Kul, die Männschen? Besser man hält Abstand

George Saunders lässt einen naseweisen, aber von menschlicher Grausamkeit erschütterten Fuchs einen Brief schreiben

Von Kai SammetRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Sammet

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man stolpert über das erste Wort „Libe“. Bitte nicht, geht das jetzt weiter mit Viertklässlerorthographie? Ja, die Orthographie ist eigen. Aber: „Libe Leserinen und Leser“, heißt es da: „Zuers möchte ich sagen, Enschuldigung für alle Wörter di ich falsch schreibe. Weil ich bin ein Fuks!“ Und da hat einen dieser Schlawiner, dieser naseweise Kerl mit dem ersten Satz eingenommen und zwei holprige Wörter später hat man diese „verrückkte Nus“ (Selbstbeschreibung) ins Herz geschlossen.

Die Geschichte selbst ist schnell erzählt. Fuchs 8 lernt Männschisch. Er lief an „oiern Männschenhäusern“ vorbei, kiebitzte durchs Fenster und hörte ein „Geroisch“, in das er sich verliebte: „Stellt sich raus was das Geroisch war is die Mänschenstimme wi si Wörter macht. Die hörten sich super an! Di hörte sich an wie schöne Musik!“  

Fuchs 8 kommt wieder und hört, wie einem Kind eine Gutenachtgeschichte vorgelesen wird. Das gefällt ihm schwer. Aber wie immer: Wer nur einen Teil der Welt kennt, ist vor üblen Überraschungen nicht gefeit. Denn der Wald, in dem seine Fuchsgruppe lebt, wird abgeholzt, um ein „Par King“ und eine „Mool“ zu bauen. Die Füchse verlieren ihr Habitat, sie drohen zu verhungern: „Froinde, ir set nich gut aus. Oier Fell sit roidig aus. Ir seit fast nur noch Augen, aufgrund mega hungrig.“

Noch lässt es sich unsere Nuss nicht verdrießen. Denn er hört wie „Mänschen! Immer intresant“ auf dem Par King miteinander sprechen und sich für später für die „Fressmaile“ verabreden – da ginge also vielleicht was! Seine Meinung über die Menschen bleibt positiv: „Mänschen sind nett, die sind kul.“ Aber bei den anderen Füchsen kommt sein Vorschlag, sich die „Mool“ mal auf ihre Fresstauglichkeit anzugucken, nicht so gut an.

Er und Fuchs 7 gehen dann doch in die „Mool“ und organisieren sich Essen. Beglückt ziehen sie von dannen. Sie gehen zutraulich auf zwei Bauarbeiter zu. Doch dann tötet einer der beiden Fuchs 7 grausam.

Fuchs 8 irrt tagelang umher, verläuft sich. Auch wenn er von der „Grau Sarmkeit“ der „Männschen“ verwirrt bleibt, hat er seine Robustheit nicht verloren: „Und plötzlich roch ich volle Nase Fuks“. Er findet eine neue Fuchsgruppe. Die sind wirklich kul. Denn erstens benamsen sie sich anders. Statt durchzuzählen, haben sie Namen gemäß ihres Charakters (einer heißt: „Fuks Mekkert-Immer/TrotzdemNett“). Zweitens teilen sie ihr Essen, und drittens gibt es da noch Kleine-Nase/Wach+Lustig, mit der Fuchs 8 Kinder kriegt. Die will aber keinen Trübsalbläser zum Papa ihrer Kinder haben. Fuchs 8 kommt ins Überlegen. „Also frag ich mich: Was könnte irnkwi mein altes und Hoffnung volles Ich zurükk bringen? Antwort: Antworten.“ Fuchs 8 schreibt einen Brief an die Menschen: „Ich wüsste gern, was mit oich los is?“ Wenn man das nur wüsste. Und deshalb gibt Fuchs 8 diesen Brief beim Haus am Ende der Straße ab, denn: „Bestimmt gipt es eine Erklerung. Di wüsste ich ser gern.“

Wird er sie kriegen? Wahrscheinlich nicht. Und das ist eine der Stärken dieses kleinen Buches. Es spielt mit der bekannten Figur der Verfremdung, dem fremden Tierblick auf menschliches Verhalten. Doch diese scheinbar einfache Geschichte lässt nicht nur für den Fuchs offen, ob es für menschliche Grausamkeit eine Erklärung gibt. Die zweite Stärke besteht in ihrem Witz, den Fuchs 8 und alle anderen Füchse versprühen. Die dritte Stärke ist der Charakter von Fuchs 8 selbst. Und die vierte Stärke dieses wundersamen Buches ist die Sprache selbst. Man fragt sich, was da der Übersetzer Frank Heibert angestellt hat, denn wie soll englische Holprigkeit in deutsche Holprigkeit übersetzt werden? Antwort: Heibert gelingt es hervorragend, Originaltreue mit kreativer Übertragung in deutsche Jugendsprachen- und Slanglakonie zu paaren (wie ein Blick ins amerikansische Original zeigt). Das hier ist also ein Buch, dem man viele Leser wünscht, aber es ist nicht wirklich eine Gutenachtgeschichte. 

Titelbild

George Saunders: Fuchs 8.
Mit Illustrationen von Chelsea Cardinal.
Übersetzt aus dem Englischen von Frank Heibert.
Luchterhand Literaturverlag, München 2019.
64 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783630876207

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