Auf der Suche nach dem authentischen Ossi

Mit „Wie Frau Krause die DDR erfand“ kommentiert die in Leipzig geborene Autorin Kathrin Aehnlich aktuelle Irritationen zwischen Deutschland/Ost und Deutschland/West satirisch

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die DDR muss man nicht erfinden. Es gab sie wirklich. Allerdings weder so, wie etliche derjenigen, die Jahrzehnte dort verbrachten, sich heute an sie erinnern, noch so, wie diejenigen sie sich gern vorstellen, die das Glück hatten, im anderen Teil Nachkriegsdeutschlands zu leben. Für Letztere ist die Frage, ob es sich bei dem vor dreißig Jahren sang- und klanglos untergegangenen Gebilde um einen Unrechtsstaat handelte, schnell beantwortet: und zwar mit „Ja“. Östlich Sozialisierte hingegen tun sich schwer damit, dem zuzustimmen. Denn viele sehen darin nicht mehr und nicht weniger als eine Entwertung ihrer Biografien, die kaltherzige Enteignung gelebten Lebens.

Gibt es ein richtiges Leben im Falschen? Sicher nicht. Aber Leben im Falschen gibt es schon. Mit allem, was dazugehört: Liebesgeschichten und Leiderfahrungen, Siegen und Niederlagen, Freuden und Ängsten, Träumen, Hoffnungen und Enttäuschungen. All das gab es in Ost wie West – unabhängig davon, dass das eine Land eine Demokratie war, das andere eine Diktatur. Und die Forderung, sich gegenseitig von seinem Leben zu erzählen, damit man nach 40 Jahren der Trennung die Chance hat, sich wieder anzunähern, Gemeinsames zu finden, auch wenn man sich inzwischen in Vielem unterscheidet, ist so alt, wie das neue Deutschland jung ist. Allein es ist zu wenig passiert in dieser Hinsicht. Stattdessen verfestigten sich Stereotype: hier der Besserwessi, da der Jammerossi. Und wo vorgefertigte Meinungen die Realität überlagern, haben es die wahren Geschichten schwer, Gehör zu finden.

Isabella Krause, die Heldin von Kathrin Aehnlichs Roman Wie Frau Krause die DDR erfand, ist so ein Mensch mit DDR-Geschichte(n) im Hintergrund. Als Schauspielerin mit einer Körpergröße von 150 Zentimetern blieben ihr die großen Rollen sowohl vor wie auch nach der Wende verwehrt. Nach weniger spektakulären Anfangserfolgen in Rollen wie Fliegenpilz oder Frosch im Kindertheater, schlägt sie sich gut 30 Jahre nach der Wiedervereinigung „als Synchronsprecherin, als Animateurin im Altenheim, als Moderatorin“ durch, tapfer, unverzagt und sich immer des Glücks bewusst, auf einer Bühne stehen zu dürfen – und sei sie noch so klein. Doch eines Tages darf sie sich plötzlich wichtig fühlen. Zwar landet sie nicht als gut dotierte Aktrice in dem Werbefilm, für den sie gecastet wurde, doch weil der Produktionsfirma für eine Fernsehserie über den wilden Osten Vor-Ort-Experten fehlen, sieht sie sich bald als Teil eines Filmteams mit der Aufgabe betraut, Menschen zu finden, die frei von der Leber weg erzählen, wie es damals in der DDR wirklich war.       

Also muss Isabella die DDR zunächst nicht erfinden, sondern nur wiederfinden. Was die Frau zurück an die Orte ihrer Kindheit und Jugend führt, wo noch vieles an die Zeit erinnert, die sie vor Jahrzehnten dort verbrachte. Und auch etliche Menschen sind geblieben, wo sie schon damals waren. Aber taugen die Erinnerungen einer Mitropa-Kellnerin, einer Kindergärtnerin oder eines Mannes, der sich einst in einem inzwischen der Vergangenheit angehörenden Heizwerk krumm machte, um ein repräsentatives Bild jenes Staates entstehen zu lassen, von dem heute selbst die Kinder und Kindeskinder derjenigen, die vormals dort lebten, kaum mehr etwas wissen? Und ist es Fernsehzuschauern zumutbar, dass Menschen, die in einem von Mauern und Stacheldraht umzäunten Land lebten und denen bei jedem Aufmucken gegen die herrschende Doktrin Gefängnis drohte, sich durchaus liebevoll an jene „alten Zeiten“ erinnern?

Denn das tun die drei, die Isabella nacheinander trifft und für ihr Projekt zu gewinnen sucht. Sowohl Melitta, die Kellnerin, wie auch Ulla, die Kindergärtnerin, und Heiner, der Heizer, sehen auf ihr verflossenes Leben ohne Zorn zurück. Für den „Fuchs“, wie man den aus dem Ruhrgebiet stammenden Autor der Fernsehserie nennt, die reine Katastrophe. Denn keiner dieser Ostmenschen passt in das mediale Bild von der DDR, wie es sich dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung verfestigt hat. „Eine uneinsichtige Kindergärtnerin, ein Kraftwerksmitarbeiter, der auch noch stolz darauf war, dass er die Umwelt verpestet hatte“, und eine Kellnerin, die mit ihren Gästen nicht aus Frust und Verzweiflung trank, sondern „immer nur aus Freude“, sind nicht akzeptabel für eine Filmreihe, in der die Vergangenheit grau, lähmend und deprimierend auszusehen hat.

Was also tun? Weil Aehnlichs Heldin in einem Land aufwuchs, in dem Erfindungsreichtum zu den Sekundärtugenden der sog. einfachen Menschen zählte, ist die Lösung des Problems für sie ganz einfach: Wer mit einer DDR, wie sie in den Erinnerungen der dort Großgewordenen lebt, nichts anzufangen weiß, bekommt halt jenes Land geliefert, dass er sich immer vorgestellt hat. Wofür denn ist man Schauspielerin und geht in Schauspielerkreisen ein und aus? Und sind Statisten, die eine DDR nachstellen, wie sie heute in den Köpfen spukt, unterm Strich nicht auch viel pflegeleichter? Also vollzieht Isabella Krause den Schritt vom Wiederfinden der DDR zum Erfinden derselben. Das ist, so wie Kathrin Aehnlich es episodenreich und mit viel Witz erzählt, nicht immer hundertprozentig stimmig, macht aber Spaß und legt den Finger in genau die Wunde, die drei Jahrzehnte nach dem Vollzug der deutschen Einheit immer noch offen ist.   

Stillgelegte Bahnhöfe in der Provinz und Mitropa-Kneipen, Telelotto und Westfernsehen, Industriebrachen und Menschen, die nicht mehr wissen, wohin sie eigentlich gehören – die in Markleeberg bei Leipzig lebende Schriftstellerin Kathrin Aehnlich kennt die DDR vor und das östliche Deutschland, von dem man so gerne als von der „ehemaligen DDR“ spricht, nach der Wiedervereinigung genau. Mit Alle sterben, auch die Löffelstöre legte sie 2007 ein Romandebüt vor, das so unsentimental wie ehrlich und aus Dutzenden von Geschichten sich zusammensetzend von einer Freundschaft erzählte, der die Zumutungen zweier unterschiedlicher Gesellschaftssysteme nichts anzuhaben vermochten, der Krebstod des Mannes dafür umso mehr. Mit Wenn die Wale an Land gehen folgte 2013 ein Roman, der von den Schicksalen junger Menschen in einem Land erzählte, in dem Großes nur geträumt, nicht verwirklicht werden konnte und allein die Radiowellen einen hinauszutragen vermochten in die ersehnte Freiheit. Aber auch die neue Zeit nach 1989, in der Aehnlichs Heldin, einst wissbegierige Studentin und junge Mutter, aus ihrer Ehe aus- und in das einstige Traumland USA aufbricht, ist nicht leicht zu bewältigen.

Wie Frau Krause die DDR erfand ist Aehnlichs dritter Roman und ihre erste Satire. Seine am 20. Republikgeburtstag geborene Heldin ist alles andere als eine das Gewesene verklärende Nostalgikerin. Mit der Scharade, die sie in Szene setzt, weist sie nur auf eines hin: Es ist nicht nur dumm, sondern auch gefährlich, Menschen ihre Erinnerungen zu nehmen, denn die beziehen sich gewöhnlich nicht auf die Haupt- und Staatsaktionen des Landes, in dem sie zufällig geboren wurden und aufgewachsen sind.

Titelbild

Kathrin Aehnlich: Wie Frau Krause die DDR erfand. Roman.
Verlag Antje Kunstmann, München 2019.
174 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783956143168

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