Rambling on my Mind

In „Über Liebe und Magie. I Put a Spell on You“ erweist sich John Burnside gleichermaßen als Flaneur wie als Getriebener

Von Manfred RothRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Roth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bevor der schottische Autor John Burnside mit seinen Romanen einem breiteren Publikum bekannt und von den Feuilletons gefeiert wurde, war er zunächst vor allem als Lyriker in Erscheinung getreten. Daneben verfasst er auch immer wieder Werke, in denen er seine Biografie aufarbeitet: Lügen über meinen Vater, Wie alle anderen und nun Über Liebe und Magie. I Put a Spell on You, das kürzlich den Branchen-Ritterschlag empfing – früher wäre er dies zumindest gewesen –, indem es im Literarischen Quartett besprochen wurde. Dass Burnside aber trotz aller oft überschwänglichen Kritik eher ein Autor für Autoren ist, der Roman In hellen Sommernächten beispielsweise wurde bei seinem Erscheinen 2012 von zwei der zur Zeit wohl einflussreichsten deutschsprachigen Autoren, Clemens J. Setz und Daniel Kehlmann rezensiert, mag auch damit zusammenhängen, dass Burnside kunstvoll Genrekonventionen unterläuft und Erwartungshaltungen enttäuscht.

Die deutsche Übersetzung stammt auch dieses Mal von Burnside-Stammübersetzer Bernhard Robben und ist über weite Strecken äußerst souverän, zumal man für Burnsides Sprache mit ihren Schlenkern und Pirouetten auch im Original einen langen Atem braucht. Im besten Fall reißt sie mit, erschließt neue Zusammenhänge, eröffnet durch ihre ungewöhnlichen Bild- und Verweisbezüge neue Perspektiven, und oft weckt sie eine tiefe Anteilnahme für die vielen Gescheiterten in diesem Buch. Vor allem beim letzten Absatz von Über Magie und Liebe hat man den Eindruck, dass die Sätze im Deutschen dank Robbens Übertragung eine noch größere Wucht entfalten, noch mehr berühren als im englischen Original. Mühsam kann dieser Stil aber dann werden, wenn sich die überbordende Sprache auf Sachverhalte bezieht, die im Grunde vermutlich weitaus simpler sind, als es Satzstruktur und Wortwahl nahelegen. Konsequent ist aber auch das noch insofern, als das Schweifen und Umherirren, die Lust am Sich-Verlieren und Suchen zentrale Themen nicht nur in Über Magie und Liebe, sondern in Burnsides gesamtem Werk sind.

Obwohl es stimmt, dass Liebe und, im metaphorischen Sinn, das Magische, also der von der Routine des Alltags abweichende besondere flüchtige Augenblick, die kleine Geste, die Ahnung von etwas, das unter der Oberfläche schlummert und sich nicht so ganz fassen lässt, zentrale Themen des Buches sind, so drängt der deutsche Titel doch einen bedeutenden Aspekt in den Hintergrund, wenn er den englischen, ein Lied zitierenden Originaltitel I Put a Spell on You in den Untertitel verbannt, denn Musik und Popkultur im Allgemeinen spielen bei Über Liebe und Magie ebenfalls eine bedeutende Rolle. Beispielsweise handelt es sich bei den Überschriften etlicher Passagen um Musiktitel, die zumindest in der ersten Hälfte eine Art Soundtrack zu Burnsides Leben liefern.

Der zentrale Song, I Put a Spell on You, wird im Buch zunächst der Jazzsängerin Nina Simone zugeschrieben, erst in den folgenden Kapiteln weist Burnside darauf hin, dass das Original von dem Bluesmusiker Screamin‘ Jay Hawkins stammt. Bereits an diesem kleinen Detail zeigt sich Burnsides Zugang zu autobiografischem Schreiben, denn indem er selektiert, was er wo erwähnt, gibt er seinem Text eine Struktur, die nicht chronologisch ist, sondern manchmal seinen Wissenshorizont der jeweiligen Zeit simuliert, manchmal Dinge vorwegnimmt. Dass dann noch die Behauptung „‚Where Angels Fear to Tread‘ – noch ein Hit von Andy Williams“, nicht zuzutreffen scheint, lediglich die erste Zeile des Songs Can‘t Help Falling in Love, in der es heißt „Wise men say, only fools rush in“ verweist in Anlehnung an Alexander Popes Satz „For fools rush in where angels fear to tread“ darauf, irritiert zusätzlich. Mag sein, dass sich hier bei der Übersetzung ein Flüchtigkeitsfehler eingeschlichen hat oder der Text im Original selbst missverständlich ist, und doch ließen sich an diese Beobachtung etliche Fragen anknüpfen, die Über Liebe und Magie selbst an anderen Stellen immer wieder implizit stellt: über die Autorität von Texten etwa – passagenweise finden sich im Buch wahrere Zitatgewitter –, warum etwas noch mehr fesselt oder beeindruckt, wenn es auf wahren Begebenheiten beruht – Burnside liefert biografische Hintergründe zu In hellen Sommernächten, nicht nur der eigene Aufenthalt in Skandinavien, sondern auch seine Deutung des Narziss-Mythos – und nicht zuletzt darüber, welchen Stellenwert man faktischer Wahrheit in künstlerischen Texten überhaupt beimessen sollte. Etwa wenn der Autor mehr als einmal die Wirklichkeit selbst und deren Wahrnehmung als Inszenierung entlarvt und er gesteht: „gelegentlich lüge ich, weil die Wahrheit zu langweilig ist, um sie ein weiteres Mal zu wiederholen.“

All dies verweist auf ein im Schreiben Burnsides angelegtes poetologisches Konzept, das sich narrativer Muster verweigert. Bereits in seinem Roman In hellen Sommernächten schien zunächst alles auf eine Art Suspense-Thriller hinauszulaufen. Burnside wurde auch nicht müde, virtuos auf der Klaviatur des Genres zu spielen: mysteriöse Todesfälle, Menschen, die spurlos verschwinden, der alte skandinavische Mythos eines männermordenden Geistes, vor allem jedoch, dass die ganz und gar unzuverlässige Ich-Erzählerin immer wieder geheimnisvolle Anspielungen auf ein Geschehen macht, das letztlich nicht aufgeklärt wird, sodass Clemens J. Setz in seiner Rezension des Romans in der Wochenzeitung Die Zeit Burnside begeistert „ein vollkommen zielloses Erzählen“ attestiert, bei dem die Geschichte Anlass aber nicht Hauptgrund des Erzählens ist, und ihn dabei mit Roberto Bolaño oder Haruki Murakami vergleicht.

Unterstellt man Burnside also ein Erzählen, bei dem nicht allein Handlung im Vordergrund steht, und auch bei Über Liebe und Magie ist dies der Fall, denn erzählende Kapitel wechseln mit zumeist als „Abschweifungen“ betitelten eher essayistischen Passagen ab, dann wird die Frage nach dem Stellenwert des Autobiografischen umso dringlicher. Burnsides Biografie ist unter anderem geprägt von der Armut einer Kindheit in einer am Reißbrett entworfenen schottischen Arbeiterstadt, der schwierigen Beziehung zum Vater, von Alkohol- und Drogenexzessen und dem Aufenthalt in einer Psychiatrie. Wer nun aber einen autobiografisch gefärbten Sucht- oder Trinker-Roman erwartet, wie sie Charles Bukowski in zahlreichen Variationen immer wieder vorgelegt hat, oder etwas im Stile von Malcolm Lowrys Under the Volcano, Charles Jacksons The Lost Weekend oder Frederick Exleys A Fan’s Notes wird enttäuscht. Zwar finden sich Darstellungen der eigenen Schwächen und Niederlagen, wie man sie bei dieser Art Literatur seit Jean-Jacque Rousseaus Bekenntnissen erwartet, auch Burnside eröffnet intime Einblicke in sein Seelenleben, doch steht diese Selbstentblößung nicht im Vordergrund. Es sind eher die kurzen magischen Momente bei den Begegnungen mit Menschen und vor allem die Abschweifungen, die philosophischen, kultur- und popgeschichtlichen oder etymologischen Diskurse, die das eigene Leben mit objektivem Abstand als ein intellektuell unterfüttertes Narrativ präsentieren.

Es mag noch einen anderen Grund haben, dass Burnside den Song I put a Spell on You zunächst allein Nina Simone zuschreibt, auch wenn er später seine Verehrung und Faszination für den Original-Interpreten Screamin‘ Jay Hawkins immer wieder zum Ausdruck bringt: Denn wo Hawkins roh, rau und laut ist, mehr schreit als singt, das Saxophon monoton walzt und scheppert, da ist Simones Version weitaus kunstvoller. Das Piano tröpfelt, die Streicher klingen fast ein wenig zu harmonisch und Simones Stimme ist so kraftvoll wie verspielt. Und tatsächlich ist diese Art des Vortrags Burnsides Stil viel näher
als das Walzende und Monotone eines Hawkins, selbst wenn das von diesem in seinen Bühnenshows oft inszenierte Abgründige thematisch ein zentrales Element auch des schottischen Autors ist. Er stöbert in seinem Schreiben das Archaische, Sich-Wild-Bahnbrechende, Mythische auf, geht an narrative Orte zurück, die der Logos noch nicht heimelig gemacht hat, denn in jeder, zumal gesellschaftlichen, Wahrheit, in sozialen Klassen aber auch der Ehe, findet Burnside eine hierarchische Herrschaftsordnung am Werk, der sich zu entziehen sein Leben von Anfang an prägt.

Gegen Ende des Buches erzählt Burnside, wie er in der norwegischen Tundra einmal in einem Schneesturm den Weg verlor, doch statt Furcht empfand er geradezu eine Lust am Sich-Verirren. Es kann nicht schaden, wenn man bei der Lektüre von Über Liebe und Magie diese Lust des Autors teilt, um mit ihm abseits ausgetretener Pfade so Überraschendes wie Kurioses, Trauriges wie Schönes zu entdecken.

Titelbild

John Burnside: Über Liebe und Magie. I Put a Spell on You.
Übersetzt aus dem Englischen von Bernhard Robben.
Penguin Verlag, München 2019.
281 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783328600893

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