Black Masculinity
In seinem fulminanten Debüt „Unverschämtes Glück“ geht Jamel Brinkley der Frage nach, was es in Amerika bedeutet, ein schwarzer Mann zu sein
Von Felix Haas
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseVor nicht allzu langer Zeit war der 1975 geborene amerikanische Autor Jamel Brinkley noch Englischlehrer an einer New Yorker High School, der nur zwischen Unterricht und Korrekturen schrieb. Seit seinem Debüt Unverschämtes Glück darf er sich nicht nur „National Book Award Finalist 2018“ nennen, sondern hat auch den Mut gefunden, sich völlig dem Schreiben zu widmen.
Die neun Kurzgeschichten in Unverschämtes Glück spielen vor allem in Brooklyn und der Süd-Bronx, Orten an denen der Autor selbst groß geworden ist. Alle Protagonisten sind schwarze Männer oder Jungen, alle leben mit der Trennung ihrer Eltern, dem Tot ihres Vaters, mit Erinnerungen an Misshandlungen oder einfach in Einsamkeit. Frauen treten nur als Randcharaktere auf, als Mütter oder Geliebte. Viele der Geschichten haben starke sexuelle Motive, doch selbst beim Gruppensex mit einem Freund oder in der Liebe zur Freundin eines Freundes bleibt die Beziehung zwischen Protagonist und Freund im Vordergrund. Wirklich bedeutende Bindungen sind die zu Vätern, Brüdern oder Freunden. Im Zeitalter von Gleichberechtigung und MeToo könnte man leicht Anstoß nehmen an einer solchen Erzählperspektive, wären Brinkleys Schilderungen nicht durchwegs so menschlich und tiefst empathisch. Alle seine Protagonisten kämpfen darum ihren Platz in Familie und Gesellschaft zu finden. Die Frage nach gesellschaftlichen Erwartungen an schwarze Männer steht durchgehend im Zentrum.
Leise Charaktere, normale Leben, die Außenstehende als unbedeutend wahrnehmen mögen – genau wie der Autor das Besondere hinter diesen scheinbar gewöhnlichen, oft tristen Fassaden findet, liegt auch in seiner Prosa viel zwischen den Zeilen. In einer unprätentiösen Sprache voller Slang, arbeitet Brinkley nahezu durchgehend auf mehreren Zeitebenen. Die Gegenwart der Erzählung ist dabei sekundär zum Innenleben der Charaktere und ihren Erinnerungen.
Der Erzählband eröffnet mit Wie prickelnd, in welcher der Ich-Erzähler mehr eingenommen ist von den Erinnerungen an seinen Vater als von den Frauen, die er und sein Freund auf einer Party kennenlernen. Entscheidungen und Handlungen seiner Gegenwart finden relativ zu seinem inneren Monolog statt. Und so endet ein leichter Abend in einer emotionalen Schwere, deren letzter Satz wunderbar einen zentralen Teil der Philosophie des ganzen Bandes fasst:
So ist es mit Menschen in meinem Leben gewesen, mit Menschen, die ich geliebt habe: Etwas verflüchtigt sich still und leise, es tut sich ein Riss so unmerklich auf, wie zwei Lippen sich öffnen, etwas ist morgens anders, so plötzlich und sachte, dass du dich fragst, wie sie überhaupt jemals schön sein konnten.
Schönheit, Liebe, Glück finden wir im Kleinen wie auch im Großen. Wir verlieren sie plötzlich und leise, doch finden wir sie ebenso unverhofft und langsam an Orten, wo wir sie nie suchten. So hält, trotz ihres Ernstes und ihrer Tragik, jede Erzählung auch Momente des Glücks. „Unverschämtes Glück“ ist kein pessimistisches, kein anklagendes Buch, das lediglich sucht die Härte der Jugend des Autors darzustellen. Es legt vielmehr das Besondere in jedem Leben offen, egal wie banal es dem Betrachter zunächst erscheinen mag. Es fokussiert auf Momente, in denen seine Charaktere einem anderen Menschen wirklich nahe kommen, ohne jenen Kitsch aufzuwenden, den ein schlechter Film für die Illusion von Nähe benötigt. In einer Sammlung, in der jede einzelne Geschichte überaus gelungen ist, wird dies besonders in der letzten Erzählung deutlich. Ellis, ein Mann mittleren Alters, der in einem Laden für Kunstbedarf arbeitet, entflieht seiner Einsamkeit indem er seine Abende in einer Bar namens „Clifton’s Place“ verbringt. Die Besitzerin Sadie hat ihr Leben damit verbracht, auf die Rückkehr ihrer Jugendliebe zu warten, nach der sie ihre Bar benannt hat. Sadie ist auf Grund ihres Alters und anhaltenden Alkoholkonsums immer öfter verwirrt, was junge Barbesucher zum Anlass nehmen, sich über sie lustig zu machen. Als Ellis von einer viel jüngeren Frau abgewiesen wird, trifft er noch in derselben Nacht auf Sadie, die verloren durch die Straßen irrt. Er begleitet sie nach Hause und macht es sich danach zur Gewohnheit, „Ms. Sadie“ in ihrem Apartment zu besuchen, während sie langsam völlig in ihrer Demenz versinkt. Die Erzählung endet mit einem letzten Abend, als sie gemeinsam in Sadies Bar gehen und sie fest davon überzeugt ist, ihr lang vermisster Clifton hätte zu ihr zurückgefunden. Ellis spielt seine Rolle für den Abend wohlwollend, denn „wir alle sollten geliebt werden… Komme, was wolle, und sei es für eine Nacht.“
Wenn Prosa auf so leise und natürlich Art so viel Nähe zu ihren Charakteren schafft, wenn Literatur es vermag uns das Außergewöhnliche im Unscheinbaren aufzuzeigen, dann geschieht da etwas ganz Besonderes. So ist die Aufmerksamkeit, die dieses Erstlingswerk erfahren hat, überaus berechtigt und man ist nach seiner Lektüre gespannt, was Brinkley ihm folgen lassen wird.
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