Besserer Sex im Sozialismus?

Kristen R. Ghodsee mit einer provokanten These: „Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

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Eine bessere soziale Sicherung soll zu besserem Sex für Frauen führen? Wenn Bismarck selig das geahnt hätte! Zu wünschen wäre es allen Beteiligten, in welcher Konstellation auch immer. Aber hinter diesem provokanten Titel – Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben, sehr dekorativ und vielsagend durch eine realsozialistische Speerwerferin auf dem Umschlag untermalt – verbirgt sich eine darüber hinausreichende Botschaft: Gesellschaften, die sich um eine grundsätzliche Gleichbehandlung aller bemühen und sich zudem um eine intensive soziale Absicherung kümmern, die also den wirtschaftlich und sozial Schwächeren Unterstützung zugestehen und die Stärkeren mit dazu heranziehen, sind gerechter, ihre Mitglieder sind zufriedener und es gibt weniger Konflikte. Hier sind alle besser dran. Und weniger frei sind sie auch nicht – ganz im Gegenteil, sozial ausgleichende Gesellschaften erhöhen die Handlungsfreiheit ihrer Bürger. In bestimmter Weise gilt das sogar für die realsozialistischen Staaten bis zum Ende der 1980er Jahre.

Die Folie, auf der Ghodsee allerdings ihr Plädoyer vorträgt, ist nicht die Situation in Europa, ja nicht einmal die in Osteuropa oder Deutschland. Es ist die Situation in den USA, gegen die sie sich richtet und die ihrer Ansicht nach einer grundsätzlichen Änderung bedarf, ja einer Revolution. Die USA brauchen in der Tat keinen Staatssozialismus, aber wenigstens ein bisschen vom europäischen Sozialstaat, also einen stärkeren Staatssektor mit sicheren Jobs und eine bessere Absicherung gerade von Frauen.

Ein Land jedoch, in dem eine staatlich organisierte Krankenversicherung, ein Sozialsystem, in dem sozial Schwächeren geholfen wird, kostenlose Kindergärten und Kinderbetreuung inklusive, in dem der Ausbau des öffentlichen Sektors oder auch nur eine stärkere Besteuerung von übermäßigem Reichtum als entschiedene Schritte in den Abgrund des untergegangenen Staatssozialismus osteuropäischer, ja stalinistischer Prägung gelten, hat mit ganz anderen Problemen zu kämpfen als Sozialstaaten europäischer Prägung, in denen die Einzelnen eine vergleichsweise gute soziale Absicherung genießen. Die Konflikte und Brücher, unter denen die USA leiden, reichen tiefer und sind brutaler als alles, was aus Europa bekannt ist. Das politische System wird von einer Kaste von Superreichen geprägt, denen Mitverantwortung für das Gemeinwesen derart fremd ist, dass jede Steuerzahlung als Vorbote des Bösen gelten kann.

Dem ist mit Ghodsee entgegen zu halten, dass gerade Frauen, die in den USA zu den Verlierern des Systems gehören, weil sie strukturell zu den ärmsten und einflusslosesten Gruppen gehören, ein großes Interesse an einem funktionsfähigen öffentlichen Sektor und einer selbstverständlichen sozialen Absicherung haben müssen. Weil es zum einen vor der Armutsfalle schützt, in die sie überproportional oft zu geraten drohen, weil es zum anderen aus der fatalen Abhängigkeit vom Ehemann befreien und ihnen größere Selbstständigkeit gewähren würde. Weil sie das insgesamt selbstständiger machen und ihnen eine wirtschaftliche Absicherung gewähren würde. Weil das alles dazu führen würde, dass sie ihre Haut nicht mehr zu Markte tragen müssten, soll heißen alles zwischen Partnerschaft und Sex verkaufen zu müssen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Und im Umkehrschluss heißt dies, dass sie ihre Partner nicht mehr aus schlicht ökonomischen Gründen wählen müssten, sondern ihren Neigungen folgen könnten – was zu der Vermutung Anlass gibt, dass sie dann auch besseren Sex hätten.

Siehe Sozialismus: Die sozialistischen Systeme in Osteuropa hätten in ihrer dann doch sehr kurzen Geschichte viele schlechte Motive dafür gehabt, die Berufstätigkeit, Selbständigkeit und soziale Absicherung von Frauen zu fördern. Aber der Effekt ihrer Bemühungen habe eben zu einer weitgehenden Abkoppelung der Partnerwahl von wirtschaftlichen Gründen geführt. So hatten etwas mehr als 90 Prozent der Frauen in der Spätzeit der DDR einen eigenen Job. Frauen hätten sich damit eine soziale Absicherung aus eigenem Recht gesichert und sich zugleich die Freiheit nehmen können, ihren Neigungen zu folgen.

Das sei, so Ghodsee ein hohes Gut, das eben nur mit einem sozialstaatlichen Gefüge zu haben sei, eben damit, was in den USA als Sozialismus in Reinform zu gelten scheint. Das könnte man der Linken in Europa vorhalten, solange man denn der US-amerikanischen Rechten eine Art Prärogative einräumen würde – was man tunlichst vermeiden sollte. Denn Ghodsee spricht nicht dem Sozialismus das Wort, sondern einer besseren sozialen Absicherung mit weitreichenden Folgen.

Der wirtschaftliche Absturz der sozialistischen Systeme nun habe auch für Frauen in Osteuropa fatale Folgen gehabt. Mit dem Zusammenbruch der Ostökonomien und dem Wegfall der Vollbeschäftigung auch für Frauen, hätten sie ihre eigene wirtschaftliche und soziale Absicherung verloren und sich verstärkt dem Versorgungsangebot von Männern unterwerfen müssen, mit allen Konsequenzen: dem Verlust eigenen Einkommens und damit einhergehend von Selbstbestimmungsrechten. Weil Frauen besonders stark Arbeitsplätze verloren hätten, sei es zu einer Rekonventionalisierung der Geschlechterverhältnisse gekommen.

Das lässt sich an aus Deutschland bekannten Zahlen nicht ohne weiteres ablesen, denn in Ostdeutschland brachen die Arbeitsmärkte beider Geschlechter zusammen und erholten sich für beide in vergleichbarem Umfang wieder (mit leichten Vorteilen für die Männer). Wobei allerdings die Problematik der Teilbeschäftigung von Frauen nicht berücksichtigt wird. Das Szenario, das Ghodsee entwirft, stimmt also so kurzschlüssig nicht, doch immerhin in Teilen.

Dennoch ist die Rekonventionalisierung der Geschlechterverhältnisse auch für Deutschland zu beobachten. Mit der Folge, dass das geschlechtsspezifische Gefälle bei der Selbst- und Fremdbestimmung offensichtlich wird. Insofern spricht vieles für die These Ghodsees. Und selbst wenn die Konsequenz einer besseren sozialen Absicherung eben nicht die bessere Partnerwahl wäre, bliebe immer noch das Argument der gerechteren Behandlung, und das wäre doch was.

Zu ergänzen wäre zudem Ghodsees Ansatz, dass in wirtschaftsliberalen Gesellschaften, die die Einzelnen verstärkt freisetzen, Sex im umfangreicherem Sinn als Ware zwischen den Geschlechtern angeboten wird, soll heißen, dass männliche Partner danach gewählt werden, ob sie ihren Frauen eine bessere ökonomische Ausstattung bieten. Menschen wählen Partner immer danach, was sie ihnen bieten. Dabei spielt Sexualität eine große Rolle, aber keine ausschließliche. Andere symbolische Werte sind nicht minder zu berücksichtigen, etwa soziale Status, Tätigkeit oder Herkunft. Männer wie Frauen betreiben ihre Beziehungen immer als Tauschhandel, bei dem die eine wie die andere Seite ihren Schnitt machen will. Insofern wird der emotionale Warenhandel zwischen den Geschlechtern auch dann nicht aufhören, wenn Frauen und Männer wirtschaftlich und rechtlich gleichgestellt sind. Er wird nur auf andere Tauschobjekte verschoben. Aber diese Überlegung suspendiert nicht die Einsicht darin, dass ein Handel zwischen gleichgestellten Partnern akzeptabler ist als ein Handel, bei dem das Gut der einen Seite aus wirtschaftlicher Potenz und das der anderen aus Willfährigkeit bestünde.

Titelbild

Kristen R. Ghodsee: Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben. Und andere Argumente für ökonomische Unabhängigkeit.
Übersetzt aus dem Englischen von Ursel Schäfer und Richard Barth.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019.
278 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783518075142

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