It’s only Love

In „Philosophie der Liebe“ gelingt Peter Trawny, ein Gefühl in seiner Vielgestaltigkeit zu begreifen

Von Sebastian MeißnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Meißner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Liebe hat es schwer in diesen Tagen. Angesichts von Diskussionen über Klimawandel und Nachhaltigkeit, Flüchtlingsströme und Integration, Globalisierung und regionale Identitäten spielt sie aktuell kaum noch eine Rolle. Filmemacher berichten davon ebenso wie Paartherapeuten oder Autoren. In der Philosophie ist das nicht anders. Von Richard David Precht immerhin als ein „unordentliches Gefühl“ bezeichnet, das dem evolutionären Streben nach Überleben im Wege steht, ist sie derzeit wenig präsent. Dabei lässt sich ganz wunderbar über sie nachdenken. Und sie ist zudem eine gewinnbringende Perspektive auf die menschliche Existenz und das Zusammenleben in Gesellschaften.

Peter Trawny, Philosoph und Martin-Heidegger-Experte, wagt den Versuch, die Liebe in ihrer Vielgestaltigkeit zu erfassen – „nicht mit einem nüchternen System, sondern in funkelnden Denkbildern“, wie der Klappentext es nennt. Trawny recherchiert dafür bei Philosophen und in der Weltliteratur und untersucht auf eigene Faust. Ob die große Liebe, Nächstenliebe, Hassliebe oder Gottesliebe: Trawny taucht bei seinen Überlegungen auch ins Abseitige, Abartige und Fetischisierte hinein. Und so reihen sich in 57 Mini-Kapiteln dieses Buches unter anderem Überlegungen zu Stanley Kubrick, Spinoza, Love Songs, Sexpuppen, Nekrophilie, Phaidra und Lolita-Fantasien aneinander. Was krude klingt, funktioniert. Durch die Verschiedenartigkeit der  Zugänge zum Thema kommt Trawny dem Wesen der Liebe Gedanke für Gedanke näher. Sein Erzähl- und Unterhaltungstalent spielen ihm dabei in die Karten. Trawney, offenbar mit dem Pop-Kosmos vertraut, da in seine Argumentation auch mal Songtexte von Band wie The Beatles, Jethro Tull, The Who oder der Jimi Hendrix Group einfließen, schafft Verbindungen von alten Denkern zu neuen Köpfen, von Klassikern zu Trends und erlaubt sich bei aller Seriosität dieses Unterfangens immer auch ein kleines Augenzwinkern.

Im Vorwort erklärt der Autor, dass eine Philosophie der Liebe für ihn eigentlich eine „Anfangs-Philosophie“ sei. Daher werde er in diesem Buch an vielen Stellen von diesem „Großen Anfang“, dieser allerersten und allerletzten Hoffnung sprechen. Philosophie übersetzt er mit „Liebe zur Weisheit“, und in den hier versammelten Ausführungen bezieht er seine persönliche Erfahrungswelt und seine Liebe zur Weisheit explizit mit ein. Ähnlich wie bei Roland Barthes und dessen Fragmente einer Sprache der Liebe zieht Trawny hier mit seinen Überlegungen immer engere Kreise um das auserwählte Phänomen, kommt ihm näher und betrachtet es von allen Seiten.

Vollständig kann eine solche Sammlung nicht sein. Alleine schon wegen seines eingeschränkten Umfangs wird auch Philosophie der Liebe seinem Anspruch nicht vollends gerecht. Was Trawny aber gelingt, ist eine Sensibilisierung für die Allgegenwärtigkeit von Liebe in Zeiten, in denen ihre Abstinenz so bemängelt wird. Er verdeutlicht ihre Bedeutung  und stärkt unsere Wertschätzung für diese treibende Lebenskraft. Und so ist Philosophie der Liebe auch ein Plädoyer fürs Augenöffnen, für die Selbstreflektion und für das Staunen über dieses Gefühl, das in all seiner Unkontrollierbarkeit und Unordnung auch als Ausgangspunkt großer Gesellschaftszusammenhänge reich und ergiebig ist.    

Titelbild

Peter Trawny: Philosophie der Liebe.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2019.
270 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783103974317

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