Ausflüge auf unsicheres Terrain

„Aber möglich, möglich muss es doch sein“, wenn Hans Gebhard in 15 Kurzgeschichten Abseitiges hervorkehrt

Von Renate SchauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Renate Schauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Aber möglich, möglich muss es doch sein“ – dieses Bohrende im Titel hat etwas mit Unbeirrbarkeit und Nichtnachlassen zu tun. Zwei Eigenschaften, die den Schreibstil des Autors Hans Gerhard gut charakterisieren. Was er erzählt, lebt genau von dieser Herangehensweise an Situationen, in denen sich Verhalten auf unsicherem Terrain spiegelt oder die das Abseitige im Alltag hervorkehren. Das Ganze verpackt in 15 überraschende Kurzgeschichten, gewürzt mit hintergründigem Humor oder feinsinniger Ironie.

Einen guten Eindruck von dem zu erwartenden Lese-Erlebnis vermittelt der Klappentext. Da entrollt sich ein Gedankenfaden über die Liebe, dem erst nach 172 Wörtern ein Punkt ein vorläufiges Ende setzt. Er stammt aus der Geschichte „Prud’homme“, die zu den kürzeren in diesem Buch zählt. Prud’homme könnte man mit Gentleman übersetzen, ein weiser, vorsichtiger Mann. Trotz der beachtlichen Satzlänge ist hier kein Wort zu viel, alles bleibt anschaulich und glaubwürdig.

In Can’t keep safe what wants to break wird ein Kurzurlaub mit so vielen Leerstellen erzählt, dass die Interpretationsfreiheit der LeserInnen stark herausgefordert ist. Beklagen Lektoren heutzutage häufig den „Infodump“ (vor allem in Erstlingswerken), der aufgrund seiner Überfrachtung der Phantasie von RezipientInnen keine Chance lässt, wird hier dessen Gegenteil auf die Spitze getrieben. Da will ein Mann allein sein bei Sauwetter in einem Leuchtturm und gelegentlich Spaziergänge am Meer unternehmen – doch plötzlich stört er sich an einem Kreuz in Nähe der Klippen, auf dem eine Schwarzweiß-Fotografie verewigt ist. Was es mit dem Abgebildeten auf sich hat, kann man erahnen. Aber warum er den Urlauber gleichzeitig anzieht wie abstößt, bleibt ein Rätsel. Immerhin kann man sich etliches dazu denken. Wenn das innere Frieren der Seele zum Ausdruck kommen soll, ist dies gelungen. Eine Vorgänger- oder Nebenbuhler-Geschichte könnte mitschwingen. Oder auch nur der fehlgeleitete Impuls eines Hypersensiblen, der sein heroisches Trotzen gegen Wind und Wetter in unwirtlicher Gegend durch einen Gedenkstein geschmälert sieht.

Sehr unterschiedliche Geschichten sind in diesem Band zusammengefasst, sieben davon wurden vorher bereits in Literaturzeitschriften (Die Horen, Streckenläufer, Chaussee u. a.) veröffentlicht. Vielleicht hat sich der Conte Verlag deshalb für Französische Broschur entschieden und nicht für Hardcover wie bei der Kurzgeschichten-Sammlung Mehr Zuhause als ich, die 2017 erschien und insgesamt homogener wirkte. Wieder ist Banales gerade recht, um ihm Spannung abzugewinnen. Nur einiges fällt aus diesem Rahmen – wie beispielsweise die dystopische Fantasy Aus einem Brief Shakespeares an einen Freund.

Genau das breite Spektrum an Deutungsmöglichkeiten ist es, die Hans Gerhards Geschichten lange im Gedächtnis bleiben lassen. Die meisten kommen scheinbar absichtslos daher, ihr Verlauf erweist sich aber als folgerichtig und muss nicht zu wichtigen Erkenntnissen führen. Rasch flackert etwas auf, wird nicht zu Ende gedacht, und trotzdem weiß man Bescheid, wohin der Hase läuft, obwohl – um im Bild zu bleiben – es weder ein Hase noch ein Laufen sein muss. Der Gedankenansatz kann rasch in sich zusammenfallen, versickern, verschwinden oder einfach wie ein Dieb abhauen. Unterhaltsam sind die Gedankensplitter, die kurz und flüchtig ans Bewusstsein klopfen. Sie versetzen in den Kopf des Protagonisten, oft ein Ich-Erzähler, der mäandert, aber dass er seine Richtung nicht verfehlt, dass sein Urheber uns ganz sicher da hinführt, wo ein logischer Schlusspunkt hinter die Sequenz gesetzt werden kann, darauf können wir uns verlassen.

Titelbild

Hans Gerhard: Aber möglich, möglich muss es doch sein. Kurzgeschichten.
Conte-Verlag, St. Ingbert 2019.
256 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783956021985

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