Fontane zu Weihnachten

Und Vorbemerkungen zur Dezember-Ausgabe von literaturkritik.de

Von Thomas AnzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Anz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenige Tage nach Weihnachten wurde Theodor Fontane geboren, vor 200 Jahren, am 30. Dezember 1819 in Neuruppin. Die zeitliche Nähe seines Geburtstags zum Weihnachtsfest dürfte einer der Gründe dafür sein, dass dieses in seinem Werk, in seinen Romanen, Erzählungen, Gedichten, Erinnerungen an die Kinderjahre und Briefen, ein auffallend häufiges und vielfältig variiertes Motiv ist. Weihnachten, Geburtstag und Jahreswechsel sind für ihn und seine literarischen Figuren dreifache Anlässe, Bilanzen zum bisherigen Leben zu ziehen – wie in dem Gedicht zum 24. Dezember 1890 vor seinem 71. Geburtstag:

Noch einmal ein Weihnachtsfest,
Immer kleiner wird der Rest,
Aber nehm’ ich so die Summe,
Alles Grade, alles Krumme,
Alles Falsche, alles Rechte,
Alles Gute, alles Schlechte –
Rechnet sich aus all dem Braus
Doch ein richtig Leben raus.
Und dies können ist das Beste
Wohl bei diesem Weihnachtsfeste.

Das Gedicht fehlt in keiner der vielen Anthologien, in denen Texte Fontanes zu Weihnachten gesammelt veröffentlicht wurden. Das kürzlich in der Insel-Bücherei von Matthias Reiner herausgegebene und von Selda Marlin Soganci illustrierte Bändchen „Das Herz bleibt ein Kind“. Weihnachten mit Fontane wird mit diesem Gedicht eröffnet. Die ebenfalls 2019 erschienene Neuauflage des Fischer Taschenbuchs Weihnachten mit Theodor Fontane, herausgegeben von Michael Adrian, stellt es an das Ende. Kontraste und Mischungen von Anfang und Ende, Freude und Schmerz oder Kindheit und Alter prägen Fontanes Weihnachten durchgängig. Die erste Fassung des Gedichts Alles still! endet mit der todessehnsüchtigen Strophe:

Alles still! und ach, dem Schweigen
Schaut mein Herz wie neidisch zu;
Würde bald auch ihm zu eigen
Solche tiefe, tiefe Ruh.

Die letzte Strophe der späteren, ganz anderen Fassung lautet:

Alles still! Nichts hör ich klopfen
Als mein Herze durch die Nacht –
Heiße Tränen niedertropfen
Auf die kalte Winterpracht.

Weihnachtstränen lässt Fontane häufig fließen, bei Erwachsenen wie bei Kindern. Sein Gedicht Christnacht beginnt so:

Auf dem weißgedeckten Tische
Prangt der grüne Weihnachtsbaum,
Trägt im buntesten Gemische
Kerzen, Gold- und Silberschaum.

Vor dem Tische steht ein Knabe,
Blickt die Schätze hastig an,
Ob vielleicht die Weihnachtsgabe
Ihm das Herz erfreuen kann.

Aber nichts will ihm gefallen,
Selbst das Schönste dünkt ihm Tand,
Und er weint, weil an dem allen
Nicht sein Herz Befriedgung fand.

In Meine Kinderjahre finden sich bei den Erinnerungen an frühere Weihnachtsfeiern Sätze wie diese: „Die Weihnachtsfreude war hin“. Oder: „Fröstelnd und unzufrieden mit mir und meinem Schicksal, saß ich da“. In Grete Minde steht der Satz: „Ein solcher Tag, und der bittersten einer, war der Weihnachtstag, an dem auch diesmal ein Christbaum angezündet wurde.“ Die Weihnachtsbriefe, die Fontane schreibt oder die er seine Figuren schreiben lässt, klingen auch oft nicht gerade fröhlich. „Ich bin unsagbar menschenmüde und müde des Strebens, das zu nichts führt. Könnt’ ich, ich zöge mich morgen zurück. Ich komme mir mit meinen Schreibereien vor wie ein Clown im Circus.“ So schildert er seine Befindlichkeit in den Weihnachtstagen des Jahres 1874. Seine Effi Briest lässt er in einem Brief an ihre Mutter bekennen:

Innstetten und mein guter Freund Gieshübler hatten alles aufgeboten, mir den Heiligen Abend so angenehm wie möglich zu machen, aber ich fühlte mich doch ein wenig einsam und bangte mich nach Euch. Überhaupt, so viel Ursache ich habe, zu danken und froh und glücklich zu sein, ich kann ein Gefühl des Alleinseins nicht ganz loswerden, und wenn ich mich früher, vielleicht mehr als nötig, über Huldas ewige Gefühlsträne mokiert habe, so werde ich jetzt dafür bestraft und habe selber mit dieser Träne zu kämpfen.

Nicht alles in Fontanes Texten zu Weihnachten ist so negativ gestimmt. Sogar den Tränen kann er Positives abgewinnen. In dem Gedicht Christnacht spricht ein „Knabe“ zu Gott die Verse:

„Gott der Liebe, hier am Grabe
Hast Du endlich Dich bewährt,
Hast als schönste Weihnachtsgabe
Endlich Tränen mir beschert;

Mir, dem Du so viel genommen,
Dem so alles, alles fehlt,
Daß ihn, wenn die Tränen kommen,
Heißer Dank dafür beseelt.“

In Effie Briest bietet das Weihnachtsfest auch Ablenkungen von psychischen Belastungen: „Effi, die sonst schwer über diese Tage hinweggekommen wäre, segnete es, daß sie selber einen Hausstand hatte, dessen Ansprüche befriedigt werden mußten. Es galt nachsinnen, fragen, anschaffen, und das alles ließ trübe Gedanken nicht aufkommen." –

Vor 100 Jahren sind zu Fontanes „rundem“ Geburtstag im Berliner Tageblatt Artikel von Thomas Mann (am 25.12.1919) und Kurt Tucholsky (27.12.1919) sowie das Heft 40 der Zeitschrift  Simplicissimus (am 1.1.1920) erschienen, worauf bei dieser Gelegenheit wenigstens hingewiesen werden soll. Das Ende des „Fontane-Jahrs“ 2019 ein Jahrhundert später, dem sich literaturkritik.de in früheren Monaten wiederholt gewidmet hat und diese Dezember-Ausgabe noch einmal mit ihrem Themenschwerpunkt, ist das Ende eines ganzen Jahrzehnts, dem zweiten nach der Gründung unserer Zeitschrift. In der Januar-Ausgabe des neuen Jahrzehnts befasst sie sich unter anderem mit einer Lyrik-Anthologie, die am Ende des expressionistischen Jahrzehnts, also ebenfalls vor 100 Jahren, erschienen ist – mit dem symbolträchtigen Titel Menschheitsdämmerung. „Dämmerung“ hat dort eine doppelte Bedeutung: Sonnenuntergang und Sonnenaufgang, Ende eines alten Tages und Beginn eines neuen – und mit ihm einer anderen Epoche.

Auch für literaturkritik.de ist das Ende des alten und der Beginn des neuen Jahrzehnts eine Zäsur, Ende einer Ära und Anfang einer neuen – allerdings unerwartet plötzlich. Genaueres dazu in der Januar-Ausgabe! Bis dahin beste Wünsche für die Weihnachtstage und zum Jahreswechsel – verbunden mit herzlichem Dank an alle, die im alten Jahr die Zeitschrift auf unterschiedliche Weise unterstützt haben!

Titelbild

Matthias Reiner (Hg.): „Das Herz bleibt ein Kind“. Weihnachten mit Fontane.
Mit Illustrationen von Selda Marlin Soganci.
Insel Verlag, Berlin 2019.
103 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-13: 9783458205241

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Michael Adrian (Hg.): Weihnachten mit Theodor Fontane.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2019.
208 Seiten , 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783596522590

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch