Gelungene und beschädigte Leben

In „Was uns stark macht“ gewähren gut zwanzig bekannte Frauen Annick Cojean Einblicke in ihr (Innen-)Leben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Zum Teufel mit der kritischen Distanz“. Ein Statement, das nicht unbedingt von JournalistInnen zu erwarten ist. Annick Cojean aber schickt in einem sehr persönlich gehaltenen Vorwort zu einem Band mit von ihr geführten Interviews nicht nur jede kritische Distanz zum Teufel, sondern verzichtet in den 21 Gesprächen mit „bezaubernden Frauen“ auch auf alle kritischen Nachfragen. Dafür hat sie die Befragungen „so bearbeitet“, dass sie „fließend“ zu lesen sind. Ob sie in dieser Form autorisiert wurden, sagt Cojean nicht. Doch ist wohl davon auszugehen. Ausschließlich mit Geschlechtsgenossinnen sprach sie, „weil die Welt der Frauen eine besondere ist und ihr Leben ein Hindernislauf“.

Den Interviews vorangestellt sind kurze, etwa zehn Zeilen umfassende Porträts der befragten Frauen. Nicht immer zeichnen sie ein Bild, das ihnen gerecht wird. So wird etwa Marianne Faithfull als „Muse der Rolling Stones“ vorgestellt. Das ist umso kurioser, als sie genau diese Bezeichnung im Interview als sexistischen „Blödsinn“ ablehnt.

Die Interviews selbst werden von Cojean mit einem standardisierten Einstieg eröffnet. Sie bittet ihre Gesprächspartnerinnen, den Satz „Ich wäre nicht die, die ich heute bin, wenn…“ zu beenden. Damit ist der Ton gesetzt und die Richtung vorgegeben. Eine der Frauen, Vanessa Redgrave, spielt allerdings nicht mit und weigert sich, den Satz zu vollenden.

Ins Auge sticht eine erschütternde Gemeinsamkeit, die etliche der Frauen teilen: Sie wurden als Jugendliche, in der Pubertät gar vergewaltigt. Wie die Interviews zeigen, wirken die Traumata noch heute nach. So haben einige von ihnen einen etwas esoterischen Weg eingeschlagen. Eine andere, Amélie Nothomb, ist sehr zu Recht darüber empört, dass sie „immer nur scheußliche Reaktionen geerntet“ hat, wenn sie über das an ihr begangene Verbrechen sprach. Nicht dem Täter, sondern ihr selbst habe man die Schuld an einem sexuellen Angriff gegeben, dessen Opfer sie mit zwölf Jahren wurde, und zwar so lange und nachdrücklich, bis sie ihre vermeintliche Schuld „schließlich“ selbst „verinnerlicht“ hatte.

Es gibt allerdings noch eine zweite Gemeinsamkeit zwischen den Frauen. Viele von ihnen, wohl die meisten bekennen sich ausdrücklich zum Feminismus. Allen voran Eve Ensler, die Autorin der Vagina Monologe. Aber etwa auch die Rabinnerin Delphine Horvilleur, die Sängerin Angélique Kidjo aus Benin, die über Frühehen, Zwangsheirat und männliche Gewalt in der Ehe singt, oder die in verschiedenen Menschenrechtsorganisationen sehr engagierte Schauspielerin Claudia Cardinale. Auch ihre Kollegin Nicole Kidman findet es „unerträglich“, „wenn Männer und Frauen unterschiedlich behandelt werden“. Mit einer der bekennenden Feministinnen, der französischen Anthropologin Françoise Héritier, sprach die Journalistin wenige Tage vor deren Tod am 15. November 2017.

Virginie Despentes’ King Kong Theorie wiederum verklärt Cojean zur „Bibel eines komplexbefreiten Feminismus“. Dabei lässt sich das gleichnamige Buch durchaus auch als antifeministisch lesen. Zumal Despentes Prostitution dort zur Möglichkeit weiblicher Selbstbestimmung umdeutet. Doch klingt in dem Interview auch an, warum sie dies tut. Denn sie erklärt, dass „der Sex“ nach ihrer Vergewaltigung erst durch die Prostitution „wieder aufgewertet“ worden sei, da sie ihn nun „verkaufen“ konnte. Das habe ihr „Macht verschafft“. Auch verhielten Männer sich „einer Prostituierten gegenüber eher besser als einem Mädchen, das sie an einer Bar kennengelernt haben“. Andererseits bekennt Despentes, dass es für sie eine „unglaubliche Erleichterung“ war, lesbisch zu werden, und erklärt, „[h]etero zu sein, lag mir wohl ohnehin nicht besonders“. Ansonsten sei überhaupt „die ganze Weiblichkeit […] die reinste Hurerei“. Das Interview lässt so auf wenigen Seiten Despentes’ existenzielle Zerrissenheit deutlich werden.

Patti Smith zeigt sich gesammelter und spricht über ihre Zeit als junge Frau, in der etliche ihrer Freunde den drei großen Gefahren der 70er und 80er Jahre zum Opfer fielen, dem Vietnamkrieg, den Drogen und Aids, während Juliette Gréco einen denkbar pessimistischen Blick in die Zukunft wirft. Sie habe das Gefühl, „in eine Zeit der Barbarei zu driften“, „in einen Zustand ohne jegliche Kultur“. Das letzte Wort aber soll Eve Ensler haben: „Ich versichere Ihnen, dass, wenn dieser kaputte Planet es schafft zu überleben, dann dank all dieser Frauen, deren Leid sie hartnäckig macht und zu Revolutionärinnen.“

Titelbild

Annick Cojean: Was uns stark macht. Begegnungen mit Patti Smith, Virginie Despentes, Joan Baez, Brigitte Bardot u.a.
Aus dem Französischen von Kirsten Gleinig.
Aufbau Verlag, Berlin 2019.
299 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783351037666

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