roter Faden durch Strunks Bücher. Die Intimschatulle bietet sich insbesondere für eingefleischte Fans an, die mehr über Strunks Lektüren anderer Schriftsteller, seinen Google-Suchverlauf und die morgendlichen Gymnastikübungen wissen möchten, mit denen er dem Verfall seines Körpers entgegenzuwirken versucht.

Bei allen Albernheiten packt den Autor oft eine gewisse Schwermut, die sich in ihm regelmäßig den Schaf raubenden Fragen manifestiert: „Was wird wohl zuerst in mich eindringen, die Verrücktheit oder der Tod?“ Offen schreibt er über schwere Panikanfälle und deprimierende Gedanken. Von einer neuen Seite zeigt er sich seinem Publikum, wenn er in der Episode „Nackt vor Gott“ von seiner eigentümlichen Pilgerreise durch Deutschland berichtet. Mehrfach betont Strunk sein Christsein und das ritualisierte Lesen der Psalmen. Da er sich nicht im Stande sieht, auf traditionelle Art zu pilgern, entschließt er sich zum „automobilen Jakobsweg“: Einen Monat lang fährt er quer durch die Bundesrepublik und besucht dabei eine Vielzahl an Autobahnkirchen und -kapellen. Lakonische Bemerkungen über Gasthäuser mit schlechter Bewirtung wechseln sich mit tiefgründigen, spirituellen Überlegungen ab. Am Ende der Reise sind seine „Glaubens-Akkus“ wieder geladen und er hält fest: „Wieder daheim! Fragte man mich, was mich auf dieser Welt am meisten bewege, würde ich vielleicht sagen, es sei der Gang Gottes durch die Herzen der Menschen.“

Einen Wermutstopfen gibt es in Nach Notat zu Bett: Abgesehen von der Pilgerreise und gelegentlichen Lesungen erweist sich Strunks Alltag als unspektakulär – man schleppt sich deshalb wie der Autor selbst bei der Lektüre oftmals von einem unwichtigen Tag zum nächsten. Hier kann das Hörbuch Abhilfe schaffen, das wie üblich von Strunk selbst eingesprochen wurde. Dank seines norddeutschen Dialekts und seiner charakteristischen Stimme wirken die Aufzeichnungen keineswegs monoton. Immer wieder überrascht er mit Gesangseinlagen und Gedichten wie Deutsches Laub, das es neben vielen anderen Texten auf Strunks CD Aufstand der dünnen Hipsterärmchen (2019) geschafft hat. Ein weiterer Vorteil des Hörbuchs: Man entlarvt leichter den konstruierten Charakter vieler Tagebucheinträge, ohne eigene Recherche betreiben zu müssen – beispielsweise sind einige Schauplätze und Personen fiktiv.

Wer eine Leidenschaft für Strunks schwarzen Humor hegt, wird von Nach Notat zu Bett nicht enttäuscht. Diejenigen, die seine düsteren Bücher wie Der goldene Handschuh und Das Teemännchen bevorzugen, üben sich besser in Geduld, bis die neuen Buchprojekte veröffentlicht werden, über deren Entstehungsprozess er so verzweifelt schreibt. Seine bisherigen Qualen am Schreibtisch zahlen sich aus. 2020 bekommt er den mit 10.000 Euro dotierten Kasseler Literaturpreis verliehen. Die Begründung der Jury:

Wie kein anderer verkörpert Heinz Strunk als lebendiges Gesamtkunstwerk den grotesken Humor in allen seinen Formen. Literarisch führt seine postmoderne, subversive Erzählkunst auf schonungslose Weise mitten in das von der Konsumgesellschaft beschädigte Leben. Im Medium des Humors hat er mit dem „Strunk-Prinzip“ eine raffinierte literarische Sprache entwickelt, mit der er menschlichem Leid angemessen komisch und human-humorvoll zugleich begegnet.

Mit Nach Notat zu Bett bleibt sich der Autor treu und setzt sich selbstkritisch mit dem eigenen Leid auseinander, ohne dabei seinen Humor zu verlieren, den seine Fans so schätzen. Seine Intimschatulle ist ein lesenswertes Buch – eine typische Strunk-Kombination aus Witz, Trübsinn und Wahnsinn.

Titelbild

Heinz Strunk: Nach Notat zu Bett. Heinz Strunks Intimschatulle.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2019.
254 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783498001247

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