Frappierend frisch und frech

Im wiederentdeckten Roman „Oreo“ von Fran Ross werden viele Rassen-, Religions- oder Geschlechter-Klischees durch den Kakao gezogen

Von Karsten HerrmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karsten Herrmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Oreo heißt ein weltbekannter Doppelkeks und Oreo heißt auch die titelgebende Heldin in einem schon 1974 veröffentlichten und jetzt wiederentdeckten Roman von Fran Ross‘. Es ist der einzige und nun erstmals auf Deutsch erschienene Roman der schwarzen US-Schriftstellerin, die bereits 1985 verstarb. Ihr Roman ist in Zeiten von Gender- und Rassismus-Diskursen aktueller denn je und frappiert durch seine Frische und Frechheit.

Ebenso wie der Doppelkeks Oreo hat die Heldin von Fran Ross die Eigenschaft, „außen schwarz und innen weiß“ zu sein. Als „judeo-negrides Konkordat“ mit einem bezaubernden „Cremekekslächeln“ ist Oreo das Ergebnis einer kurzen Ehe der schwarzen Helen Clark und des weißen Juden Samuel Schwartz. Als die Mutter von Samuel von dieser Heirat erfuhr, traf sie der Schlag und der Vater von Helen erstarrte zu „einem steifen halben Hakenkreuz“. Unter diesen tragi-komischen Vorzeichen hält die Ehe der beiden nicht lange und Samuel verschwindet spurlos. Mit sechszehn Jahren macht sich Oreo daher auf die Suche nach ihrem Vater und erlebt haarsträubende Abenteuer.

Oreo ist nicht nur ein von ihrem Privatlehrer auf Trab gebrachtes rhetorisch-linguistisches Talent mit einem Faible für Jiddisch, Gangster-Slang, Verballhornungen und Wortneuerfindungen, sondern auch von physischer Schlagkraft: „Ihre Selbstverteidigungsmethode nannte sie den Weg des Interstitiell Treffsicheren Zorns, kurz WTZ“, mit dem eine „Vorliebe für Treffer in weiche, verletzliche Körperzwischenräume“ verbunden ist.

Mit diesen einem Comichelden alle Ehre machenden Fähigkeiten schlägt sich Oreo durch ihre amerikanische Odyssee und erwehrt sich einer Reihe von Überfällen und Übergriffen und legt sich mit einem schwarzen Zuhälter an, dessen Zorn biblische Ausmaße annimmt. Und kaum hat sie ihren leiblichen Vater gefunden, da stirbt er auf groteske Weise vor ihren Augen.

Fran Ross‘ Roman Oreo bietet ein überaus freches und obszönes linguistisches Feuerwerk voller Slapstickpointen. Hier wird jedes Rassen-, Religions- oder Geschlechts-Klischee durch den Kakao gezogen und nonchalant gekontert. Gespickt ist der von Pieke Biermann erstmals auf Deutsch übersetzte Roman dabei mit jiddischen Ausdrücken von búbkes über gójim, jónteff oder mischpóke bis zu zímmes, die dankenswerterweise in einem Glossar erläutert werden.

Wie der Leser zum Schluss erfährt, ist der durchaus zum Episodenhaften neigende Roman auf der Folie des antiken Mythos um Theseus und das Labyrinth des Minotaurus zu lesen und erfährt dadurch noch einmal eine neue Pointe und Tiefe.

Titelbild

Fran Ross: Oreo. Roman.
Mit einem Nachwort von Max Czollek.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch und mit Anmerkungen versehen von Pieke Biermann.
dtv Verlag, München 2019.
288 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783423281973

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch