Dinge, die wir nicht wissen sollen

Naeem Murr überreizt sein Thema

Von Michael SchmittRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Schmitt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Teufel ist so schlecht, "weil ihm seine Arbeit so verdammt leicht gemacht wird" - denn kein Mensch muß zum Bösen verführt, und keinem muß die Seele erst noch abgekauft werden. Unter diesem Vorzeichen läßt sich blanker Horror inszenieren, aber auch eine tieferschürfende Studie über das Böse, das nichts anderes ist, als das Wissen um Dinge, "die wir nicht wissen sollen". Nur beides zusammen in einem einzigen Buch ist womöglich des Guten ein bißchen zuviel - und daran scheitert "Es nähme einer mich plötzlich ans Herz", der erste Roman von Naeem Murr.

Auf rund 230 Seiten packt er schillernde Straßen-Szenarios, Mordversuche, Milieu- und Charakterstudien, die Geschichte eines ehrgeizigen Mannes und die Leidenswege von dessen Frau und Kindern. Vor allem aber die unergründliche Figur eines Fünfzehnjährigen, der unter vielen Namen und in vielen Verkleidungen auftritt und fast allen Menschen, denen er begegnet, zum Verderben wird.

Er ist der jungenhafte Liebling in einem Heim für Straßenkinder und ein rätselhafter Pflegesohn; er ist ein Stricher und ein Teufel, der an seinen Stiefgeschwistern Rache übt. Dabei hinterläßt er eine Spur von Toten - doch ob er allein daran die Schuld trägt, läßt sich trotzdem so einfach nicht sagen. Denn er bewegt sich zwischen den Menschen wie ein Katalysator unter chemischen Elementen, bringt ihre Sehnsüchte und ihre selbstzerstörerischen Kräfte zum Durchbruch, stachelt die dunkelsten Antriebe an und wird zur Projektionsfläche von Wünschen und Phantasien. Er nützt das aus, er steuert und lenkt - und zwischendurch fällt er zurück in den Stand eines unschuldigen Kindes. Dann wird der Täter zum Opfer und das Opfer zum Täter. Das ist ein diabolisches Spiel mit einer häßlichen Pointe am Ende, ist über weite Strecken auch brillant formuliert - aber alles in allem ziemlich überreizt.

Titelbild

Naeem Murr: Es nähme einer mich plötzlich ans Herz. Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein.
Luchterhand Literaturverlag, München 1999.
238 Seiten, 16,40 EUR.
ISBN-10: 3630870228

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