Muss Schreiben ein Problem sein?
Das „Praxishandbuch Schreibdidaktik“ über Lernmethoden für das Verfassen von wissenschaftlichen Texten
Von Nicola König
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDas Schreiben längerer wissenschaftlicher Texte stellt sowohl Lehrende als auch Lernende vor große Herausforderungen: So gilt es aus der Perspektive der Lehrenden, den komplexen Vorgang des Schreibens in Teilprozesse zu segmentieren und damit Aufgabenarrangements zu konzipieren, die die Herausforderungen sichtbar machen und konkrete Lösungsvorschläge anbieten. Aus der Perspektive der Studierenden, die vor die Aufgabe gestellt sind, eine wissenschaftliche Hausarbeit zu verfassen, ergeben sich unterschiedliche Schwierigkeiten. Bis ein wissenschaftlicher Artikel, ein Essay, eine Examensarbeit oder eine Monographie abgeschlossen ist, müssen verschiedene Teilschritte erfüllt werden: Angefangen vom Generieren der Ideen und dem Finden des Themas bis zum Recherchieren, Lesen, Gliedern, Zitieren und Paraphrasieren spielen vor allem das Positionieren, Argumentieren sowie das Herstellen von Kohärenz eine entscheidende Rolle.
Betrachtet man die etablierten kognitionspsychologischen Schreibmodelle, die dazu geeignet erscheinen, vor allem wissenschaftliche Schreibprozesse abzubilden, dann wird in ihnen Schreiben regelmäßig als das Lösen von Problemen angesehen, da dem Schreibprozess eine Aufgabenstellung zugrunde liegt, die unterschiedliche Teilprozesse der Bewältigung erforderlich macht. Die Architektur der Modelle (Hayes 2012; Becker-Mrotzek 2017) fasst diese unterschiedlichen Handlungen dabei als ineinandergreifende Prozesse auf, die zwischen dem (Welt)Wissen der Schreibenden, des im Laufe des Schreibens erworbenen Wissens und der konkreten Aufgabe sowie ihrer Repräsentation vermitteln. Der im Zuge des Schreibprozesses entstehende Text erfordert immer wieder eine Aktualisierung und einen Abgleich mit der konkreten Aufgabe. Nicht selten sind die Schreibenden mit dieser komplexen Aufgabe nicht nur ge-, sondern auch überfordert; die Lehrenden auf der anderen Seite stellen regelmäßig eine Diskrepanz zwischen der Vermittlung der Vorlesungs- bzw. Seminarinhalte und den schriftlichen Ergebnissen fest.
Das vorliegende Praxishandbuch Schreibdidaktik aus dem Jahr 2019, herausgegeben von Christian Wymann, nimmt sich dieser Problematik an und vereint 50 didaktische Übungen zur Vermittlung von Schreibkompetenz. Damit werden zum einen Lehrpersonen an Hochschulen angesprochen, die Schreibkompetenz unterrichten. Zum anderen ist dieses Buch aber auch für Dozent*innen interessant, die Schreibende bei der Erstellung von schriftlichen Arbeiten beraten oder die in ihren Veranstaltungen schreibdidaktische Phasen integrieren möchten. Das Buch fokussiert dabei auf die verschiedenen Phasen des Schreibprozesses: So werden Schreibbedingungen ebenso wie Strategien, das Klären der Fragestellung, das Gliedern, Zitieren, Argumentieren und Überarbeiten dargestellt und angeleitet. Aber auch Textsorten, Feedback und Schreibschwierigkeiten werden in den Übungen erfasst. Die Methoden werden jeweils von einzelnen Autor*innen bzw. Teams vorgestellt, die alle in der Schreibberatung tätig sind und somit ein hohes Maß an Expertise aufweisen. Einheitlichkeit entsteht durch die immergleiche Struktur der Beiträge, die den Lesenden eine schnelle Orientierung sowie eine Bewertung der Methoden erlaubt. So sind zunächst die für die Übungen benötigte Zeit, die Anzahl der Teilnehmenden, die Bildungsstufen, Arbeitsformen und das benötigte Material wiedergegeben. Die Darstellung der didaktischen Absicht erlaubt, die Intention der Übung in den Blick zu nehmen. Das sich anschließende Kapitel Hintergrundwissen und Inhalte ermöglicht eine schreibdidaktische und methodische Einordnung und Kontextualisierung und stellt die zentralen Inhalte des Verfahrens dar. Den Hauptteil der jeweils fünfseitigen Kapitel umfasst die Wiedergabe des Ablaufs: konkrete Impulse, Aufgabenstellungen, Visualisierungen und Angaben der Sozialformen ermöglichen eine unmittelbare Umsetzung in der Lehre. Die jeweiligen didaktischen Übungen werden durch eine kurze Reflexion abgeschlossen, die Herausforderungen und Anknüpfungsmöglichkeiten skizziert.
Problematisch an Methodenpools ist häufig, dass sie den Eindruck gewisser Beliebigkeit vermitteln. So tendieren von spezifischen Inhalten losgelöste Methoden dazu, keinen nachhaltigen Kompetenzerwerb vermitteln zu können. Da die Zielgruppe dieses Praxishandbuchs jedoch Lehrende sind, die sich im Rahmen von Schreibberatung, Schreibwerkstätten oder ihrer Lehrveranstaltung mit dem Thema der Schreibvermittlung auseinandersetzen, ist diese Gefahr nur gering zu bewerten. Die Anwenderfreundlichkeit des Handbuchs ermöglicht hingegen, sich schnell eine Übersicht über mögliche Themengebiete zu verschaffen.
Dabei haben die einzelnen Beiträge einen hohen Appellcharakter und laden zum Ausprobieren und Umsetzen ein. Wenn beispielsweise die Studierenden mittels Freewriting Ideen und neue Zusammenhänge generieren sollen – siehe dazu den Beitrag von Sennewald und Girgensohn Spielend Ideen generieren und strukturiert argumentieren –, dann hat dies einen starken Aufforderungscharakter. Durch die ungewöhnliche Kombination neuer Wortfelder mit dem eigentlichen Thema, über das eine Arbeit verfasst werden soll, wird nicht nur die Kreativität gefördert. Es findet vielmehr auch Wortschatzarbeit sowie eine Denkschule statt, die dazu einlädt, neue Kausalzusammenhänge herzustellen und dadurch plausible und überzeugende adressaten- und situationsbezogene Argumente zu formulieren.
Der vorliegende Band berücksichtigt dabei die verschiedenen Phasen des Schreibprozesses, indem die unterschiedlichen Verfahren der Praxisbeispiele digitale Prozesse ebenso wie kooperative und kollaborative in den Blick nehmen. Da die Übungen nicht an bestimmte Inhalte gekoppelt sind, lassen sie sich auf unterschiedliche Fächer und Bedürfnisse übertragen. Als Zielgruppe des Bandes nennt der Herausgeber des Bandes Christian Wyman explizit Lehrpersonen, die im Hochschulkontext wissenschaftliche Schreibkompetenz unterrichten. Aber auch Lehrende, die während einzelner Phasen ihrer Seminare das Recherchieren, Erstellen von Gliederungen, die Themenfindung oder aber kooperative und kollaborative Schreibprozesse in den Blick nehmen, finden hier wertvolle Anregungen. So dürfte der Band zudem in der Lehrer*innenausbildung relevant sein: zum einen, um den eigenen Schreibprozess kritisch zu reflektieren, zum anderen um Schüler*innen auf wissenschaftspropädeutisches Schreiben vorbereiten zu können, beispielsweise im Rahmen von Präsentationsprüfungen, Facharbeiten oder Referaten.
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