Kontextualisierung deutscher Autoren/innen (1460–1730)
Achim Aurnhammers und Nicolas Deterings Arbeitsbuch „Deutsche Literatur der Frühen Neuzeit“
Von Karima Lanius
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWer mit der utb-Reihe eher Einführungsliteratur verbindet, muss seine Erwartungen erweitern. Denn das Überblickswerk von Achim Aurnhammer und Nicolas Detering über die Deutsche Literatur der Frühen Neuzeit richtet sich an fortgeschrittene Studierende, Promovierende und literaturhistorisch Interessierte. Ausgehend von der Beobachtung, dass der Kanon der deutschen Literatur von 1460–1730 in der Öffentlichkeit wenig präsent ist, haben sich die beiden Literaturwissenschaftler vorgenommen, „[d]as Zusammenspiel von regionaler Primärkommunikation und europäischer Medialisierung“ für diesen Zeitraum nachzuzeichnen.
Man darf also nicht erwarten, eine detaillierte Erläuterung der septem artes liberales, des Interesses der Vertreter/innen des Barocks an der stoischen constantia oder der „Leibniz-Wolffschen Schule“ zu erhalten. Das würde auch den festgesteckten Rahmen sprengen und das Unterfangen Aurnhammers und Deterings unmöglich machen.
Das Autorenduo geht sehr systematisch vor und bildet einen Querschnitt der literarischen Produktion vom humanistischen Gelehrten Sebastian Brant über den Naturlyriker Barthold Hinrich Brockes bis hin zu einem Ausblick auf die Literatur um 1750 ab. Gleichzeitig berücksichtigen sie dabei die historischen Gegebenheiten in Humanismus, Barock und Frühaufklärung. Interessant ist unter anderem die Aufteilung in „reformerischen“ und nachreformatorischen Humanismus, womit dem Problem entgegengetreten wird, dass man die deutschsprachige Literatur dieser Zeit nur schwer mit dem Begriff Renaissance beschreiben kann.
Man merkt, dass hier zwei Wissenschaftler zusammenarbeiten, die sich gut ergänzen: Aurnhammer hat sich zum Beispiel mit Martin Opitz auseinandergesetzt, während Detering sich verstärkt mit frühneuzeitlicher Literatur im europäischen Kontext beschäftigt. Daher sind auch die einzelnen Kapitel zu ihren Forschungsschwerpunkten sehr ergiebig.
In anderen Kapiteln, in denen unter anderem Sebastian Brant oder Hans Sachs thematisiert werden, hätte sich die Chance ergeben, auch die Verbindung zum Mittelalter herauszustellen: Während Das Narrenschiff mit der Figur des spätmittelalterlichen Fastnachtsnarren arbeitet, knüpft der Meistersang ausdrücklich an die Sangspruchdichtung an. Allerdings und obwohl Epochen als heuristische Konstrukte gelten, darf man Aurnhammers und Deterings Darstellungen der „ubiquären Sonderwege“ in der Frühen Neuzeit als gelungen betrachten: allen voran die Optiz’sche Dichtungsreform oder der poetische Wandel um 1690.
Dabei haben sie stets ihre Zielgruppe vor Augen, was sich auch in der Gestaltung ihres Überblicks niederschlägt: Nach jedem inhaltlichen Abschnitt, der beispielsweise Auskunft über die Biografie und Hauptwerk(e) der Autoren/innen gibt, wird eine Auswahl an aktueller Forschungsliteratur gegeben. Des Weiteren gibt es einen circa 260 Seiten langen Anhang mit ausgewählten Texten, der sich an den diskutierten Autoren/innen orientiert. Daneben ist das Bildmaterial zu erwähnen, welches exemplifiziert, wie die beiden Literaturwissenschaftler andere Medien einbinden. Leider sind im Druck einige Schwarz-Weiß-Abbildungen so dunkel geworden, dass sich nicht alles erkennen lässt (zum Beispiel Die Gesandten von Hans Holbein dem Jüngeren).
Gerade diese Zusammenstellung ist die Stärke des Textes und macht ihn gewinnbringend für Studierende und Promovierende: Aus dem universitären Alltag kennen Dozenten/innen häufig das Problem, dass in Essays oder Hausarbeiten ein Autor/eine Autorin beziehungsweise ein Werk solitär ohne die Berücksichtigung des jeweiligen historischen Kontextes beleuchtet werden. Mit Aurnhammers und Deterings Ausführungen kann damit – zumindest für die Zeit zwischen 1460–1730 – entgegengewirkt werden, was ihr Werk zu einem Arbeitsbuch macht. Es ist ebenfalls vorstellbar, einzelne Kapitel zu Autoren/innen oder Themenfeldern herauszulösen und als Seminargrundlage zu verwenden. Auf diese Weise erhalten die Studierenden einen ersten Eindruck, auf dem man aufbauen und den man erweitern kann.
Der utb-Band Deutsche Literatur der Frühen Neuzeit wird so vielleicht nicht zum „idealen“, aber zu einem guten „Begleiter für Studium, Prüfungsvorbereitung und Lehre“ und fügt sich damit in das Verlagsprogramm ein.
Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg
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