Ich will doch nur, dass ihr mich liebt

„Ein Unding der Liebe“, nach einem Drehbuch von Sohrab Shahid Saless, ist auf DVD erschienen

Von Behrang SamsamiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Behrang Samsami

Grönhart, eine Kleinstadt in Süddeutschland. Am Rand der Stadt lebt Georg Bleistein, 27 Jahre alt. Er (gespielt von Erich Bar), ein großer, stämmiger Mann, arbeitet als Helfer in einer Großküche eines Supermarkt-Restaurants. In der Stadt liegt Schnee. Es ist kalt. Die Feiertage rücken näher. Nach seinem Arbeitstag besorgt Bleistein noch Geschenke und freut sich wie ein kleiner Junge, als er im Schaufenster eines Geschäfts eine Eisenbahn sieht. Dann fährt er mit dem Fahrrad nach Hause. Doch sehr schnell entpuppt sich dieses Zuhause als graue, freudlose Stätte, die von seiner Tante Meta (Ingeborg Lapsien) regiert wird, einer humorbefreiten, abgehärmten und Schwarz tragenden Witwe. An ihrer Seite: Bleisteins weißhaarige Großmutter (Trude Breitschopf), die etwas gnädiger zu ihrem Enkel ist, sich aber letztlich immer an ihre dürre, sittenstrenge Tochter hält.

Das ist die Ausgangssituation in Ein Unding der Liebe, einem Fernseh-Zweiteiler, der, vom ZDF koproduziert, Ende März 1988 erstmals ausgestrahlt wird und seit 2019 auf zwei DVDs vorliegt. Im Protagonisten Georg Bleistein erkennen wir ein großgewachsenes, unbeholfenes Kind, das sich nach Liebe und Wärme sehnt – etwas, das er von Tante und Großmutter nicht bekommt. Sie haben ihn als Kind zu sich genommen und stopfen ihn seither mit Essen voll. Von seiner Mutter weiß er nur, dass sie in einer anderen Stadt wohnt. „Deine Mutter ist eine Säuferin, eine Schlampe“, hört der junge massige Mann von der Tante. Doch Bleistein will nichts auf seine Mutter kommen lassen. Dennoch lässt er sich tyrannisieren. Als er einmal eine Party gibt, letztlich um eine Kassiererin, die er aus seinem Supermarkt flüchtig kennt, zu verführen, bleiben Tante und Oma da, um die junge Frau kennenzulernen. Das Ganze endet im Fiasko. „Mein Haus ist kein Pfuff… Für solche Sauereien haben wir dich nicht großgezogen“, hört Bleistein, am Boden und weinend, seine Tante sagen.

Bleistein, der nicht geliebt wird und nicht lieben darf, der weder bei seiner Familie noch bei seiner Arbeit Anerkennung findet, verliert zunehmend den Halt und will den Erwartungen an ihn auch nicht mehr gerecht werden. Er gerät in eine Abwärtsspirale, aus der ein Entkommen unmöglich scheint: Der Barkeeper einer Kneipe schlägt ihn zusammen, so dass er behandelt werden muss. Doch als seine Tante beim Reinigen seines Zimmers eine Reihe von Pornoheften entdeckt, schmeißt sie den Neffen hochkant raus. Eine Pension, wo er über die Vermittlung eines Arbeitskollegen ein Zimmer erhält, muss er bald ebenfalls verlassen, weil er seine Schulden nicht bezahlen kann. Heimlich schleicht Bleistein zu Tante und Oma und entdeckt alte Briefe seiner Mutter, die sie ihm vorenthalten haben. Aus den Schreiben geht hervor, dass sie sich nach ihrem Sohn sehnt, darunter leidet, dass sie nichts von ihm hört, sich ins Trinken geflüchtet hat und am Ende in einem Entziehungsheim gelandet ist.

Er stellt beide zur Sprache: „Ihr habt sie zur Strecke gebracht. Ihr mich mich nur großgezogen, um ihr weh zu tun. Und mich habt ihr totgeschwiegen. Ich bin erst gesund, wenn ihr gestorben seid.“ Danach nimmt Bleistein das Haus auseinander, entreißt der Tante Geld und reist mit der Bahn nach München, um seine Mutter zu suchen, die dort leben soll. Hier beginnt der zweite Teil des Films, der hier nicht näher vorgestellt werden soll, damit sich Interessierte selbst ein Bild machen können.

Ein Drehbuch – zwei Regisseure

Man kann dankbar sein, dass Ein Unding der Liebe nach über 30 Jahren erstmals auf DVD vorliegt. Hilfreich und lohnenswert wäre es allerdings gewesen, wenn die Herausgeber – der Film- und Hörspielverlag Pidax und das ZDF – dem Zweiteiler etwa ein kleines Booklet beigelegt hätten, um interessierten Käufern zumindest einige Hintergrundinformationen etwa über die Entstehung und das Pressecho zur Erstausstrahlung anzubieten. Die Entstehungsgeschichte dieses Filmprojekts lohnt sehr, mehr darüber zu erfahren. Sie ist verbunden mit dem Namen eines iranischen Drehbuchautors und Regisseurs, der zwischen 1974 und 1992 über ein Dutzend Kino-, Dokumentar- und Fernsehfilme in der Bundesrepublik und der Tschechoslowakei realisiert hat: Sohrab Shahid Saless (1944-1998). Beispiele seines Schaffen sind In der Fremde (1975), Utopia (1982) und Wechselbalg (1987).

 „Ich habe Ihnen erzählt, daß ich ,Ein Unding der Liebeʻ mindestens dreimal gelesen habe. Jedesmal intensiver gelesen und optischer gesehen. Georg Bleistein ist mittlerweile ein Freund von mir geworden. Wenn es ihn friert, friere ich mit ihm. Wenn er frühmorgens zur Arbeit geht, sitze ich mit ihm im Bus und sehe seinen Nacken an. Und als er ausbricht, weiß ich, daß Bleistein und ich beide nie mehr ein Zuhause finden werden“, schreibt Saless Mitte 1982 an den 1946 in Treuchtlingen geborenen Schriftsteller Ludwig Fels, den Autor des gleichnamigem Romans, der 1981 erscheint.

Die Identifizierung des Autorenfilmers Saless mit Felsʼ Protagonisten geht vielleicht mit darauf zurück, dass der Regisseur auch ohne leibliche Mutter aufgewachsen ist und ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Salessʼ Filme zeichnen sich, ob im Iran oder in Europa realisiert, dadurch aus, dass die Figuren fast alle einsam, gehemmt, sprachlos und nicht in der Lage sind, mit ihrer Umgebung zu kommunizieren und aus ihrer oft tristen Situation auszubrechen. Ein Aus-der-Welt-Gefallen-Sein, ein Außenseitertum, aber auch etwas Rebellisches haftet Salessʼ Figuren an – und Georg Bleistein. Daher gilt das, was Saless im gleichen Brief über Felsʼ Leserschaft schreibt, auch für sein eigenes Filmpublikum: „Sie werden – die Menschen – feststellen, daß sie in der Welt der Schönen gelebt haben. In einer Welt, die heil aussieht, obwohl sie nur aus einem Scherbenhaufen besteht.“

Als Saless sich nach dem Dreh von Wechselbalg daran macht, das Drehbuch zu Ein Unding der Liebe zu schreiben, kann er nicht ahnen, dass er den Film nicht selbst realisieren wird. Als er schon dabei ist, die Dreharbeiten vorzubereiten, erhält er die Diagnose Darmkrebs und unterzieht sich in Bratislava, wo er damals lebt, einer Operation. Das ZDF verpflichtet daraufhin den aus Bukarest stammenden Kollegen Radu Gabrea (1937-2017) als Regisseur. Dass Saless nach der Ausstrahlung vom Resultat enttäuscht ist, wie sein langjähriger Regieassistent Bert Schmidt, der ursprünglich auch bei diesem Projekt mitwirken sollte, dem Autor dieser Zeilen mitteilt, ist nachvollziehbar.

Nachvollziehbar aus zweierlei Gründen: Saless hat erstens ganz genaue Vorstellungen, wie er seine Filme drehen will und wie sie aussehen sollen. Kompromisse geht er daher überhaupt nicht oder nur in sehr geringem Maße ein. Als er sein Projekt zwangsweise abgeben muss, verliert er die Kontrolle über die Inszenierung. Zweitens weist Gabreas Verfilmung von Ein Unding der Liebe eine Reihe von Schwächen auf. Es gelingt dem Regisseur nicht, die Atmosphäre und Dichte zu schaffen, wie sie für Salessʼ Filme kennzeichnend sind. Bleisteins Leiden an seiner Situation, die Lieblosigkeit und Distanz von Tante, Großmutter, aber auch seiner eigenen abgestumpften, trinkenden Mutter, als sie er gefunden hat, die Rohheit und Brutalität der Arbeitgeber, die Bleistein und die anderen für wenig Geld ackern lassen – kurz die Auswirkungen des Kapitalismus in der modernen Gesellschaft, die zerrütteten, kaputten Beziehungen der Menschen, die Betonung des Monetären –, dies alles ist in Gabreas Umsetzung zwar vorhanden, allerdings nur schwach verknüpft und ausgearbeitet.

„Erich Bar zeigt in der Rolle des ungeliebten, unsympathischen und unförmigen Einfaltspinsels Georg Bleistein erstaunliche Behendigkeit, den Mut und das Talent, ebenso rührend wie abstoßend zu wirken“, schreibt Angelika Kaps im März 1988 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Und sie weist auf eine weitere Schwäche hin: „Die meisten anderen Darsteller dagegen, obwohl sie vom Typ her bis in die kleinste Nebenfigur sehr gut besetzt sind, drücken durch ihr steifes Agieren weniger die Unbeholfenheit der Figuren als die fehlende Anleitung durch den Regisseur aus.“

Salessʼ zweiter Anlauf – „Rosen für Afrika“

Das Drehbuch eines Kollegen zu verfilmen, sei eine undankbare Aufgabe, so noch einmal Bert Schmidt, erst recht im Fall von Saless. Auch wenn Gabreas Verfilmung von Ein Unding der Liebe Schwächen in der Schauspielerführung und im Erzeugen von Intensität und Atmosphäre aufweist, ist Salessʼ Vorlage so stark, dass seine Themen dennoch durchscheinen: Die (Mutter-)Liebe, die Bleistein trotz verzweifelter, ungeschickter Versuche verwehrt bleibt; ein Außenseitertum, an dem er leidet und das er nicht abstreifen kann, sowie ein nicht nur unterschwelliges rassistisches Denken im Alltag. Einmal sagt die Tante, dass Bleistein „schlimmer wie die Ausländer“ essen würde. Die Kassiererin, die er einlädt, fragt ihn, ob er kein Deutscher sei, weil er karibische Musik hört: „Du hast einen Geschmack wie ein Bananenlutscher.“ Bleistein selbst ist auch nicht frei vom diesem Denken: Als ein iranischer Kollege ihn einmal fragt, ob er krank sei, weil er ungehalten ist und um sich schlägt, antwortet Bleistein darauf in gebrochenem Deutsch: „Viel Frau. Schwanz total kaputt.“

Wer sich einen Eindruck verschaffen will, wie Saless selbst Ein Unding der Liebe umgesetzt haben könnte, soll sich seinen letzten Film Rosen für Afrika (1992) ansehen. Vorlage ist der gleichnamige Roman (1987). Autor ist wieder Ludwig Fels. Man gewinnt den Eindruck, als wolle Saless mit Rosen für Afrika den vorherigen Film, bei dem Gabrea Regie geführt hat, noch einmal, aber diesmal ohne die aus seiner Sicht begangenen Fehler, drehen. Parallelen sind vorhanden: Paul Valla, ein 30-jähriger Gelegenheitsarbeiter, lernt die bürgerliche Karola kennen. Sie ziehen zusammen. Karola wird schwanger. Doch anstatt dieses Glück anzunehmen, geht die Beziehung in die Brüche, weil Valla aggressive und (selbst-)zerstörerische Züge an den Tag legt. Wie Bleistein verliert er Schritt für Schritt Heim und Arbeit, betäubt sich mit Alkohol, wird kriminell und gerät an die Peripherie.

Auch wenn die Kritik eine Reihe von Schwächen in Radu Gabreas Verfilmung von Ein Unding der Liebe entdeckt, ist es dennoch nur zu begrüßen, dass der Zweiteiler jetzt auf DVD vorliegt. Auch weil es der erste Film überhaupt ist, an dem Sohrab Shahid Saless mitgewirkt hat, der käuflich erworben werden kann. Die DVD-Veröffentlichung kann und soll aber auch als Einladung gesehen werden, sich mit dem gleichnamigen, sehr lesenswerten Roman von Ludwig Fels zu befassen. Ein Roman, der an Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz (1929) erinnert, und einen Menschen zeigt, der letztlich an sich und an den anderen scheitert: „Er befand sich in der Mitte eines Lebens, das sich für seinen Tod entschieden hatte. / Hinter ihm lagen nur Versuche, die mit ihm angestellt worden waren. / Er mußte unter die Räder kommen, in allen Fängen landen. Nur dort wurde ihm erklärt, was er nicht ist, denn die Menschen fügen sich selber ihr Leben zu.“

Radu Gabrea: Ein Unding der Liebe. Der komplette Zweiteiler auf 2 DVDs. Pidax Film- und Hörspielverlag. Riegelsberg 2019. 207 Minuten Laufzeit. 16,99 Euro. 

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