Sex still sells

Das ewige Skandalthema in Clemens Ottawas „Skandal! Die provokantesten Bücher der Literaturgeschichte“

Von Carina GrönerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carina Gröner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

‚Da hat er sich ja etwas vorgenommen’, mag man denken, wenn man den Band mit dem Titel „Skandal! Die provokantesten Bücher der Literaturgeschichte“ von Clemens Ottawa in Händen hält. Gleichwohl ist ihm mit dem ewigen Sensationsthema die Aufmerksamkeit nicht nur für die vorgestellten Bücher, sondern auch für das eigene in einem immer unübersichtlicher werdenden Buchmarkt gewiss. Da kommen „die provokantesten Bücher der Literaturgeschichte“ gerade recht für gestresste Literaturinteressierte, scheint diese Sammlung doch Inspiration für noch zu Lesendes, Teilhabe an kultivierten Gesprächen über Literatur und kurzweilige Unterhaltung zu versprechen. So weit, so gut.

Skandale garantieren Aufmerksamkeit und entzünden sich immer wieder an den bekannten Themen: „Die meisten Bücher werden aus Gründen der Religion, der Politik und der Moral verboten“ (S. 14), konstatiert der Autor im Vorwort zu der 61 Titel umfassenden Sammlung von skandalisierten Büchern. So weit, so wenig überraschend, scheint die Klassifikation als Skandal doch das einzige, explizit genannte Auswahlkriterium für die in den Band aufgenommenen Bücher zu sein.

Die Sammlung umfasst einerseits zahlreiche wohlbekannte Werke aus dem Kanon der abendländischen Literatur seit dem 14. Jahrhundert von Boccaccios Dekameron über Goethes Werther und Joyces Ulysses bis zu Houellebecqs Elementarteilchen. Die im Untertitel genannte „Literaturgeschichte“ zeigt sich also als Repräsentation des von männlichen und weißen Autoren dominierten abendländischen Literaturkanons, dessen stetige und wiederholte Prädominanz innerhalb des Kulturbetriebs auch als ‚Skandal’ bezeichnet werden könnte. Andererseits finden sich in der Sammlung aber auch weniger bekannte Titel, wie Herrmann Conradis Adam Mensch oder Matias Faldbakkens The Cocka Hola Company und lösen damit die leise Hoffnung beim Leser oder der Leserin ein, darin noch Unbekanntes zu finden, das sich zu lesen lohnt.

Alle vorgestellten Bücher sind mit Autor oder Autorin und dem deutschsprachigen Titel überschrieben, ergänzt durch Genre, Herkunftsland und Originaltitel. Diese Kontextualisierung ist hilfreich beim zeitlichen und geographischen Einordnen der Texte, macht aber auch auffällige thematische Parallelen zwischen den einzelnen Skandalbüchern sichtbar: So sind etwas mehr als die Hälfte dieser Titel in narrativen Genres geschrieben, also Romane oder Erzählungen. Auch der Grund der Skandalisierung liegt bei ungefähr der Hälfte der Bücher allein darin, dass sie Sexualität mehr oder weniger offen thematisieren und damit gegen die Gebote der herrschenden Sexualmoral verstoßen oder verstießen. Daran hat sich seit den letzten vier- bis fünfhundert Jahren nicht viel geändert, wie das aktuelle Beispiel von E.L. James’ aus einer Internet Fan Fiction entstandenen Fifty Shades of Grey-Trilogie eindrücklich vor Augen führt. Ganz ähnlich wie bei John Clelands Fanny Hill, das als Auftragsarbeit für einen finanziell angeschlagenen Verlag 250 Jahre vor 50 Shades bereits mithilfe des Skandalthemas Sex zum kalkulierten Kassenschlager wurde, avancierte auch die Milliardärsromanze im SM-Kostüm in kurzer Zeit zum Marketinghit. Diesen Überraschungserfolg verdankt das Buch allerdings einem Publikum, das Literatur, und besonders die kanonische, sonst eher meidet. Skandale verführen zum Lesen.

Es bleibt also dabei – Sex still sells, Skandalisierung und Verkaufserfolg bedingen sich oft gegenseitig.

Titelbild

Clemens Ottawa: Skandal! Die provokantesten Bücher der Literaturgeschichte.
zu Klampen Verlag, Springe 2019.
228 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783866745971

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