Das Falsche im Richtigen

Julia Stegmann über rechte Gewalt im Film

Von Matthias N. LorenzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Matthias N. Lorenz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die deutsche Kulturszene tut sich mit der Erinnerung rechter, nach-nationalsozialistischer Gewalttaten schwer. Die annähernd 200 Menschen, die im wiedervereinigten Deutschland von rechten – das heißt in erster Linie rassistisch, antisemitisch, sozialdarwinistisch und homophob eingestellten – TäterInnen ermordet wurden, werden in literarischen Texten, Spiel- und Dokumentarfilmen und Theaterproduktionen nur selten gewürdigt. Ein Gedenken an die Opfer findet (wenn überhaupt) lediglich lokal, oft nur aus aktivistischen Kreisen heraus statt. Einerseits wird die rechte Gewalt als Terror bis heute in der kunst-kulturellen Erinnerung überdeckt vom linken Terror der RAF der 1970er Jahre, zu dem TV-Dokudramen, Spielfilme und auch literarische Texte aus dem hochkulturellen Spektrum in nennenswerter Zahl vorliegen; andererseits verschwinden im oben genannten Sinne als rechts motivierte Taten hinter der umfangreichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.

Die angebliche ‚Bewältigung‘ der historischen NS-Epoche gehört zu den Kernbeständen der bundesrepublikanischen Basiserzählung (Trutz von Trotha). Die quantitativ breite Beschäftigung mit der NS-Zeit gilt als ein Ausweis des zurückerlangten zivilisatorischen Standards nach dessen (als temporär ausgegebenen) Verlust zwischen 1933 und 1945. In dieser diskursiven Funktion als Beleg für Normalität müssen rechte Gewalttaten nach der Gründung der Bundesrepublik als Einzeltaten, Auswüchse von Extremismus und Ausnahme verhandelt werden. Der politische und mediale Diskurs über rechte Gewalt seit der Wiedervereinigung 1990 bis hin zur öffentlichen Bearbeitung der NSU-Mordserie als Tat eines Zwickauer ‚Terror-Trios‘ belegt dies in aller Anschaulichkeit, obwohl alle Fachleute davon ausgehen, dass der NSU eine breite Unterstützerszene hinter sich wusste. Dabei zeigen die Zahlen der Amadeu Antonio-Stiftung, dass fast die Hälfte der Opfer rechter Gewalt erst seit der Jahrtausendwende ermordet wurde, diese Taten also keineswegs einer ‚Desorientierung‘ verunsicherter Individuen im staatlichen Machtvakuum der Wendejahre in den frühen 90ern geschuldet sind. Der letzte ‚Peak‘ in der Statistik war erst 2016 mit zehn rechten Morden, bis heute gefolgt von fünf weiteren – zuletzt den zwei Opfern des Amokschützen von Halle im Oktober.

Erst die Selbstenttarnung des NSU Ende 2011 hat dem Thema rechte Gewalt eine breitere Aufmerksamkeit jenseits einer Problematisierung als ‚Wendeproblem‘ verschafft. Auch die Welle von Gewalt gegen Geflüchtete insbesondere in den Jahren 2015 und 2016 hat hierzu beigetragen. So ist etwa das (Hör-)Stück Sonnenblumenhaus des deutsch-vietnamesischen Theatermachers Dan Thy Nguyen über das rassistische Pogrom von Rostock-Lichtenhagen 1992 erst seit dem Brandanschlag von Tröglitz im April 2015 gefragt – zuvor dümpelte es mehrere Monate lang auf der Internetseite freier Radios nahezu bar jeder Nachfrage vor sich hin. Nach der Brandstiftung in einer für AsylbewerberInnen vorgesehenen Unterkunft stieg die Zahl der Zugriffe nach Angaben des Autors jedoch sprunghaft auf über 200.000 Downloads. Relativ schnell sind seither vor allem Filme und bemerkenswert viele Stücke über den NSU und den NSU-Prozess entstanden. In ihrer gerade erschienenen Studie Opfer – TäterInnen – Theaterpublikum. Szenarien von Zeugenschaft in Theaterstücken zum NSU hat Anna Brod nicht weniger als 25 Theaterproduktionen untersucht.

Ebenfalls jüngst erschienen ist die hier zu besprechende Studie von Julia Stegmann, die bereits 2016 als Dissertation an der Leuphana Universität Lüneburg eingereicht wurde. Stegmann nimmt Spiel- und Dokumentarfilme in den Blick, die weitgehend vor dieser jüngsten Aufmerksamkeit für rechte Gewalt entstanden sind: Ihr Untersuchungszeitraum umfasst die zwei Jahrzehnte von 1992 bis 2012, also unter anderem die sogenannte Pogromzeit mit den rassistischen Massenausschreitungen von Hoyerswerda (1991), Mannheim-Schönau und Rostock-Lichtenhagen (1992), die rassistischen Mordanschläge von Mölln (1992), Solingen (1993) und Lübeck (1996) und die sozialdarwinistischen Morde an Norbert Plath in Ahlbeck (2000) und Marinus Schöberl in Potzlow (2002). Spätere Einzelereignisse realer rechter Gewalt wie die erst 2011 enttarnten NSU-Morde kommen in dem Set von dreizehn näher untersuchten Filmen (irritierenderweise spricht Stegmann in Einleitung und Fazit ihrer Studie von nur zwölf Filmen) nicht vor, was auch an der Zeitverzögerung liegen dürfte, mit der ein komplexes, arbeitsteiliges Kunstwerk wie der Film auf die Zeitläufte reagiert.

Stegmanns Arbeit orientiert sich in ihrem Aufbau und Zugriff weniger an filmästhetischen Kategorien, Genrefragen oder Narrativen, die die verschiedenen Spielarten filmischen Erzählens zweifelsohne voneinander unterscheiden, sondern geht von Ereignissen und Strukturen rechter Gewalt aus, also von den vorfilmischen Realitäten, die in einer kurzen Chronik vorgestellt werden. So gelten die drei großen Blöcke der Untersuchung „rassistischer Gewalt im Film“, dem „Tatmotiv Sozialdarwinismus im Film“ und der „Darstellung neonazistischer Cliquen und Einzelpersonen: Verfilmungen der Deprivationsthese?“ Erkennbar gibt hier kein theoretischer Rahmen die Struktur der Arbeit vor, sondern statistische Häufigkeiten innerhalb des untersuchten Materials und spezifische Aspekte des von den Filmen verhandelten gesellschaftlichen Phänomens werden zu thematisch orientierten Clustern zusammengefasst.

Zunächst findet eine konzise Auseinandersetzung mit „Zentralen Begriffen und Konzepten“ statt. Hier geht es um die Entwicklung der Definition rechter Gewalt seitens des Staates, die 2001 im neuen Straftatbestand „Politisch motivierte Kriminalität rechts“ kulminierte. Die Definition rechter Gewalt hängt seither nicht mehr vom Willen zum Sturz der Demokratie ab, sondern von einschlägigen politischen Einstellungen der Ungleichwertigkeit, sofern diese tatauslösend waren. Trotzdem gehen die staatliche Zählung anerkannter Fälle von rechter Gewalt und die Zahlen der Opferverbände und Rechercheverbünde weit auseinander, denn letztere erfassen auch Taten, bei denen „rechte Einstellungen tatbegleitend oder tateskalierend eine Rolle spielen“. Stegmann schließt sich dieser weiteren Definition an und legt als Kriterium an, dass „bei der Auswahl der Opfer rechte Feindbildkonstruktionen zum Tragen kommen.“

Besonderes Augenmerk richtet Stegmann auf die Problematisierung von Begriffen. „Rechtsextremismus“ lehnt sie im Einklang mit kritischen PolitikwissenschaftlerInnen ab, da der Terminus suggeriere, die Gewalt komme von außen und nicht aus gesamtgesellschaftlich verbreiteten Vorstellungen von Ungleichwertigkeit. Stegmann dreht das Kompositum um und spricht von „extremen Rechten“, um zu markieren, dass es um Spielarten rechter Politik und nicht um eine spezifische Ausformung des ‚Extremismus‘ geht. Auch „Rassismus“ fasst sie diskursanalytisch nicht als individuelle Einstellung, sondern als ein gesellschaftliches Machtverhältnis, das durch Homogenisierung, Polarisierung und Hierarchisierung legitimiert wird. Antisemitismus subsumiert Stegmann in einem sehr kurzen Abschnitt als Spielart des Rassismus, was allerdings hinter den Stand der Antisemitismusforschung zurückfällt.

Auch die Zuschreibungen als schwarze respektive weiße Menschen werden reflektiert und führen zu jeweils unterschiedlichen Um-Schreibungen, die diese kritische Reflexion ausstellen sollen. „Schwarz“ wird als Adjektiv grundsätzlich groß geschrieben, „weiß“ dagegen immer kursiv und klein. Für beide Varianten gibt es Gewährsleute (wie die afrodeutsche Aktivistin Noah Sow), allerdings stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, politisch motivierte, widerständige Schreibweisen aus dem aktivistischen Spektrum in eine wissenschaftliche Metakommunikation zu überführen. Beleidigende Bezeichnungen wie „Neger“ oder „Zigeuner“ in Zitaten werden mit „N*“ und „Z*“ ersetzt. Verständlich ist das Bemühen, verbalem Rassismus nicht abermals Raum zu geben, aber wo wäre hier bei der Arbeit über sprachliche Äußerungen etwa von Neonazis die Grenze zu ziehen, wer legt diese Grenzziehung fest? Müsste dann nicht noch viel mehr unkenntlich gemacht werden? Im wissenschaftlichen Diskurs erscheint mir die Kennzeichnung und Kritik derartiger Zitate sinnvoller. Problematisch erscheint mir gerade vor diesem Hintergrund die wiederholte Verwendung von „schwulenfeindlich“ anstelle von homophob oder auch die Benennung des Vietnamesen Ngyen do Thin, der im Rostock-Lichtenhagener Sonnenblumenhaus angegriffen wurde, über weite Strecken lediglich mit seinem Vornamen Thin, während die deutschen Protagonisten im selben Kapitel stets mit Vor- und Nachnamen genannt werden.

Stegmann interessiert sich für die „Wirkungsmacht des Mediums Film für Prozesse kollektiver Sinnstiftung“. Sowohl dokumentarische wie fiktionale filmische Narrative schaffen Erinnerungsrahmen, wie sie ausführt: Das Wissen über rechte Gewalt wird von den Filmen erst hervorgebracht. In ihren Analysen will Stegmann die filmischen Auseinandersetzungen hiermit an deren eigenen Ansprüchen zur Aufklärung messen. Dabei steht weniger der Kunstwert dieser Filme zur Debatte, auch wenn Stegmann sich selbstverständlich auch mit Schnitt, Musik, Kommentarspur etc. beschäftigt, sondern vor allem die Appellstruktur der Werke, die oftmals preisgekrönt sind und in der politischen Bildung eingesetzt werden: Informieren diese umfänglich und regen die Zuschauenden zu einer selbstkritischen Befragung vor allem rassistischer Gewalt und der derselben zugrundeliegenden Diskurse an? Insgesamt zeigt sich, dass der Zugriff dieser Arbeit vor allem am Dokumentarischen interessiert ist. Hier ist auch ein Handwerkszeug vorhanden, mit dem die Autorin arbeitet, etwa, wenn Filme verschiedenen Modi des Dokumentarischen wie partizipatorisch (offen die Interaktion zwischen Filmenden und Gefilmten ausstellend), beobachtend (ostentativ distanziert) oder reflexiv (im Sinne von selbst- bis metareflexiv) zugeordnet werden. Den wenigen Spielfilmen ihres Korpus wird sie in dieser Hinsicht weniger gerecht – nicht, was die verhandelten Diskurse angeht, sonder hinsichtlich der ästhetischen Verfasstheit des filmischen Kunstwerks und der rhetorischen Organisation seiner Aussagen. Auch unter der gewählten Prämisse einer dezidiert (diskurs)politischen Analyse hätten sich hier verschiedene theoretische Ansätze etwa aus den postkolonialen Studien (mit der nach wie vor aktuellen Frage nach der Sprecherposition Marginalisierter), der Auseinandersetzung um Anerkennung und Sichtbarkeit (Judith Butler) oder die Normalismustheorie (Jürgen Link) mit Gewinn in Anschlag bringen lassen.

Die Befunde Stegmanns sind gleichwohl interessant und relevant, weil sie mit ihrem diskursanalytischen Blick aufzeigen kann, wie viel Wegschauen zum Teil im Hinsehen angelegt ist, wie einseitig das Bild ist, das von den TäterInnen gezeichnet wird, wie monokausal der Diskurs um ‚Rechtsextremismus‘ als Abweichung von der Norm geführt wird und vor allem: wie wenig die Opfer rechter Gewalt hierbei eine Stimme erhalten. Das Zitat des Überlebenden des Möllner Mordanschlags Ibrahim Arslan, das der Studie ihren Titel gibt, Denn die Geschichten der Opfer sind das Wichtigste, ist durchaus eine normative Setzung der Autorin.

Rechte Gewalt im Film erweist sich somit nicht nur als ein filmisches Sprechen über rechte Gewalt, sondern im gar nicht so seltenen Fall auch als rechte Gehalte in den Filmen, als Fortsetzung oder Spur rechter Gewalt, die von den Filmen über rechte Gewalt – und oftmals wohl gegen die erklärte Absicht der FilmemacherInnen – fortgeschrieben wird: in ihrer Machart, ihren Inszenierungsweisen von Opferbildern, ihren Reproduktionen von TäterInnenselbstbildern, ihren unausgesprochenen Vorannahmen, die rassistische Sichtweisen unhinterfragt reproduzieren. Das diesbezüglich wohl erstaunlichste Beispiel ist Günter Wallraffs Undercover-Reportage Schwarz auf Weiß (2009). Enthüllungsjournalist Wallraff lässt sich ein hochproblematisches ‚Blackface‘ verpassen, um die Ausgrenzung schwarzer Menschen in Deutschland sichtbar zu machen. Dabei heraus kommt eine absurd aussehende und agierende Kunstfigur, die Ablehnung provoziert. Wallraff bemüht einerseits rassistische Klischees wie defizitäre Sprache, bunte Kleidung und einen niedrigen sozialen Status, unterwirft sich jedoch gerade nicht jenen Beschränkungen, die sich für einen echten Geflüchteten aus Somalia in Deutschland ergeben hätten (wie Kasernierung in Heimen, Residenzpflicht oder Arbeitsverbot). Der Rassismus gegen Schwarze sei „anders nicht zu erfahren“, so Wallraff – als gäbe es, widerspricht Stegmann mit Recht, nicht seit über hundert Jahren schwarze Menschen in Deutschland, die ein breites Wissen zum Thema hätten beisteuern können, hier aber nicht sich selbst repräsentieren dürfen. Schwarz aber ist für Wallraff gleichbedeutend mit „fremd“, als seien Deutschsein und Weißsein untrennbar aneinander gekoppelt. Schwarze fungieren im Film lediglich als stumme Sidekicks, die die Versuchsanordnung legitimieren sollen.

Dem stellt Stegmann in einem Exkurs Dokumentationen rassismuserfahrener Filmemacherinnen zur Seite, etwa Mo Asumangs Roots Germania (2007) und Die Arier (2014). Sie trifft allerdings der umgekehrte Vorwurf: Hatte Wallraff den Alltagsrassismus mit höchst fragwürdigen Methoden provozieren wollen, konzentrieren sich die Versuchsanordnungen der afrodeutschen Dokumentaristin vor allem auf exponierte Neonazis. Hierdurch, so Stegmann, „bleibt die weite Verbreitung rassistischer Einstellungen in der gesamten Gesellschaft weitgehend unbeachtet.“ Durch ergänzende Gespräche mit vordergründig unpolitischen PassantInnen, aber auch Einordnungen einer Rechtsextremismusexpertin und linker Gegenfiguren vermöge ein ähnlich angelegter Beitrag von Michel Abdollahi (Im Nazidorf, 2015) diesen Kontext eher zu transportieren. Kritisch ist hier anzumerken, dass die Autorin jeden einzelnen Film an einer normativen Idealvorstellung dessen, was Filme über rechte Gewalt zu leisten hätten, misst. Nun ist es aber zunächst einmal den FilmemacherInnen selbst überlassen, ob sie sich zum Beispiel eher den TäterInnen, den gesellschaftlichen Strukturen oder den Opfern widmen wollen, für jede dieser Entscheidungen ließen sich plausible und ehrenwerte Gründe anführen. Die diskursanalytische Kritik kann hier eigentlich nur auf der Ebene von Häufigkeiten und Leerstellen im gesamten Korpus ansetzen. Nicht jede Ideologiekritik an den einzeln verhandelten Werken kann daher gleichermaßen überzeugen.

Mustergültig erscheinen Stegmann vor allem partizipatorische Projekte wie The Truth lies in Rostock (Siobhan Cleary, Mark Saunders, 1993) oder Revision (Philipp Scheffner, 2012), die den Opfern rechter Gewalt die meiste Screen Time einräumen, sowie die dreiteilige TV-Serie Tödliche Begegnungen (Das Leben des Norbert Plath von Sabine und Eckhard Mieder, Das Leben des Carlos Fernando von Samuel Schirmbeck und Das Leben des Klaus-Peter Beer von Gabriele Jenk, alle 2001) des Hessischen Rundfunks, der es gelinge, den Ermordeten ein Gesicht und ihre Würde zurückzugeben und auf die weitverbreiteten rassistischen, sozialdarwinistischen und homophoben Einstellungen in der Mehrheitsgesellschaft hinzuweisen, die erst jenes Klima schaffen, in dem rechte Gewalt entsteht.

Dominant sind jedoch andere Filme, und zwar nicht nur zahlenmäßig, sondern auch in der Breite ihrer Rezeption, inklusive Auszeichnungen und Einsatz in der Bildungsarbeit. Hier dominiert ein nahezu uneingeschränkter Fokus auf die TäterInnen, oft verschärft durch einen Pakt zwischen DokumentarfilmerInnen und Gefilmten, bei dem unmittelbare Nähe durch Toleranz erkauft wird. So verbreiten diverse Filme die verbal gewalttätigen und larmoyanten Selbstbilder von Neonazis, ohne sie in den Kontext der von diesen verübten Taten zu stellen oder deren Opfer zu befragen. Besonders die sogenannte Deprivationsthese, die von einer gesellschaftlichen Verrohung aufgrund von Verlust- und Verelendungserfahrungen Ostdeutscher nach 1989/90 als Ursache für rechte Gewalt ausgeht und die mittlerweile stark kritisiert wird, erfreut sich in vielen Filmen großer Beliebtheit: Bilder von Industriebrachen und Plattenbautristesse wechseln sich mit Interviews ab, in denen sich die Filmenden vor allem für die gescheiterten Ausbildungswege und Beziehungsprobleme der männlichen Täter interessieren (Thomas Heises Stau-Filme, 1992/99; Andreas Voigts Glaube, Liebe, Hoffnung, 1994; eingeschränkt gilt dies laut Stegmann auch für Tamara Milosevics Zur falschen Zeit am falschen Ort, 2005).

Frauen und Mädchen, auch wenn klar erkennbar ebenso neonazistisch eingestellt, werden fast immer nur als Partnerinnen behandelt, nicht als politische Subjekte. Selbst im Spielfilm Kriegerin (David Wnendt, 2012), der ausnahmsweise eine weibliche Täterin in den Mittelpunkt stellt, wird die Gesinnung der Protagonistin vor allem aus innerfamiliären Konflikten motiviert. Stegmann: „Gesellschaft als Referenzrahmen scheint nicht zu existieren.“ Ungeeignet für die politische Bildung erscheinen viele der Filme nach Stegmanns Analyse gerade deshalb, weil sie die verhandelten Taten abgelöst vom gesamtgesellschaftlichen Kontext behandeln, also nicht nach weitverbreiteten rechten Einstellungen oder auch historischen Kontinuitäten rechter Gewalt in BRD und DDR fragen.

Julia Stegmann hat ein umfassendes Korpus von über 40 Spiel- und Dokumentarfilmen zum Thema rechte Gewalt gesichtet; ihr Wissen hierüber fließt in die Beispielanalysen ihrer Arbeit immer wieder mit ein. Allein diese Recherche ist aller Ehren wert, ruft sie doch in einer Art Archäologie der Gegenwart zum Teil längst vergessene No- oder Low-Budget-Produktionen genauso wieder ins Bewusstsein wie die letzten Ausläufer der DEFA-Produktion, die zum Teil erschreckend realitätsfremd erscheinen (so Helke Misselwitz’ Spielfim Herzsprung von 1992, der rassistische Stereotype über schwarze Männer fortschreibt und in einer kruden Volte ausgerechnet eine weiße Deutsche zum tragischen Opfer eigentlich harmloser Neonazis macht). Anmerkungsapparat und Bibliografie dokumentieren zudem zahlreiche graue Quellen, die zu erinnern und zu bewahren wichtig ist. Lediglich einschlägige Tatort- respektive Polizeiruf 110-Folgen fehlen, die aufgrund ihrer Wirkmächtigkeit besonders interessant für eine Diskursanalyse der Wissensproduktion über rechte Gewalt gewesen wären. Dafür erhalten Einzelwerke wie Philipp Scheffners Revision hier jene Aufmerksamkeit, die ihnen abseits einer einmaligen Ausstrahlung im ARTE-Nachtprogramm gebührt.

Es ist zu hoffen, dass die Vermittlungsarbeit dieser Dissertation dazu beiträgt, künftig mit sorgfältig gemachten Filmen für das Thema rechte Gewalt zu sensibilisieren: für die ‚uns‘ nahezu unbekannte Perspektive der Opfer als handlungs- und sprachmächtige Subjekte und für die gesellschaftlichen Dominanzverhältnisse, die strukturelle Gewalt und den impliziten Rassismus in Teilen des Staatsapparates und in den Medien. Indem diese Perspektiven und Aspekte in der filmischen Auseinandersetzung mit rechter Gewalt in den Jahren von 1992 bis 2012 oftmals deutlich unterbelichtet sind, liefert Julia Stegmann mit ihrer Studie auch eine Analyse jener Narrative und Leerstellen, die, wenn man ihre Befunde weiterdenkt, die Frage aufwirft, ob nicht auch der filmische Diskurs über rechte Gewalt jener Jahre seinen Anteil daran hatte, dass etwa die Verbrechen des NSU so lange unentdeckt blieben. Dass gerade einige Versuche der Aufarbeitung und Auseinandersetzung zumindest indirekt zur weitgehenden Blindheit der Mehrheitsgesellschaft beigetragen haben könnten, gehört zu den erschreckendsten Einsichten, die sich aus der Lektüre dieser Arbeit gewinnen lassen. Auch beim Thema rechter Gewalt gilt das vielzitierte Bonmot der Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch:„Die Einstellung ist die Einstellung“.

Titelbild

Julia Stegmann: Denn die Geschichten der Opfer sind das Wichtigste. Rassismus-kritische Analysen zu rechter Gewalt im deutschen Spiel- und Dokumentarfilm 1992–2012.
V&R unipress, Göttingen 2019.
458 Seiten, 65,00 EUR.
ISBN-13: 9783847110002

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