Die Rückkehr der Gänse

Ein Klassiker des Nature Writing, „Ein Jahr im Sand County“ von Aldo Leopold, ist nun vollständig übersetzt

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine bittere Diagnose: „Der Naturschutz führt zu nichts, weil er unvereinbar ist mit unserem abrahamitischen Konzept vom Land, weil wir es als Handelsware betrachten, die uns gehört. Sähen wir es als Gemeinschaft, der wir angehören, könnten wir beginnen, es mit Liebe und Respekt zu nutzen.“ Aber das tun wir nicht: „Wo auch immer die Wahrheit liegen mag, soviel ist sonnenklar: Unsere Gesellschaft des Immer-größer-und-immer-besser ist heute derart hypochondrisch besessen vom eigenen wirtschaftlichen Wohlergehen, dass sie die Fähigkeit, gesund zu bleiben, verloren hat. […] Nichts wäre in diesem Zustand heilsamer als ein bisschen gesunde Verachtung für die Fülle materieller Segnungen.“

Das schrieb Aldo Leopold 1948 in seiner Essaysammlung Ein Jahr im Sand County. Im von Erosion halb zerstörten Wisconsin, das fast zu einer Sandwüste geworden war, hatte er eine Hütte und Land gekauft, um das Gebiet wieder aufzuforsten und die Natur zu beobachten. Von Januar bis Dezember gehen seine sensiblen Aufzeichnungen, in denen er über Säge, Keil und Axt nachdenkt, mit denen er die Bäume bearbeitet, die er verheizt. Er schreibt über das Angeln, über Zaunkönige und über das „Chorgestrüpp“, das Gebüsch, in dem die Wachteln wohnen, über Kragenhühner, den Wind und das Treibholz.

Im März schreibt er über die Rückkehr der Gänse:

Pfeift ein Kardinal dem Tauwetter den Frühling zu, stellt später aber fest, dass er sich geirrt hat, kann er den Fehler beheben, indem er sich wieder in Winterstille begibt. Erscheint ein Streifenhörnchen zum Sonnenbad, findet aber einen Schneesturm vor, muss es bloß wieder zurück ins Bett gehen. Eine Wandergans jedoch, die zweihundert Meilen finsterer Nacht riskiert für die Chance, ein Loch im See zu finden, hat so leicht nicht die Möglichkeit zum Rückzug. Ihre Ankunft besitzt die feste Überzeugung eines Propheten, der alle Brücken hinter sich abgebrochen hat.

Und während die Menschen diesen Zug zum Frühlingsanfang oft gar nicht mitbekommen, sind die Gänse „vieler Dinge gewahr, einschließlich des Jagdrechts von Wisconsin“ und fliegen höher als die Schussweite über das Land hinweg. „Schnurgerade ist krumm im Vergleich zu ihrem unbeirrten Anpeilen des nächsten großen Sees zwanzig Meilen südlich.“ So betrachtet Leopold die Natur von außen als Wissenschaftler und Farmer und gleichzeitig voller Sympathie für die Wildnis, die es hie und da noch gibt.

Und manchmal wird er auch ironisch, wenn er vom Schild des „Green-River-Bodenschutzgebiets“ erzählt: Daneben

liegt die anmutige Schlaufe eines alten ausgetrockneten Bachbetts. Der neue Lauf wurde linealgerade ausgehoben; der Landingenieur hat ihn ‚entkringelt‘, um den Abfluss zu beschleunigen. Auf dem Hügel im Hintergrund zeichnen sich Reihenkulturen ab, die von den Erosionsingenieuren ‚gekringelt‘ wurden, um den Abfluss zu verlangsamen. Das Wasser muss von diesen vielen Ratschlägen ganz verwirrt sein.

Aldo Leopold ist einer der amerikanischen Pioniere des ökologischen Denkens, das er zum Teil aus Deutschland mitgebracht hat, wo er in den 1930er-Jahren war, um Anregungen für eine nachhaltige Forstwirtschaft zu bekommen. Begeistert von den Ideen, die er dort fand, versuchte er, sie umzusetzen und begann mit der Renaturierung des Geländes rund um die verlassene Farm mit ausgemergeltem Boden am Wisconsin River in Sand County, wo nur eine Hühnerhütte und das Fundament eines Hauses standen. Auch seine Wandlung vom begeisterten Sportjäger zum engagierten Naturschützer erzählt er in diesem Buch, als er mit anderen zusammen wildwütig auf eine Wolfsmeute schoss und eine Wölfin tötete: „Wir erreichten die alte Wölfin noch rechtzeitig, um zu sehen, wie ein starkes grünes Leuchten in ihren Augen erstarb. Ich erkannte damals und weiß es bis heute: Da war etwas für mich Neues in diesen Augen – etwas, das nur die Wölfin und der Berg wussten.“ Und er erkannte, wie alles zusammenhing: Vermutlich lebt ein Hirschrudel in derselben Todesangst vor den Wölfen wie der Berg vor dem Wild. Und womöglich aus triftigerem Grund, denn ein von Wölfen gerissener Bock kann in zwei, drei Jahren ersetzt werden, während es vielleicht misslingt, ein Gebirge, das die Überfülle an Wild niedergerissen hat, in genauso vielen Jahrzehnten zu ersetzen.“

Geboren 1887 in Burlington, Iowa, studierte Leopold Forstwissenschaft, musste zunächst Sägemühlen und Baumbestand kontrollieren, kümmerte sich dann für den Forest Service um den Artenschutz, den er aber lange nur im Zusammenhang mit der Erholung der müden und bedürftigen Stadtbewohner dachte. Erst in den 1930e-r Jahren sah er in der Wildnis einen Wert an sich, auch wenn er bereits 1920 in einem Aufsatz das Wort „Ökologie“ benutzt, als es auf der Welt nur weniger Forscher gab, die sich damit beschäftigten.

Dieser Klassiker des amerikanischen Nature Writing ist in den sechziger Jahren schon einmal ein Kultbuch der Umweltbewegung gewesen und in Deutschland stark gekürzt und mit einem Vorwort von Horst Stern 1992 erstmals erschienen. Jetzt ist er vollständig übersetzt und mit einem langen Nachwort in der Reihe „Naturkunden“ nachzulesen. Einiges davon, vor allem in den Essays am Schluss, hat die Entwicklung der Naturzerstörung längst überholt, vieles aber ist immer noch aktuell, vor allem sein Aufruf, bei der Betrachtung des Lands nicht nur ökonomisch zu denken, sondern auch ethisch und ästhetisch: „Etwas ist richtig, wenn es hilft, die Integrität, Stabilität und Schönheit des ökologischen Gemeinwesens zu bewahren. Es ist falsch, wenn es anders wirkt.“

Titelbild

Aldo Leopold: Ein Jahr im Sand County.
Mit Illustrationen von Charles W. Schwartz.
Übersetzt aus dem Englischen, kommentiert und mit einem Nachwort von Jürgen Brôcan.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2019.
258 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783957576828

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