Lethemsche Stilübungen

In einem Sammelband mit Stories lässt der großartige Romancier Jonathan Lethem seiner schrägen Fantasie freien Lauf und streift die Gefilde des Beliebigen

Von Karsten HerrmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karsten Herrmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jonathan Lethem ist einer der wichtigsten amerikanischen Schriftsteller und immer etwas abseits des Mainstreams im Abseitigen und Subversiven beheimatet. Er hat großartige New York-Romane wie Die Festung der Einsamkeit oder Chronic City geschrieben, die bevölkert sind von Exzentrikern, Avantgardisten, Hippies und Hipstern und in denen seine Helden mit ihrer Existenz und ihren Ticks ringen – so wie sein Detektiv in dem gerade von Edward Norton verfilmten Motherless Brooklyn, der am Tourette-Syndrom leidet.

In einem neu erschienen Band mit (alten) Kurzgeschichten erleben wir einen komplett entfesselten Lethem, der seinem schrägen Humor und seiner abseitigen Fantasie freien Lauf lässt.

Zum Auftakt macht er uns mit Blondy bekannt, der ein begeisterter Multiplex-Gänger ist und dort den Maestro eines Off-Theaters kennen lernt, „der andere wie Figuren in einem zwielichtigen Stück behandelte“. Äußerst exzentrisch kommt seine Geschichte um ein „Satzfetischisten“-Pärchen rüber, die sich auf die Suche nach dem „König der Sätze“ machen und für die Sätze „etwas Skulpturales“ besitzen, die „intensive Orgasmen in uns entfesselten“. Einen Hauch Orwell erleben wir in der Story Verfahren unter freiem Himmel, in der (politische) Häftlinge in frisch ausgehobene Löcher mitten auf der Straße interniert werden. Und im Stil eine Comic-Panels mit Figuren in Schwarz-Weiß und Farbe erzählt Lethem von einem Flugzeugabsturz in der Südsee. Hier knabbern seine Helden an „knusprigen Sprechblasen“ und spazieren über die Bildzwischenräume in die Vergangenheit. Weiter geht es mit einem „Pornokritiker“ und mit einem Familienvater am Rande des Zusammenbruchs bei einem Besuch von Seaworld: „Er war hilflos wie eine Flipperkugel, die in einem dieser Tischgeräte herumflog… In einem dieser wütenden, pulsierenden Neunzigerjahre-Flipper, deren halbes Dutzend Neonhebel auf sein Gehirn eindroschen“.

Keine Geschichte gleicht in diesem Sammelband der anderen und hier und da blitzt Lethem in Hochform auf. Böswillig könnte man aber auch von einem etwas beliebigen Sammelsurium und Lethemschen Stilübungen sprechen.

Titelbild

Jonathan Lethem: Alan, der Glückspilz. Stories.
Aus dem Amerikanischen von Johann Christoph Maass.
Tropen Verlag, Stuttgart 2019.
174 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783608501551

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