Von Fliegern und Autofahrern
Erhard Schütz streift die „Mediendiktatur Nationalsozialismus“ anhand ausgewählter Themenbereiche
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseUm damit zu beginnen, eine Abhandlung über die „Mediendiktatur Nationalsozialismus“ legt Erhard Schütz mit diesem Band nicht vor. Ganz im Gegenteil, der Umgang des Regimes mit Medien und deren Einsatz zu seinen Gunsten spielen nur am Rande eine Rolle, eine bedeutende (denn ohne Medien keine Symbolpolitik), randständig bleiben Medien aber doch in diesem Band. Das ist grundsätzlich zu bedauern, gehört der zuletzt an der Humboldt Universität zu Berlin lehrende Schütz doch wohl zu den besten Kennern von Literatur und Medien zwischen 1933 und 1945. Stattdessen legt er mit „Mediendiktatur Nationalsozialismus“ eine Sammlung von Aufsätzen vor, die sich vor allem um zwei thematische Gravitationszentren drehen, die Fliegerei im Dritten Reich und das Autofahren, mit und ohne Autobahn und Volkswagen, durchs Reich und gelegentlich auch in fremden Ländern. Hinzu kommen noch ein aus mehreren Vorlagen kompilierter Beitrag zum deutschen Wald, der sich allerdings nicht an die historischen Grenzdaten 1933 und 1945 hält, und zwei Beiträge zur Literatur zwischen 1933 und 1945. Das übergeordnete Thema des Buches ist der Nationalsozialismus an der Macht.
Dabei hat Schütz sich auf Gegenstände konzentriert, die in der Aufarbeitung jener „Tausend Jahre“ zwar immer wieder ins Auge fallen, aber ansonsten eher von Literaturwissenschaftlern nicht intensiv bearbeitet wurden. Die „Straßen des Führers“ sind sprichwörtlich geworden, wie es zugleich Allgemeingut geworden ist, dass sich das Regime in bekannter Manier der Vorarbeiten der Systemzeit bedient hat, um seine Handlungsfähigkeit und Tatkraft zu demonstrieren. Dass die Autobahnen zugleich für die Überwindung der Wirtschaftskrise wie für die Kriegsvorbereitung herangezogen worden seien, hat sich darüber hinaus als Denkformel erhalten.
Dagegen interveniert Schütz in seinen Beiträgen entschieden. Denn die Förderung des Autobahnbaus wie der Automobilität in den 1930er Jahren hat aus seiner Sicht viel mehr mit der Symbolpolitik des „Dritten Reiches“ zu tun als mit wirtschaftlichen oder militärischen Zielen. Der Rausch der Geschwindigkeit und das Autowandern auf den Betonbändern der neuen Straßen hatten so gesehen kein unschuldiges Ziel, sondern im engeren Sinn vor allem eine systemstabilisierende Aufgabe. Der Normbürger der nationalsozialistisch fermentierten Volksgemeinschaft sollte sich an die Überwindung der Gegensätze von Stadt und Land machen, wenn er sich ins Auto setzte. Als Kontrafaktur sind entsprechend Berichte von Besuchen in den USA zwischen 1933 und 1945 zu sehen. So zeigen sich, wie Schütz bemerkt, nach 1933 einige Abweichungen vom Standardprogramm der USA-Reisen im Vergleich zu den Jahren davor: Das Interesse an deutschen Auswanderern und deren Haltung zum Reich war mit gutem Grund nach 1933 stärker. Gleichzeitig sollte offensichtlich die Überlegenheit des deutschen Wesens herausgestellt werden. Das Spektrum der Berichte hatte sich mithin seit dem Ende der Weimarer Republik deutlich verschoben. Nicht mehr das Experiment USA war zu besichtigen, sondern die niedergehende Großmacht, die an Frauenemanzipation und der verlorenen weißen Suprematie zu scheitern drohte.
Analog zum Auto agiert Schütz auch beim Thema Fliegen gegen liebgewonnene Denkmuster, die das Verhältnis zum Nationalsozialismus ja auch ein bisschen einfacher machen sollen. Für Schütz steht weniger die Indienstnahme der Fliegerei für den Krieg im Vordergrund, als die Besetzung symbolisch relevanter Themen. Denn neben den Momenten der Erhabenheit, die in den mit dem Fliegen verbunden Texten zu finden sind, dient auch dieses Sujet der Aufwertung des Regimes. Die Fliegerei als Fortsetzung der Automobilisierung lässt sich ebenfalls wunderbar zur Entwicklung von Phantasmen einsetzen – was der späteren Kriegstauglichkeit nicht widerspricht. Sobald es darauf ankommt, kann man eben auch zeigen, was deutsche Flieger so alles vermögen. Warschau bombardieren zum Beispiel oder ein bisschen Sturzkampffliegerei. Allerdings handelt Schütz nicht ohne Grund das merkwürdige Rollenbild deutscher Fliegerasse ab, die gern als Jungens präsentiert werden, die nichts anbrennen lassen, aber nach dem Kampf vor allem erst einmal an die Mutter denken (und wenn nicht an sie, dann notfalls auch an die Ehefrau).
Dabei wird Schütz nicht müde, darauf zu verweisen, dass das NS-Regime den Anschein seiner strukturierenden Macht mit großem Erfolg zu implementieren vermochte, eigentlich aber am Kultursystem und seiner strukturellen Widerborstigkeit gescheitert sei. Widerständigkeit will man freilich nicht sagen, so weit will niemand gehen. „Selbst- und Wunschbilder“ bestimmten die Erscheinung des Regimes wohl mehr als bislang meist gedacht. Die perfekte Oberfläche, wie sie vor allem in der Inszenierung des Nationalsozialismus in der Unterhaltungskultur der Nachkriegszeit erscheint, ist wohl weitgehend Idee, oder genauer, Teil einer aufwendigen Inszenierung gewesen.
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