Die ganze Gelehrtenrepublik
Die Ergebnisse eines EU-Projekts zum frühneuzeitlichen Brief in Europa sprengen bisherige Dimensionen
Von Jochen Strobel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseVier Jahre lang haben Briefexpert*innen aus 33 Ländern erforscht, wie mit der ungeheuren Menge an brieflicher Überlieferung aus der Frühen Neuzeit zwischen 1500 und 1800 mit Mitteln der Digital Humanities umzugehen sei. Mit Howard Hotson (Oxford) und Thomas Wallnig (Wien) leiteten zwei Historiker ein Projekt, dessen Mitwirkende aus Bibliotheken und Archiven sowie aus der Literaturwissenschaft, der Geschichtswissenschaft, den Digital Humanities und der Informatik kamen. Keimzelle ist das von Hotson seit langem vorangetriebene Projekt EMLO (Early Modern Letters Online), das bereits viele Briefmetadaten zugänglich gemacht hat.
Ausgangsposition ist eine neue Sichtweise auf das frühneuzeitliche Europa, das sich als Ort eines epistolaren Gelehrtennetzwerks geradezu konstituiert habe. Bei reichlicher Quellenüberlieferung ist über diesen gelehrten Austausch bis auf einige Inseln des Wissens über die gelehrten Stars ihrer Zeit wenig bekannt, da mutmaßlich Millionen Briefe zerstreut und ungelesen in zahllosen Archiven Europas lagern. Tools wie KALLIOPE oder CORRESPSEARCH machen z. B. die deutschen Bestände sowie ältere und jüngere Editionen allererst sichtbar und zunehmend auch lesbar und durchsuchbar – doch sind dies Annäherungen an ein kaum bestelltes Feld.
Der Band, der die Ergebnisse einer EU-finanzierten „COST Action“ vorstellt, gibt sich als erster Leitfaden für eine solche Annäherung. Er macht Vorschläge für Definitionen und für die Standardisierung von Metadaten. Weniger Volltexte und Bilder als Meta- und Registerdaten sind der Schlüssel zu Standardisierung, Interoperabilität und schließlich Weiternutzung als Forschungsdaten. Kleinere Projekte können zusammenwachsen, wenn Datenmodell und Notationen (auch Transkriptionen) normiert sind. Tools für die elektronische Verarbeitung solch riesiger Datenmengen werden diskutiert, erste Ergebnisse werden vorgestellt. Der vorliegende Band bietet die Voraussetzungen dafür, dass Forschungsprojekte zum Brief größere Dimensionen annehmen und sich vernetzen können, bis sich schließlich die Briefforschung Big Data zuzuwenden vermag.
Open access: https://doi.org/10.17875/gup2019-1146 (https://www.univerlag.uni-goettingen.de/handle/3/isbn-978-3-86395-403-1)
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