Schreiben um Leben und Tod
„Wenn Gefühle auf Worte treffen“: Siri Hustvedt im Gespräch mit Elisabeth Bronfen
Von Charlotte Lamping
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIm noch jungen Kampa Verlag ist innerhalb der Reihe „Kampa Salon“ ein Gespräch zwischen Siri Hustvedt und Elisabeth Bronfen erschienen. Die Interviewerin Elisabeth Bronfen ist Kultur- und Literaturwissenschaftlerin; insofern sind die Gesprächsstoffe auch in einem vornehmlich literarischen oder literaturwissenschaftlichen Bezugsrahmen eingebettet.
Das Gespräch ist in sieben Kapitel unterteilt; es lohnt sich, diese in aller Kürze thematisch zu umreißen, um die schemenhaften Andeutungen mit Inhalten zu füllen, die verschiedene wissenschaftliche Disziplinen sowie den Lebensweg und das Werk Hustvedts betreffen:
1. Kindheit Hustvedts: Orte des Familienlebens, Amerika (aufgewachsen im Mittleren Westen), Urlaube in Norwegen, Anpassungen, Sprache, Heimat, Familiengefüge, Jugend und frühe Politisierung, Lektüreerfahrungen. Aufkommender Feminismus und Schreibprojekte in der Schule.
2. New York City als prägender und imaginärer Ort des Films und der Literatur. Studium an der Columbia University.
3. Aufkeimender Feminismus durch die Beeinflussung von Dichterinnen und Philosophinnen. Konfrontation mit Sexismus. Endokrinologie, Körper-Geist-Trennung der Wissenschaft und Literatur, MeToo-Debatte.
4. Kunst und visuelle Darstellungen. Emotionen und Denkräume. Kunst(schaffen) und Psychoanalyse, Funktion von Erinnerung.
5. Fiktion: Verschiedenartigkeit der Romane Hustvedts, auch in Stil und Genre, Entwicklungen, Inspiration zu Themen und Motiven, schriftstellerische Ausbildung, Prägung durch Lektüren. Schreiben als Handwerk und Prozess. Schreiben als Qual und Lust. Zusammenhang von Schreiben und Psychoanalyse. Schreiben und „Mutterschaft“ (Geburt des Textes vs. reales Gebären).
6. Psychoanalyse und Hysterie, eigene Erfahrung von Krankheit (Zittersyndrom), Schreiben als therapeutische Beherrschung eines Krankheitsfalls, Schmerz- und Wuterfahrung und deren Veräußerung.
7. Politisches Engagement von der Jugend an bis heute, Sentimentalismus in Amerikas Politik, Aufschwung und Freude über Obamas Wahlsieg, Wutreden gegen Trump, Appell zur Aufarbeitung amerikanischer Geschichte (Forderung nach einem Sklaverei-Museum).
Das Gespräch zwischen Hustvedt und Bronfen ist deswegen interessant, weil Bronfen vertraut ist mit dem Werk Hustvedts, weil sie es kontextualisiert, weil sie gute Fragen stellt, Gedanken Hustvedts aufgreift und weiterführt. Kern des Gesprächs ist die Werkgenese und das Kunstschaffen Hustvedts, eingebettet in die oben genannten thematischen Horizonte. Der besondere Reiz sind die Mehrdimensionalität und die verschiedenen Einflüsse, denen sich Hustvedt aussetzt und die sie im Zuge des Gesprächs offenbart. Sie ist absolut interdisziplinär interessiert und gebildet; es wird ersichtlich, wie sie unterschiedlichste Disziplinen – Medizin, Neurologie, Biologie, Anthropologie, Logik, Philosophie, Psychoanalyse, Kognitionswissenschaft, Historie, Bildende Kunst – in ihr Werk integriert und verarbeitet. Das ist das Gegenteil von hermetischer Abriegelung nach außen. Hustvedt beschreibt den Entstehungsprozess eines neuen Werks als Abgrenzung zum vorigen: „Ich habe das Bedürfnis, etwas zu machen, was ich mir vollkommen anders vorstelle. Das ist mein bewusster Wunsch. In Wirklichkeit aber sind alle meine Bücher durch geistige Bilder, Gefühle und Impulse hervorgerufen worden, die ich selbst nicht ganz verstehe. […] Hinter meinem Drang zu schreiben, steckt immer ein Nicht-Wissen oder -Kennen. Es wäre langweilig, zu schreiben, was ich schon beherrsche.“
Der Gedankenaustausch der Frauen ist deswegen immer wieder spannend, anregend und unterhaltsam, weil er einem die Autorin und Person Hustvedt nahebringt. Einmal mehr wird deutlich, wie schwer es ist, einen Schriftsteller von seinem Werk zu trennen – eine immer noch (und immer wieder) virulente Frage, die die Literaturwissenschaft beschäftigt.
Unprätentiös erscheint Hustvedt: Sie ist sich ihrer langen literarischen Ausbildung bewusst, sie weiß, dass Schreiben auch Handwerk ist; sie ist ungemein belesen, ambitioniert und beinahe besessen von Wissen (als Macht): „Aber ich habe ein unersättliche Wissbegierde. Darin steckt teilweise ein Wille zu Beherrschung und Macht. Bücher waren für mich immer Wege zur Macht. Ich meine keine herrschaftliche Macht. […] Ich meine, dass Lesen für mich eine Art Selbstverstärkung war, eine Art, innerlich unaufhaltsam an Größe zu gewinnen, Legion zu werden.“
Ihr ist bewusst, dass „Schreiben eine Tortur sein“ kann, sie weiß aber auch, dass es, wenn es Lust verschafft, „richtig“ ist, denn wenn es „nicht lustvoll ist, weiß man, dass irgendwas nicht stimmt.“ Die von Platon proklamierte „alte Trennung von Körper und Geist“ funktioniert für Hustvedt nicht, schon gar nicht als Autorin, die ihr eigenes Werk im Entstehungsprozess zu beurteilen versucht: „Kritische Distanz wiederum setzt die Fähigkeit voraus, zu erkennen, was an dem Geschriebenen richtig oder falsch ist – und das geht paradoxerweise nur aus dem Bauch heraus. Das ist die federführende emotionale Wahrheit“.
Die Simplizität, mit der es Hustvedt gelingt, komplexe Zusammenhänge, Motive, wissenschaftliche Ansätze und (persönliche Schreib-)Prozesse zu beschreiben und zu verdeutlichen, ist nie banal, sondern immer tiefgreifend, analytisch scharf und mehrdimensional.
Hustvedt äußert sich klug, ehrlich und selbstreflexiv nicht nur zum Kunstschaffen und zu Kunstbetrachtungen; sie ist zudem politisch ambitioniert. Immer wieder finden sich Verortungen und Stellungnahmen zur (aktuellen) gesellschaftlichen Entwicklung Amerikas. Die Multiperspektivität Hustvedts verhindert jeden Auschluss, sowohl literarisch als auch politisch. Im besten Fall, so postuliert sie, sind Kunst und Politik einander verbunden: „Ich betrachte den Roman nicht als Agitprop oder rein politisches Werkzeug, was nicht heißt, dass Romane nicht politisch und philosophisch relevant wären. Das sind sie. Ich bin gegen jede Form von Einengung, gegen feste Grenzen, die im politischen Leben zwischen und unter Menschen gezogen werden, und gegen intellektuelle Kategorien, die keinen Raum für das lassen, was nicht hineinpasst“.
Kapitel 6, „Das verwundete Selbst“, ist vielleicht das Persönlichste des Bandes. Hustvedt hat selbst Erfahrung mit plötzlichen Zitteranfällen gemacht. Diese eigene Erfahrung der Symptomatik und das Interesse an Hysterie als Krankheit – die bei ihr nicht diagnostiziert wurde – haben immer wieder Eingang in Hustvedts Gedanken, Arbeit und Bücher gefunden. Die Vertiefung in die Geschichte der Hysterie hat ihr letztlich geholfen, das eigene Symptom des Zitterns zu bannen. Die Arbeit an dem Buch Die zitternde Frau „wurde eine Form von Beherrschung, die in sich schon therapeutisch war, eine Art, das mysteriöse Symptom zu fassen und so gründlich wie möglich zu erforschen. Schreiben ist handeln.“ Dass literarisches Schreiben als Medizin zur Bekämpfung des eigenen unverständlichen Schicksals genutzt wird, als therapeutische Maßnahme, ist für Hustvedt existentiell.
Vor diesem Hintergrund versteht man, mit welcher Passion und Dringlichkeit die Autorin schreibt; denn der erzählerische Akt kreiert Bedeutung. Und Bedeutsames stiftet Sinn. Wenn Bronfen fragt: „Ist es einfach eine geheimnisvolle Kraft, die Sie zum Schreiben zwingt?“, dann ist die Antwort Hustvedts darauf: „Es ist ein zwingendes Bedürfnis. In meinem Alter nimmt die Dringlichkeit zu. […] Ich schreibe jetzt um mein Leben. Ich schreibe förmlich gegen den Tod. […] Ich will keine Zeit verschwenden […], also nutze ich die Zeit, die ich jetzt habe, und arbeite mit Dringlichkeit. Nicht verzweifelt, das würde ich nicht sagen. Noch nicht. Ich bin noch nicht verzweifelt.“
Es ist lohnend, sich in dieses interessante, komplexe und authentische Gespräch zu vertiefen. Man lernt auf eindringliche Weise eine Autorin, ihre Welt und ihr Werk kennen – und die Dringlichkeit, mit der die Autorin schreibt, überträgt sich auf den Leser. Nämlich auf den starken Wunsch zur Lektüre ihrer Bücher.
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