Spannung in und um Amsterdam

Susanne Mischkes Thriller „Blank Space“ orientiert sich an Twentysomethings

Von Anne Amend-SöchtingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anne Amend-Söchting

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit dem Frühjahr 2019 gibt es „bold“, einen Ableger des dtv-Verlags, der sich explizit an Digital Natives richtet, an junge Menschen um die 20 bzw. an die Generation „Insta und Co“, der man gerne eine nur geringe Affinität zur Bücherwelt unterstellt. Wie lässt sich diese Zielgruppe ködern? Vielleicht mit Spannung „bold“, die exakt in ihrer Welt angesiedelt ist.

Carolin wacht in einem Zimmer auf, das ihr gänzlich unbekannt ist. Wie sie dort hineingekommen ist, kann sie nicht rekonstruieren, denn sie hat einen „totalen Filmriss“, der exakt zwei Tage umfasst. Als sie in ihrer Orientierungslosigkeit wütend wird und einen Stuhl in Stücke schlägt, kommen zwei Wärter, die sie mit einer Spritze ruhigstellen. Am nächsten Tag erfährt sie, dass sie in der forensischen Abteilung der Villa Rosengarten, einer psychiatrischen Einrichtung, untergebracht ist. Beim Frühstück trifft sie Ben, der sich selbst Norman Bates nennt, weil er seine Mutter mit einem Beil erschlagen hat, darüber hinaus die anorektische Fleur und die ältere Dame Wilhelmine.

In Gesprächen mit dem Psychiater Dr. Davis versucht Caro, ihre Erinnerung wiederzufinden. Sie erzählt von ihrem Master-Studium der Wirtschaftsinformatik, für das sie eigens Amsterdam ausgewählt hat. Mit Maart und Odile, beide ebenfalls Studierende, hat sie bis zum Einsatz der Amnesie auf einem Hausboot gewohnt. An Odile, strahlender Mittelpunkt der WG, kann sich Caro genauso erinnern wie an Maart, dem sie sich sehr nahe fühlt. Odile, die sagte, dass sie Kunstgeschichte studiere, hat Gerüchten zufolge auch als Escort Dame gearbeitet. Sie war oft im Amsterdamer Rotlichtviertel de Wallen unterwegs, außerdem findet man nach ihrem Verschwinden in ihrem Zimmer Zeichnungen von Abraxas, dargestellt zwar als Fabelwesen, aber auf den Namen eines angesagten Amsterdamer Clubs verweisend. Dort war ihr Caro auf der Spur, geriet selbst in große Gefahr und wird schließlich verdächtigt, einen Mord begangen zu haben. Für die Erinnerungslücken ist Flunitrazepam verantwortlich, populär „Roofies“.

Um das Geheimnis ihrer Amnesie aufzuklären, flieht Caro in einer spektakulären und gleichzeitig humorvollen Aktion aus der Psychiatrie. Wieder in Freiheit erfährt sie, dass Jan, ihr „Ex-Gelegenheitsliebhaber“, ihr das Leben gerettet hat. Erneut geht Caro höchste Risiken ein, bevor in einem imposant angelegten Showdown Rettung im letzten Moment naht.

Susanne Mischke erzählt ihren Kriminalroman auf drei verschiedenen Ebenen. Zu Beginn dominiert Caros innerer Monolog, dann folgen Dialoge, die die Protagonistin zum einen mit ihren MitpatientInnen führt, zum anderen mit Dr. Davis. Auf die investigativen Gespräche mit ihm lässt sich Caro nur bedingt ein, denn parallel läuft erneut der Monolog im Innern, so dass sie manche Informationen nur mit den LeserInnen, nicht jedoch mit ihrem Gegenüber teilt. Auf einer dritten Ebene befinden sich die sogenannten Sprach-Memos von Maart, die in Caros Geschichte eingefügt sind, ohne dass sie diese kennt. Die LeserInnen wissen also mehr als Caro, womit jedoch nicht das Geheimnis um die Amnesie erhellt wird. Mit dieser Erzähltaktik gelingt es Mischke, die Spannung bis zum Schluss auf einem hohen Niveau zu halten.

Zu der recht ausgeklügelten ästhetischen Grundkomposition tritt im Plot die Integration sowie Interaktion unterschiedlicher Sozialräume, werden divergente „soziale Biotope“ beleuchtet: da ist zunächst die Welt der Studierenden im Allgemeinen und studentisches Leben in Amsterdam im Besonderen. Es geht um die Art und Weise, wie eine neue Bewohnerin für eine WG „gecastet“ wird, wobei die WG nicht in irgendeiner x-beliebigen europäischen Universitätsstadt angesiedelt ist, sondern ausgerechnet in Amsterdam, einer Stadt, die zurzeit eine der angesagtesten und damit überfülltesten in ganz Europa sein dürfte.

Das Leben der Studierenden wird überlagert durch kriminelle Machenschaften im Rotlichtmilieu. Odile fungiert als Klammer zwischen den Sozialräumen der Studierenden einerseits und der Delinquenten andererseits. Hinzu tritt der Mikrokosmos der Psychiatrie, der die ganze Klaviatur vom Komischen, die alternde Hochstaplerin Wilhelmine, bis hin zum Tragischen, die suizidale Anorektikerin Fleur, bedient. Leider bleiben nicht nur die AkteurInnen in der Psychiatrie weitestgehend flache Gestalten, wobei dies – so muss man einräumen – sicherlich dem Genre eines Stand-alone-Kriminalromans zu schulden ist. Allein die Protagonistin Caro ist insofern individualisiert, als ihr familiärer Hintergrund zur Sprache kommt und sie zu weiten Teilen, als Antagonistin zu Odile, das Gute personifiziert. Odiles Motivation hingegen bleibt, sieht man von knappen Ausführungen gegen Ende des Romans ab, weitestgehend intransparent. Maart durchbricht diese Schwarz-Weiß-Malerei partiell, obwohl er Caro maßlos enttäuscht.

Susanne Mischke begibt sich mitten in die Welt ihrer jugendlichen Adressaten hinein, nähert sich ihrer Sprache an, ohne sich anzubiedern. Jugendlich markierte Modewörter wie „krasser Scheiß“ oder „very instagrammable city“ sind Einzelfälle. Quasi im Gegensatz dazu entsteht ab und zu der Eindruck, dass die Autorin bewusst Fremdwörter in ihren Text einfließen lässt, um damit eine Art „Scaffolding“ für ihre Leserschaft zu betreiben, also ganz nebenbei einige romanintegrierte Impulse zur sprachlichen Bildung zu setzen. Da die hohe Dichte an Vergleichen zu Beginn sich im weiteren Verlauf sehr schnell reduziert, kann sie als Spiegel für Carolins Ausnahmezustand gedeutet werden. Mischke punktet mit sprachlicher Klarheit und einem Setting, das offensichtlich jugendgemäß sein soll. Dass die drei Hanfpflanzen, die Maart anbaut, Peter, Paul and Mary heißen, ist ein witziges Detail und passt in das Bild von den Adressaten. Vielleicht jedoch geht Mischke damit dann doch ein bisschen zu weit.

Um das Mega-Thema Amnesie kreist ebenso Ich. Darf. Nicht. Schlafen von Steve Watson aus dem Jahre 2008, ein Thriller-Bestseller, der sich bei Jugendlichen großer Beliebtheit erfreut und inzwischen verfilmt worden ist. Als sich Caro auf die Suche nach Odile begibt und selbst Detektivin spielt, erinnert sie an die beiden Hobbydetektivinnen Jette und Romy, die in den Romanen von Monika Feth, z.B. Die Erdbeerpflücker oder Teufelsjäger, immer wieder auf Verbrechen stoßen und im Geheimen ermitteln. So wie diese hat auch Blank Space Identifikationsangebote für Jugendliche und junge Erwachsene in petto.Im Übrigen ist nicht zu übersehen, dass ein Song von Taylor Swift aus dem Jahre 1989 denselben Titel wie der Roman trägt und einige Zeilen daraus hervorragend auf seine „Schattenprotagonistin“ Odile zutreffen.

Abschließend sollte die kritische Frage erlaubt sein, ob ein Zuviel an Zielgruppenorientierung die eigentlich Anvisierten nicht vergraulen könnte, man sich mit dieser Verzahnung von Text und intendierten Rezipienten nicht paradoxerweise an diesen vorbeibewegt. Mischke hat die Prämissen des Verlagsprogramms erfüllt, doch manchen jungen Erwachsenen dürfte die Nähe zur eigenen Lebenswelt hypertroph erscheinen. Aber sei’s drum. Zu erwarten ist, dass jüngere Jugendliche, im Alter von 12-16 Jahren, und Erwachsene ab ca. 30 Jahren, Blank Space goutieren werden. Für sie wird weniger die Identifikation, vielmehr die Spannung im Fokus stehen. Und das ist es, was hier zählt: Unterhalten zu werden in einem „Good Read“ voller Verwicklungen und mit einem Ende, das Überraschungen bereithält.

Titelbild

Susanne Mischke: Blank Space. Thriller.
bold, München 2019.
318 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783423230001

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